Der deutsche Fußball geht ins Netz

24.04.2001
Von Joachim Ripke
Spiele planen, Schiedsrichter einteilen und Fußballergebnisse bekannt geben: Künftig können Interessierte online auf Informationen des DFB zugreifen. Ein Transaction-Server hilft dabei.

Am Samstagnachmittag gegen 17 Uhr in Deutschland: Der Schiedsrichter blickt auf die Uhr und pfeift ein Fußballspiel ab. Tausendfach ertönen solche Pfiffe in allen Winkeln der Republik. Der Volkssport Nummer eins zieht Hunderttausende in seinen Bann. Im Deutschen Fußball Bund sind derzeit mehr als 6,2 Millionen Menschen in 26 827 Vereinen organisiert. Aus diesen wiederum kommen 177 784 Mannschaften, die insgesamt rund fünf Millionen Begegnungen pro Saison absolvieren. Der Spielbetrieb muss geplant (im DFB-Jargon werden Spiele "angesetzt"), Schiedsrichter müssen eingeteilt und die Ergebnisse gemeldet werden.

Im Niedersächsischen Fußballverband (NFV) liegt nun die Keimzelle für ein weltweit einzigartiges Projekt: das Sport-Informations-System (SIS). Es bildet die Grundlage für die computergestützte Organisation des gesamten Spielbetriebs im deutschen Fußball, von Spielplanung und Schiedsrichtereinteilung über Ergebnisdienst bis hin zu Passverwaltung und Vermarktung. Im Herbst dieses Jahres - zum Beginn der Saison 2002 - werden alle Landesverbände des DFB an dem System beteiligt sein - eine Ausnahme macht eventuell der Bayerische Fußballverband. Die Systemarchitektur verbindet eine Datenbankanwendung auf der Basis von Großrechner-Software mit einem Web-Frontend.

Bedingt durch die föderale Struktur des DFB erfolgt die gesamte Termin-, Spiele- und Personalverwaltung nach dem Top-Down-Verfahren: von den zwei Profiligen über die Regional- und Kreisligen bis zu den Jugendmannschaften. Die Koordination übernehmen traditionell ehrenamtliche Mitarbeiter der jeweiligen Verbandsebene.

Spielansetzer oder Staffelleiter gleichen dabei vor jeder Saison die Paarungen und Terminpläne nach einem ausgefeilten System von Rahmenspielplänen und Schlüsselzahlen ab und generieren daraus die Spielpläne. Sie werden in Spielansetzungsheften zusammengestellt, in mehreren tausend Exemplaren gedruckt und an die Vereine geschickt. Die Einteilung der Schiedsrichter erfolgt nach einem ähnlichen Verfahren.

Darüber hinaus kümmert sich jeder Verband um das Passwesen, die Sportschul- und Verbandsverwaltung, Archivierung, Finanzbuchhaltung sowie das Lizenz-Management. Dies geschieht - je nach Verband - in traditioneller Arbeitsorganisation mit Karteikarten und Ordnern oder auch in eigenen, kleineren Rechenzentren. In Niedersachsen - und in bisher fünf weiteren Landesverbänden - gehört die traditionelle Ergebnismeldung der Vergangenheit an, ebenso wie die Spielplanung und Schiedsrichtereinteilung.

Über den Online-Dienst des SIS erfassen rund 3500 Ehrenamtliche die Spielergebnisse. In Kürze sollen zusätzlich Schiedsrichter über WAP-Handys Ergebnisse eingeben können. Sportline.de bildet damit das Kommunikationsportal für das Verwaltungs- und Kommunikationssystem SIS. Rund 2200 Sportvereine aus dem nördlichen Bundesland - 91 Prozent der aktiven Vereine - sind mit derzeit circa 6000 regelmäßigen Nutzern in diesem System aktiv. Über Ergebnismeldungen und -abfragen der circa 30 000 Fans erfolgen rund 200 000 Seitenzugriffe.

Durch das SIS sind die Ergebnisse aller Spielklassen im Amateur-, Senioren- und Jugendbereich bereits am Sonntag verfügbar. Jeder Interessierte kann sich im Internet über Ergebnisse, Tabellenstände und den Spielplan informieren. Hier sind auch ein Online-Shop mit Fanartikeln sowie ein Newsdienst zu finden. Das ist aber nur das öffentliche Schaufenster des SIS. Im nichtöffentlichen Teil werden in einer geschlossenen Benutzergruppe Verwaltungs- und Kommunikationsaufgaben geregelt. Das SIS bietet Sportfunktionären Informationen über Spielplanänderungen ohne Zeitverzögerung, Änderungen des Reglements, das Passwesen etc. Allgemein gesagt, erledigt der Verband mit dem SIS die Arbeitsprozesse seiner Sportverwaltung.

