Cloud-Migration

Cloud-Migration in Krisenzeiten: Chance oder Risiko?

03.02.2023
Anzeige  Die sich abzeichnende Rezession und Budgetdruck stellen IT-Investitionen auf den Prüfstand – auch Cloud-Projekte. Ist das berechtigt oder kontraproduktiv?
Wie wirkt sich die Energiekrise auf die Entscheidung zwischen dem Betrieb einer eigenen On-premises-Infrastruktur und der Migration in die Cloud aus?
Wie wirkt sich die Energiekrise auf die Entscheidung zwischen dem Betrieb einer eigenen On-premises-Infrastruktur und der Migration in die Cloud aus?
Foto: Sergey Nivens - shutterstock.com

Steigende Energiepreise, eine inzwischen spürbare Inflation und deutliche Anzeichen einer aufziehende Rezession: Unternehmen sind darum bemüht, ihre Betriebskosten so gut es geht im Griff zu behalten. Das betrifft auch die Ausgaben der IT-Abteilungen, die sich in den letzten Jahren aus strategischen Gründen steigender Budgets erfreuen durften. Da der Druck zur weiteren Digitalisierung von Geschäftsprozessen nach wie vor besteht und strategisch wichtige Projekte vorankommen müssen, werfen viele Unternehmen nun einen kritischen Blick auf ihre IT-Betriebskosten.

Was bedeutet das für die Cloud-Pläne der Unternehmen? Sind die aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen ein Anlass, konservativ zu sein und "auf Abenteuer zu verzichten", oder sind sie eher ein zusätzliches Motiv, um jetzt erst recht auf die Cloud zu setzen? Sollen Unternehmen lieber "das Geld zusammenhalten" oder ihr Heil in der Schaffung neuer Umsatzquellen suchen?

In den Jahren vor der Krise versprach die Digitalisierung beides: Sowohl eine schlankere Kostenbasis als auch die Chance, neue digitale Geschäftsmodelle aufzubauen und neue Umsatzquellen zu erschließen. Die Cloud galt dabei als die Schlüsselkomponente für die IT, um Geschäftsprozesse digital zu gestalten und ein neues Niveau von operativer Effizienz zu erlangen. Doch wie wirkt sich diese Situation auf die Entscheidung zwischen dem Betrieb einer eigenen On-premises-Infrastruktur und der Migration in die Cloud aus?

Die hohen Energiepreise gelten auch für Cloud-Anbieter

"Ganz grundsätzlich kommen in der aktuellen Phase von Unsicherheit und steigenden Kosten in fast allen Unternehmen anstehende und zusätzliche Investitionen verstärkt auf den Prüfstand", sagt Constantin Klein, Global Product Manager beim internationalen IT-Dienstleister Syntax Systems. Doch genau hier könne die Public Cloud ihre Stärken ausspielen und mit Pay-as-you-Go-Modellen, flexiblen Anpassungsmöglichkeiten der Infrastruktur auf tatsächliche Bedarfe und mit der Verlagerung von Investitionsausgaben in Richtung Betriebsausgaben punkten. "Für eine verantwortungsvolle Entscheidung über die Zukunft der eigenen IT-Infrastruktur muss die Migration in die Cloud also in die Überlegungen einbezogen werden", so Klein.

"Gerade in unsicheren Zeiten ist Flexibilität der Wettbewerbsvorteil, den unsere Mittelstandskunden in der Cloud sehen - der finanzielle Vorteil einer Cloud-Infrastruktur ist nicht wegzudiskutieren", sagt Martin Grabowski, Leiter Product Management & Marketing Business bei Vodafone. "Nehmen Sie als Beispiel die BEMER Group, einen Hersteller medizintechnischer Geräte, der alle seine digitalen Services und Tools auf unserer Multi-Cloud-Lösung realisiert: Der Verzicht auf eine eigene Server-Farm hat für Einsparungen bei den direkten und indirekten Kosten gesorgt. Außerdem haben wir mit der Cloud-Lösung die IT-Abteilung entlastet - in Zeiten des Fachkräftemangels ein unschätzbarer Vorteil."

Die aktuelle Situation sei eher ein Argument für die Cloud, glaubt auch Thomas Herrguth, Country Leader Deutschland bei VMware: Die hohe Inflation und die drohende Rezession würden den Fokus auf die Frage, ob die Verlagerung von Workloads in die Cloud beschleunigt werden soll, nur verstärken. "Die Migration in die Cloud ist die beste Möglichkeit für ein Unternehmen, die IT-Ausgaben bei ungewisser Nachfrage genauer zu steuern. Die Cloud bietet den Vorteil einer verbrauchsabhängigen Preisgestaltung. Deshalb glauben wir, dass die öffentliche Cloud nach dieser makroökonomischen Krise noch stärker profitieren wird, weil sie als deflationäre Kraft wirken kann."

