Der Computer auf dem Wege zum Endbenutzer

24.10.1975

Fachbeirates der Systems und Vorstandsmitglied der Allianz Vers. AG, sprach CW-Chefredakteur Dr. Gerhard Maure

-Das Thema der SYSTEMS 75 heißt "Der Computer auf dem Wege zum Endbenutzer". Hatte er sich eigentlich von diesem Endbenutzer zuvor entfern?

Das nicht, aber der Sachbearbeiter mußte viele seiner Funktionen an den Computer abgeben. Während er ursprünglich sein Material am Arbeitsplatz hatte oder aus der Registratur holte, übernahm das weigehend der Datenspeicher. Die Arbeitweise wurde dadurch, wesentlich geändert. Das ist vielleicht auch mit ein Grund ,daß der Computer sich nicht immer der größten Beliebtheit erfreut.

- Das hatte ja, nun zur Folge, daß die organisatorisch gewachsenen Arbeitsabläufe vielfach unterbrochen werden mußten, man hatte Stunden zu warten, bis auf den Stapelverarbeitungsmaschinen die entsprechenden Arbeiten erledigt wurden, die gemacht werden mußte, damit man einen Vorgang weiter oder zu Ende führen konnte. Man hat dies auch die "Vertreibung aus dem Real-Time-Paradies" genannt. Ändert sich nun Wesentliches?

Ihre Feststellungen sind richtig allerdings muß man berücksichtigen, daß jenes "Real-Time-Paradies" ein manuelles und damit ein sehr umständliches, zeitraubendes und damit auch teures Paradies war. Um elektronische Real-Time-Paradies zu erreichen, mußte das Fegefeuer Zentralisation durchschnitten werden. Dazu mußte das Datenmaterial im Zuge der Zentralisation so vereinheitlicht werden, daß es über Programme abrufbar wurde - Vorbedingungen für eine automatische dezentrale Bearbeitung.

- Würden Sie das bitte etwas präzisieren?

Zum Beispiel: An einer Adresse erkennt der intelligente menschlich Sachbearbeiter sofort, ob der Voroder Nachname zuerst auftaucht bzw. er kennt Abkürzungen jederzeit. Der Computer braucht dafür eine einheitliche Nomenklatur. Sonst verwechselt er den Ort mit dem Namen, den Titel mit dem Vornamen usw.

- Das ist nun erreicht. Man hat dann die Einführung der EDV geradezu erzwungen: Einheitliche Schlüssel, einheitliche Begriffsfolgen. Somit war diese Phase der EDV Vorabinvestition in eine wieder mehr ablauforientierte dezentralisierte Organisationsform.

Der Kreislauf schließt sich wieder. Der Sachbearbeiter erhält das bereinigte und vereinheitlichte Material zurück an seinen Arbeitsplatz. Er kannt leichter damit arbeiten, weil ihm die Maschine hilft. Wir sind also in das echte "Real-Time-Paradies" gekommen, das heißt, wir haben eine Verarbeitung auf höherem, qualitativ und quantitativ besserem Niveau als im manuellen Zeitalter erreicht.

-Hat man dieses Ziel immer im Auge gehabt?

Wenn ich ehrlich sein soll, nein. Nun nachträglich allerdings fügt sich alles logisch aneinander. Die erste Rationalisierungsstufe -von der dezentralen Bearbeitung und Speicherung zur zentralen - wurde in Angriff genommen, als wir noch nicht wußten, was ein direkter Zugriff ist. Die Zentralisierungsphase war sachlich und psychologisch die schwierigste. Sie hat sich aber gelohnt, weil inzwischen über den direkten Zugriff die Möglichkeit gegeben ist, bei zentraler Speicherung die dezentrale Bearbeitung wieder einzuführen.

- Und das neue Stichwort heißt "Aktenlose Sachbearbeitung". Ist denn das nun Zukunftsmusik oder gibt es so et was schon öfter als nur in Pilotinstallationen?

Wir sind über das Teststadium schon hinaus. In einer Reihe von Betrieben wird die aktenlose Vertragsbearbeitung bereits praktiziert. So werden zum Beispiel bei der Allianz etwa vier Millionen Versicherungs-Verträge, ein Teilbestand aus unserem Gesamtbestand, in dieser Weise bearbeitet. Weitere vier Millionen Versicherungen sollen im nächsten Jahr in den aktenlosen Bearbeitungssektor überführt werden.

- Bringt denn das nicht irrsinnige Datenerfassungsprobleme mit sich?

Wenn wir alles Auf einmal umstellen würden, wäre diese Sorge berechtigt. Wir gehen jedoch in Phasen vor. Von einem bestimmten Stichtag an werden die neuen Daten computer gespeichert, die konventionell gespeicherten Daten laufen aus. Der neue Bestand baut sich relativ rasch auf.

-Das ist sicherlich richtig im Bereich der Kraftfahrzeug-Versicherungen. Die Autos laufen halt nur so ihre bekannte Zahl von Jahren. Aber sicherlich gibt es doch auch Bereiche, wo eine Überführung in ein vollautomatisches Verfahren Erfassungsprobleme enormer Größenordnung mit sich bringt - gerade bei einer so großen Gesellschaft wie der Allianz.