Da Spielpläne, Schiedsrichtereinteilungen etc. nicht mehr verschickt werden, ließ sich allein die benötigte Papiermenge um eine Million Blatt pro Jahr verringern. Weitere Einsparungen brachten die Automatisierungen bei Spielplanung und Schiedsrichtereinteilung sowie die Schließung des eigenen kleinen Rechenzentrums im Gebäude des Niedersächsischen Fußballverbands. Die IT für das SIS verlagerte man in ein externes Rechenzentrum, das vom Merkur Systemhaus für Dialog-Kommunikation in Einbeck betrieben wird. Der niedersächsische Landesfußballverband beziffert seine gesamten Kosteneinsparungen durch das SIS auf 30 bis 40 Prozent jährlich.

Auf Initiative und mit Unterstützung von Siemens Nixdorf sowie unter Beteiligung der Fachhochschule Hannover hob der Niedersächsische Landesverband 1994 das SIS aus der Taufe. Ziel war es, ein neuartiges Informationssystem im Sport zu entwickeln. Bereits damals existierte ein nichtöffentlicher Teil etwa für Schriftführer von Vereinen und ein öffentlicher Teil mit Spielergebnissen und Tabellen. Die technische Grundlage bildete ein BS2000-Mainframe mit Terminals, über die Daten, zum Beispiel Spielergebnisse, in eine "SESAM"-Datenbank eingegeben wurden. Über ein AUI-Switch war der Großrechner mit einem Unix-System verbunden, auf dem die BTX- und später die T-Online-Frontoffice-Anwendung lief. Diese proprietäre Zwei-Tier-Architektur war von Anbeginn an auf Erweiterungs- und Ausbaufähigkeit angelegt.

Seit Anfang 1996 veröffentlicht der Niedersächsische Fußballverband unter www.sportline.de sämtliche Ergebnisse, Tabellen und Spielverlegungen im Internet. Um diese Web-Präsenz zu ermöglichen, modifizierte man schrittweise die Systemarchitektur. Geschäftskritischer Kern blieb die relationale, SQL-fähige SESAM-Datenbank auf einem Computer vom Typ C70-B. Hinzu kam aber ein unter Unix laufender RM-300-Kommunikationsrechner. Als Applikations-Server beherbergt er den Netscape "Suitespot Webserver" sowie die von Fujitsu Siemens stammende Software "Web Transactions" für den Zugriff auf die Mainframe-Daten und die T-Online-Server-Software. Eine weitere Komponente war ein Cisco-Router für die Anbindung an das 34-MBit/s-ISDN-Backbone der Deutschen Telekom.

Für die Vermarktung des Online-Dienstes wurde im Jahr 1996 die Sportline SIS Sportmarketing GmbH (sportline) gegründet. Das fünfzigprozentige Tochterunternehmen des Niedersächsischen Fußballverbands kümmert sich darüber hinaus um die Vermarktung der Web-Seiten. Die Sportline-Macher erkannten, dass die IT-Ausstattung trotz der Internet-Fähigkeit noch Defizite hatte. Aus diesem Grund gaben sie den Anstoß zu einem weitreichenden Umbau. Ein Leitgedanke war dabei der Wunsch, die bisher eingesetzte Großrechner-Datenbank mit einem relationalen Datenbanksystem auf Unix-Basis zu ergänzen. Die neue Datenbank sollte Verbesserungen in der Bedienung und der Zahl der verwendbaren Zeichen bringen. Neben der verbesserten Internet-Fähigkeit kam die Unabhängigkeit von T-Online als weiteres Ziel hinzu. Dabei sollte der geschäftskritische Kern mit der Großrechner-Anwendung erhalten bleiben und lediglich um Komponenten ergänzt werden.

Unter mehreren Konzepten für den Umbau der SIS-Systemarchitektur entschied sich der NFV Anfang 1998 für eine Architektur aus BS2000-Mainframe, Unix-Rechnern, Oracle 8-Datenbank, betriebswirtschaftlicher Software von Baan und Kommunikations-Tools von Fujitsu Siemens Computers - letztere nahm man allerdings erst nachträglich in die Konzeption auf. Zunächst sollte die Baan-Software auch deren Aufgaben übernehmen. Der Hersteller hatte sich als Anbieter von integrierten und Internet-fähigen Business-Lösungen präsentiert und versprochen, die vom NFV gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Die Wegstreckenoptimierung für Schiedsrichtereinsätze erklärte Baan etwa als problemlos mit dem Servicetechnikermodul von "Baan IV" umsetzbar.