Herrguths Argument stimmt mit Sicherheit in einer Zeit, in der die Cloud-Anbieter mit stabilen Energiepreisen kalkulieren können, doch gilt das auch in der aktuellen Situation? "Es macht keinen Unterschied, ob eine hauseigene On-premises-Infrastruktur hohen Energiekosten unterworfen ist oder der Cloud-Dienstleister", sagt Dr. Gernot-Rüdiger Engel, Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. "Der Dienstleister kann im Zweifel seine Server effizienter auslasten und dadurch kostengünstiger nutzen. So dürfte die Kostensteigerung der Cloud-Dienstleistung geringer ausfallen als die Steigerung der Energiekosten einer On-premises-Infrastruktur."

Unternehmen der IT und Telekommunikation haben im Durchschnitt erst 17 Prozent der höheren Kosten an ihre Kunden weitergereicht, der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft liegt bei 34 Prozent.
Unternehmen der IT und Telekommunikation haben im Durchschnitt erst 17 Prozent der höheren Kosten an ihre Kunden weitergereicht, der Durchschnitt der Gesamtwirtschaft liegt bei 34 Prozent.
Foto: BLACKDAY - shutterstock.com

Die IT-Branche hält ihre Preise stabil

Zumindest bislang scheinen die Preissteigerungen im Energiemarkt den IT-Anbietern nicht viel ausgemacht zu haben. So hat der Digitalverband Bitkom über eine eigene Recherche herausgefunden, dass die Unternehmen der IT und Telekommunikation im Durchschnitt erst 17 Prozent der höheren Kosten an ihre Kunden weitergereicht haben. "Die Digitalunternehmen sind damit sehr viel zurückhaltender als die Gesamtwirtschaft, wo 34 Prozent der Kostensteigerungen weitergegeben werden", so der Verband in einer Mitteilung. Die geringe Preisdynamik sei vor allem auf den Wettbewerbsdruck und die langfristigen Vertragsbindungen zurückzuführen.

Damit die Cloud für Unternehmen weiterhin erschwinglich bleibt, versucht der Verband weiterhin Druck auf die Politik auszuüben. So wies Verbandspräsident Achim Berg neulich darauf hin, dass das geplante Energieeffizienzgesetz die Auflagen für Rechenzentren massiv verschärfen würde. Dies würde aber nicht nur die Kosten der Cloud-Provider weiter in die Höhe treiben, sondern auch von jedem Unternehmen, das ein eigenes Rechenzentrum betreibt.

Deutsche Rechenzentren sollen ab 2024 zu 50 Prozent und ab 2025 komplett mit Ökostrom betrieben werden – nur ist bis dahin die Energiewende noch lange nicht umgesetzt.
Deutsche Rechenzentren sollen ab 2024 zu 50 Prozent und ab 2025 komplett mit Ökostrom betrieben werden – nur ist bis dahin die Energiewende noch lange nicht umgesetzt.
Foto: fokke baarssen - shutterstock.com

Deutsche Rechenzentren sollen ab 2024 zu 50 Prozent und ab 2025 komplett mit Ökostrom betrieben werden - nur ist bis dahin die Energiewende noch lange nicht umgesetzt.

Laut Constantin Klein hätten die großen Public Cloud Provider auf diese Weise viele Möglichkeiten, ihren Kunden verschiedene Mechanismen zur Kostenoptimierung anzubieten. "Im richtigen Mix zwischen Reservierungen - also festen Buchungen von Cloud-Ressourcen für ein bis drei Jahre - und echtem Pay-as-you-Go lässt sich so eine Kostenoptimierung bei guter Planbarkeit erreichen", so Klein.

Thomas Herrguth weist darauf hin, dass jenseits der Preisgestaltung der Cloud-Anbieter auch die Anwenderunternehmen durch Cloud-Infrastrukturen die Möglichkeit erhielten, ihre Betriebskosten zu optimieren. "Cloud-Dienste können je nach ihrer effektiven Implementierung Unternehmensausgaben senken und die Produktivität im Vergleich zu dem Aufwand für den Betrieb eines eigenen Rechenzentrums verbessern", erklärt Herrguth.

Das Argument, dass die Migration als Projekt auch Geld kostet und es vielleicht besser sein könnte, sie erst einmal aufzuschieben, will Herrguth so nicht stehen lassen. "Auch wenn Unternehmen kurzfristig sparen, können sie dies über reservierte Kapazitäten tun, um sich einen günstigen Preis zu sichern. Die Cloud wurde genau für solche Situationen entwickelt, in denen Unsicherheiten die Nutzung und Preisgestaltung nach dem Pay-as-you-go-Prinzip begünstigen. Unsere Studien zeigen, dass die Umstellung auf die Cloud bis zu 49 Prozent Einsparungen gegenüber herkömmlichen On-Premises-Umgebungen bringt."