Das Kapazitätsproblem wird gemildert durch die Tatsache, daß wir nur codierte Angaben übernehmen. Der eigentliche Schriftwechsel und die sonstigen Akteninhalte werden hingegen nicht auf Plattenspeicher übertragen. Sie wenden mikroverfilmt. Lediglich die Stelle, wo der Schriftwechsel zu finden ist, wird über eine codierte Ziffer in den Speicher übernommen.

- Ist das aus Ihrer Sicht - wenn wir ein wenig in die Zukunft blicken- eigentlich nur eine Zwischenlösung. Muß man sich mit der nichtcodierten Informationsspeicherung auf dem Mikrofilm behelfen?

Zur Zeit ist es das sicherlich einfachste Verfahren. Es sind allerdings auch Versuche bekannt, mit dem Ampex-Verfahren - also der Bild-Auf-zeichnung auf Magnetbändern - den Schriftwechsel so zu erfassen, daß er ebenfalls direkt zugreifbar ist. Zur Zeit ist das allerdings nicht ganz billig. Dafür ist praktisch ein zweites elektronisch gesteuertes Informations- und Speichersystem erforderlich. Wie ich kürzlich bei einem USA-Besuch erfuhr, planen die Hersteller "Non coded Systems" - also die direkte Bild-Aufzeichnung auf Magnetspeicher wie Spindeln, Platten, Bänder oder ganz-neuartige Datenträger. Diese neuen Speicher werden online mit dem Zentralcomputer und den "Coded Informations" verbunden sein.

- Sie halten es also für wahrscheinlich, daß man in kommenden Jahren neben dem Mikrofilm auch die "Quasiverfilmung", nämlich die "Vermagnetisierung" von Schriftstücken zunehmend antreffen wird.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird das Problem sicherlich so gelöst sein, daß eine echte Konkurrenz zum Mikrofilm-Verfahren besteht. Der Benutzer wird dann zu entscheiden haben, ob es für ihn zweckmäßiger ist, im System zu bleiben oder zwei verschiedene Wege für die Speicherung zu benutzen.

- Welche Auswirkungen hat nun diese Entwicklung in der Zentrale auf die Peripherie, auf die Arbeitsplatzgestaltung beim Sachbearbeiter?

Der Sachbearbeiter braucht an seinem Arbeitsplatz eine kleine Datenstation. Und er benötigt allerdings auch die Verbindung zum Mikrofilm, wenn er echt aktenlos arbeiten soll. Der Arbeitsplatz wird deshalb eine neue, vom bisherigen Schreibtisch abweichende Form erhalten müssen. Für Bildschirm, Mikrofilmleser und die übrigen technischen Hilfsmittel muß ein "Gemeinsames Fahrgestell" konstruiert werden und mit dem Arbeitstisch kombiniert werden.

- Zurück zum SYSTEMS-Motto. Es heißt der Computer kommt zum Endbenutzer. Aber stimmt denn das wirklich? Ist der Sachbearbeiter wirklich der letzte? Ist nicht der Kunde der Endbenutzer?

Das Endergebnis der Entwicklung ist sicherlich, daß der Kunde direkt mit dem zentralen Computer in Verbindung kommt. Ansätze gibt es in der Praxis bereits. Auf dem Bankensektor, im Supermarkt, im Reisebüro. In den USA hat man dafür den Begriff "Autotransaction" gefunden, den man als verbraucherorientierte Datenerfassung am Ursprungsort bezeichnen könnte. Diese Entwicklung schließt die augenblicklich laufende nicht aus, sondern ergänzt sie organisch. Erfahrugen, die wir mit den Sachbearbeiter-Netzen sammeln, werden eines Tages den Kundeninformations-Netzen zugute kommen beziehungsweise auf sie sinngemäß übertragen werden können.

-Wie versteht sich nun die SYSTEMS als Ausstellung unter diesem Motto "Der Computer kommt zu Endbenutzer"? Als man diese Losung wählte, dachte man doch sicherlich an die mehr naheliegenden Dinge und nicht bereits an Autotransaction und dergleichen?

Meiner Ansicht nach ist es kein Zufall, daß das Gros der Aussteller bzw. der ausgestellten Hardware sich auf mittlere und kleinere Peripheriegeräte konzentriert beziehungsweise auf alles, was zu deren Unterstützung notwendig ist. Es gibt letztendlich nur einen begrenzten Computerbedarf bei der Zentrale. Der Bedarf bei den Sachbearbeitern ist erheblich qrößer - wenn man bedenkt, daß allein sechs Millionen Menschen in der Bundesrepublik am Schreibtisch arbeiten. Von den Kunden gar nicht zu reden.

-Man kann aus der Not auch ein Tugend machen. Wollen Sie wirklich sagen, daß unter dem Motto "Der Computer kommt zum Endbenutzer" die Präsenz der großen Hersteller au der SYSTEMS gar nicht erforderlich wäre?

Wenn die Großen auf die Peripherie verzichten, ist ihre Anwesenheit auf einer so anwenderorientierten, benutzerfreundlichen Veranstaltung wie der SYSTEMS in der Tat fraglich. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß die Computerhersteller das Milliarden-Geschäft der Versorgung der Millionen Endbenutzer mit Bildschirmen, kleineren Druckern und ähnlichen Kontaktgeräten ihrer Konkurrenz überlassen wollen. Ich glaube deshalb bestimmt, daß sie auf der SYSTEMS 77 vertreten sein werden.