Potenzial beim Internet-Shopping ist längst nicht ausgeschöpft

Der deutsche Einzelhandel muss ins Web

16.03.2001
MÜNCHEN (CW) - Der Einstieg ins Internet ist für den Einzelhandel zwingend notwendig. Deutschland gilt als der B-to-C-Markt mit den größten Wachstumspotenzial im E-Commerce in Europa. Zu diesem Schluss kommt die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young, die vergangenen Herbst 7200 Online-Käufer und Führungskräfte in zwölf Ländern befragt hat.

Laut Ernst & Young ist es durchaus wahrscheinlich, dass im Jahr 2005 ein Viertel der Produkte aus Kategorien, die sich besonders gut via Internet verkaufen lassen - etwa Bücher, CDs, Software und Unterhaltungselektronik - online bestellt werden. Bei Kleidung und Accessoires sowie Spielwaren könne dieser Prozentsatz auf zehn bis zwölf Prozent steigen. Im Moment liege der Online-Anteil in allen Produktkategorien bei durchschnittlich zwei Prozent.

Die Experten begründen ihre Wachstumsprognosen vor allem damit, dass Deutschland über eine hervorragende Infrastruktur für den Handel mit dem Endverbraucher via Internet verfüge. So sei das Versandwesen verhätnismäßig stark entwickelt und habe auch bereits im Netz Fuß gefasst.

Verschärfter WettbewerbZudem nehme die Internet-Nutzung - speziell via Hochgeschwindigkeitszugriff - weiter zu: Den Marktforschern von IDC zufolge werden ISDN-Dienste hierzulande mehr genutzt als in den übrigen westeuropäischen Ländern. 35 Prozent der deutschen Haushalte verfügen mittlerweile über einen PC und 22 Prozent über einen Online-Zugang. 7,4 Prozent der Deutschen kaufen bereits im Netz ein.

Analysten rechnen zudem mit einer baldigen Bereinigung im B-to-C-Markt. Speziell in der Buch- und Musikindustrie habe sich der Wettbewerb verschärft. Den traditionellen Einzelhändlern bleibe praktisch gar nichts anderes übrig, als ihr Angebot ebenfalls im Netz zu präsentieren. "Wenn man in unserem Marktsegment nicht ins E-Business einsteigt, dürfte man bald zu einem Dinosaurier werden und aussterben", bestätigt Jens Larbus, Sales Manager bei World of Music (WOM).

Allerdings haben die Einzelhändler beim Einstieg in den E-Commerce noch einige Hürden zu überwinden. Abgesehen davon, dass ein Teil der Surfer - zum Beispiel Jugendliche - gar nicht im Besitz einer Kreditkarte ist, bestehen noch immer große Sicherheitsbedenken beim Bezahlen per Kreditkarte. Bei der Ernst-&-Young-Umfrage erklärte mehr als ein Drittel der Befragten, sie hätten kein Vertrauen in Online-Händler. Das betrifft laut Sohler vor allem Anbieter, denen es noch nicht gelungen ist, einen bekannten Markennamen aufzubauen.

Derzeit beträgt der durchschnittliche Auftragswert laut Ernst & Young nur 656 Dollar jährlich pro Online-Käufer. Im internationalen Durchschnitt sind es 723, in den USA sogar 896 Dollar. Dabei liegt der Wert der online gekauften Waren in Deutschland zu 26 Prozent unter 100 Dollar - ein Auftragswert, bei dem der Händler laut Armin Sohler, Leiter RCP (Retail- und Consumer-Product-Industrie) bei Ernst & Young, wegen der hohen Kosten durch Rücksendungen praktisch nichts mehr verdient.

Mehr als 80 Prozent der Online-Shopper haben in den vergangenen zwölf Monaten Produkte von nur durchschnittlich vier verschiedenen Sites gekauft, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage. Dabei führt der virtuelle Einkaufsbummel in weniger als der Hälfte der Fälle zur Bestellung. Zu 28 Prozent endet das Surf-Erlebnis mit einem Kauf beim stationären Händler - in 14 Prozent der Fälle kommt es überhaupt nicht zum Kauf. Damit der durchschnittliche Wert der Aufträge steigt, müssen die Anbieter die Wünsche ihrer Kunden besser berücksichtigen, so Sohler. Zum Beispiel erwarteten die Verbraucher, im Netz das gleiche Warensortiment wie im Laden vorzufinden. Diesem Anspruch würden jedoch nur 44 Prozent der befragten Unternehmen gerecht.

Zudem müssten Anbieter die Logistik ausbauen - etwa über Allianzen mit Speditionsfirmen - und die Benutzeroberfläche ihrer Web-Shops verbessern: Laut Umfrage wünschen sich 55 Prozent der Online-Käufer eine schnellere Lieferung der Ware, 48 Prozent dauert der Kaufprozess an sich zu lange. Weitere für die Konsumenten wichtige Punkte sind attraktive Preise - 48 Prozent der Online-Shopper rechnen mit Schnäppchen im Netz - sowie niedrige beziehungsweise gar keine Versandkosten.

Auch beim Operieren über mehrere Vertriebskanäle besteht laut Sohler Nachholbedarf. Der Experte begründet die Zurückhaltung der Firmen vor allem mit ihrer Angst vor den Kannibalisierungseffekten, die eine Multichannel-Strategie zwangsläufig mit sich bringe. Diese Angst sei jedoch unbegründet: "Die Frage ist nicht, ob ein Unternehmen online verkaufen soll oder nicht, sondern vielmehr, wie es den Online-Handel erfolgreich in seine Geschäftsstrategie einbeziehen kann."

Abb: Die meistbesuchten Sites der Online-Käufer

85 Prozent der Online-Shopper kaufen ihre Produkte bei weniger als fünf verschiedenen Anbietern. Favorit war laut Ernst & Young die Internet-Buchhandlung Amazon.de, gefolgt von Otto Versand, Bol.de, Karstadt/Quelle und Ebay. Auch sehr beliebt sind die Sites von Conrad Electronic und der Drogerie Vitago. Quelle: Ernst & Young