Die Implementierung der neuen Systemarchitektur begann Ende 1999. In dieser Zeit war auch das Vorhaben, das SIS in weiteren Verbänden im DFB einzuführen, weit vorangeschritten. Die Projektkoordinierung lag bei Mitarbeitern aus dem EDV-Fachbereich des NFV. Mit der wachsenden Komplexität des Projektes zeigten sich indes zwei Probleme: Einerseits waren die NFV-Mitarbeiter zunehmend mit der Aufgabe überfordert, und andererseits musste man die zunächst geplante Architektur wegen nicht ausreichender Skalierbarkeit mancher Komponenten modifizieren. Eine Konsequenz war die Übergabe der gesamten Projektkoordination an die Sportline GmbH im Mai 2000. Eine weitere war die Entscheidung für die Aufspaltung der Architektur in Applikations- und Kommunikationsschicht.

Die Baan-Anwendung verarbeitet seither weniger transaktionsintensive Dienste wie Spielplanung und Schiedsrichtereinteilung, Passwesen, Verbandsverwaltung und Finanzbuchhaltung. Dagegen wurde den Verantwortlichen für den Ergebnisdienst die Notwendigkeit einer skalierbaren, sicheren und ausbaufähigen Plattform bewusst.

Die Kommunikationsschicht mit der Connectivity-Software "Web Transactions" von Fujitsu Siemens arbeitet auf einem Applikations-Server, der sowohl auf Unix-Rechnern als auch auf Mainframes läuft. Web Transactions verwandelt dabei die am Web-Frontend eingehenden Anforderungen an der HTML-Oberfläche in Aufrufe an die Cobol-Applikationen im Großrechner. Die Ergebnisse werden dann in die Oracle-Datenbank eingetragen.

Wesentlicher Bestandteil der Migration ist auch der Umstieg vom Rechenzentrum im Keller des NFV zu einer geografisch verteilten Systemumgebung. Sie besteht aus einem Mainframe-Unix-Cluster SR2000 mit getrennten Datenbank- und Applikationsservern in einem Rechenzentrum (RZ) der Firma Merkur. Ein EMC-Speichersystem sorgt hier für die zentrale Datensicherung. Die Verbände sind direkt an das Rechenzentrum angeschlossen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Vereine und die Schiedsrichter, die ihre Ergebnismeldungen via PC oder WAP-Handy in das System eingeben wollen, haben einen Extranet-Zugang zum Rechenzentrum des deutschen Fußballs. Diese Gruppe von Anwendern muss immer den Weg über das RZ der Deutschen Telekom in Kiel nehmen, um über eine gesicherte Verbindung nach Einbeck in das RZ Merkur auf die eigentlichen Applikationen zu gelangen.

Diese gesicherte Datenleitung verbindet das Rechenzentrum mit Unix-Systemen der Deutschen Telekom in Kiel. Dort werden zum einen die Daten des Rechenzentrums repliziert und befindet sich zum anderen der IP-Zugang zum öffentlichen Benutzerkreis im Internet. Mit seiner enormen Kapazität bietet das RZ der Telekom eine Plattform für das Webhosting für den öffentlichen Teil des SIS-Online-Dienstes unter sportline.de sowie den Zugang zur geschlossenen Benutzergruppe unter sportline.net.

Der DFB hat gemeinsam mit seinen Regional- und Landesverbänden im Dezember 2000 eine Grundsatzentscheidung für die bundesweite Einführung des SIS gefällt. Die föderalen Organisationsstrukturen erschweren die Durchführung allerdings erheblich. Daher hat die sportline GmbH ein zweistufiges Roll-Out-Konzept entwickelt, um die Regional- und Landesverbände des Deutschen Fußball Bundes nach und nach in das SIS zu integrieren. Dabei geht es sowohl um den Prozess der Softwareeinführung als auch um die Schulung von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Mit dem Beginn des Jahres 2001 nehmen zunächst 5000 Vereine aus fünf Fußball-Landesverbänden mit über 1800 verschiedenen Ligen am SIS teil. Zum Start der neuen Spielsaison werden weitere elf Landesverbände dazu stoßen. Damit sind dann 16 Verbände aus dem DFB in das SIS integriert. In einer zweiten Roll-out-Phase steht dann mit den restlichen Verbänden die Ausdehnung des SIS auf das gesamte Bundesgebiet an.