Das größte Risiko: Am falschen Ende sparen

Die mit einer Cloud-Migration verbundenen Risiken stufen alle drei Experten als gering ein, zumindest was die Betriebskosten betrifft. Dr. Gernot-Rüdiger Engel weist darauf hin, dass die Energiepreissteigerungen primär Europa betreffen. Sofern der Cloud-Dienstleister seine Server außerhalb Europas betreibt, ist er nicht den drastischen Steigerungen der Energiekosten unterworfen. Falls die Server innerhalb der Europäischen Union betrieben werden, steigen die Betriebskosten des Dienstleisters mit den Energiekosten. Trotzdem ist das Risiko mäßig. Sofern die Wirtschaftlichkeit des Cloud-Dienstleisters sichergestellt ist, sollte eine Cloud-Migration in Anbetracht der Energiekosten kaum ein Risiko sein."

"Das größte Risiko einer verstärkten Cloud Migration zum aktuellen Zeitpunkt sehe ich persönlich darin, dass aufgrund von empfundenem oder echtem Zeitdruck die Cloud-Migration möglichst schnell, möglichst einfach - oft per Lift-and-Shift - und ohne entsprechende Planung vollzogen wird", sagt Constantin Klein. "Ohne ein strukturiertes Vorgehen, möglicherweise im Einklang mit einem Adoption Framework oder einem entsprechend erfahrenen Partner an der Seite, stellen sich dann die geplanten und gewünschten Vorteile der Public-Cloud-Nutzung nicht ein und die Projekte werden nicht als erfolgreich wahrgenommen."

Dass die Ausschöpfung der Vorteile einer Migration herausfordernd sein kann, will auch Thomas Herrguth nicht verschweigen. Er weist darauf hin, dass eine Verlagerung von Workloads in die Cloud ohne Modernisierung der Anwendungen die Betriebskosten erhöhen und die geschäftliche Agilität beeinträchtigen kann. "Unternehmen müssen die relative Priorität unterschiedlicher strategischer Ziele bestimmen, bevor sie mit der Migration fortfahren. Solche Ziele können darin bestehen, neue Umsatzmöglichkeiten zu schaffen, den Kundenstamm zu erweitern, die Kundenerfahrung zu verbessern oder die Kosten zu optimieren."

Auch sollte man sich im Klaren darüber sein, dass eine Migration das Betriebsmodell der IT verändert - und das setzt ein entsprechendes Training der IT-Mannschaft voraus. Aber: "Die Kosten für die entsprechende Weiterbildung der Mitarbeiter sollten bis zu einem gewissen Grad durch Optimierungsgewinne ausgeglichen werden, wenn Unternehmen die anfängliche Migration und Implementierung abwickelt haben", so Thomas Herrguth.

Die Cloud bleibt eine Schlüsseltechnologie

Bliebe nur noch die Frage, ob es denn einen Weg an der Cloud-Migration vorbei gibt. Zumindest die von Gartner jüngst befragten 281 Vorstände weltweit sehen diesen Weg nicht - eher das Gegenteil ist der Fall. Laut Jorge Lopez, Distinguished VP Analyst bei Gartner, hätten die Unternehmen nun einen Punkt erreicht, an dem die Digitalstrategie und die allgemeine Geschäftsstrategie ein und dasselbe seien. Und Cloud Computing gehört zu den Top 4 Technologien, welche in den Augen der befragten Vorstände am meisten zur Digitalisierung beitragen sollen, neben KI/ML, der Modernisierung von Anwendungen und der Datenanalyse.

"Die Vorstände erkennen, dass Entscheidungen in einem turbulenten Geschäftsumfeld ein höheres Maß an Risikobereitschaft erfordern", sagt Lopez. Ihnen sei klar, dass Basissysteme wie ERP oder CRM modernisiert werden müssen, weil sie in der Praxis oft viel zu komplex und starr seien, während ihre Unternehmen eher Agilität und Wandel bräuchten. "Diese Risikobereitschaft ist entscheidend, um bei diesem Innovationstempo im Wettbewerb zu bleiben", so Lopez.

Nicht zuletzt deshalb zeigt sich Gartner optimistisch, was die Entwicklung des Cloud-Marktes betrifft. So sollen die weltweiten Ausgaben für Public-Cloud-Dienste bis 2023 um 20,7 Prozent auf 591,8 Milliarden US-Dollar steigen, während für das laufende Jahr ein Volumen von 490,3 Milliarden erwartet wird. "Eine Verlangsamung der Cloud-Migration ist nicht zu erkennen", sagt Sid Nag, Vice President Analyst bei Gartner. "Der aktuelle Inflationsdruck und die makroökonomischen Bedingungen haben einen Push- und Pull-Effekt auf die Cloud-Ausgaben. Cloud Computing wird weiterhin eine Bastion der Sicherheit und Innovation sein und das Wachstum in unsicheren Zeiten unterstützen, da es flexibel, elastisch und skalierbar ist."