Überlappende Qualifikation und neue Berufsbilder gefragt:

Der ClM-Erfolg hängt stark von Personalressoursen ab

31.10.1986

KÖLN - Der in Zusammenhang mit der computerintegrierten Fertigung geprägte Werbeslogan CIM-Salabim verliert in der betrieblichen Realität schnell seine zauberformelartige Wirksamkeit. Denn CIM ist kein Fertigprodukt, sondern eine Langzeitphilosophie für die Konzeption und Organisation der Informationsverarbeitung in der Fertigungsindustrie. Ganz wesentlich hängt die Schaffung einer integrierten Lösung von den Personalressourcen des jeweiligen Unternehmens ab.

DV-technisch hat CIM die Integration aller Informationsverarbeitungsanwendungen im Unternehmen zum Ziel. Dazu braucht man Hardware, Software, Datenbanken und Netzwerke. Diese Vernetzung darf am Zaun des Werksgeländes nicht enden. Fernziel ist der Informationsverbund zwischen den Unternehmen der Fertigungsindustrie und ihren Geschäftspartnern.

Die Machbarkeit von CIM hängt wesentlich von den Personalressourcen im Unternehmen ab und von den Möglichkeiten, von außen zusätzliches Know-how einzukaufen. Und da CIM mit dem jetzt vorhandenen Personal realisiert werden muß, kann dies nur einen stufenweisen behutsamen Prozeß bedeuten.

Umdenken im Unternehmen

Gewachsene Organisationsstrukturen, gewachsene und gefestigte Berufsbilder, weitgehend bestimmt durch Arbeitsstreitigkeit (Taylorismus), können nicht von heute auf morgen über Bord geworfen werden. Der ClM-Gedanke erfordert zuallererst ein Umdenken in der Unternehmensphilosophie, die Einbeziehung der Information als wichtigen Produktionsfaktor in die strategische Planung des Unternehmens.

Auch muß erst einmal definiert werden, welche Strategie das Unternehmen verfolgt. Viele Unternehmen waren in der Vergangenheit Anhänger einer Strategie der Kostenführerschaft, Kostensenkung um jeden Preis, um damit am Markt wettbewerbsfähig zu sein. Andere, zahlenmäßig nicht so viele, verfolgten eine Strategie der Technologieführerschaft. Sie wollten mit den technologisch besten Produkten sich Marktanteile sichern. Einige wenige haben erkannt, daß mit einer Strategie der Serviceführerschaft Marktanteile zu gewinnen und zu halten sind. Nur nach Festlegung der Unternehmensstrategie ist die Festlegung der Prioritäten im Bereich des Informationsmanagements möglich.

Informationsmanager als Beruf fehlt

Überhaupt Informationsmanagement: Auch hier gibt es noch keine klaren Berufsbilder. Den "Informationsmanager" gibt es noch nicht. Ebenso wenig existieren Berufsbilder, geschweige denn Ausbildungsgänge, für den "Information Ressource Manager", sozusagen den elektronischen Bibliothekar, der stets genau weiß, was wo und wie an Informationen vorhanden ist. Gefragt sind weiterhin Kommunikationsanalytiker, die neben dem Wissen über die rein technische Kommunikation auch die soziologischen Aspekte zu berücksichtigen in der Lage sind.

Weiterhin brauchen wir den Spezialisten für IDV individuelle Datenverarbeitung), für den es nicht ausreicht, daß er ein PC-Freak ist. Und wir brauchen Anwendungsprogrammierer, die in der Lage sind, sich in die Denk- und Arbeitsweisen des künftigen Benutzers zu versetzen.

Der Aufwand für die Gestaltung einer Benutzeroberfläche wird oft noch unterschätzt. Er ist um ein Vielfaches höher als der Codieraufwand für die reinen internen Funktionen des Programms.

Überlappende Qualifikation

Dann wäre da noch der Datenbankanalytiker, der in der Lage ist, für die gesamte betriebliche Umgebung ein komplexes umfassendes logisches Datenbankdesign zu machen. Er muß die oftmals verworrenen Informationen und Kommunikationsflüsse erkennen und im Hinblick auf eine produktive leistungsfähige Industrieverwaltung konzipieren und in das entsprechende Design umsetzen.

Und nicht zu vergessen die Anwender. Im technischen Bereich haben wir es nut Arbeitern, Meistern, Angestellten im technischen Büro, Ingenieuren und Wissenschaftlern zu tun, die zumeist während ihrer Ausbildung nie mit einem Computer in Berührung gekommen sind. Sie müssen jetzt mit diesem "Ding" fertig werden. Und jetzt kommt auch noch CIM, ein Konzept, das von ihnen verlangt, sich mit abteilungsübergreifenden Problemen auseinanderzusetzen, das vom Ingenieur verlangt, daß er betriebswirtschaftliche Zusammenhänge erkennt und bei seinen Entscheidungen berücksichtigt. Nur, wie er das machen soll, hat er nicht gelernt.

Innerbetriebliche Weiterquallfizierung

Hier muß die innerbetriebliche Weiterqualifizierung ansetzen. Sie wird für die Unternehmen zu einer Hauptaufgabe der Personalentwicklung in den nächsten Jahren. Aber es fehlt an ausgebildeten Qualifizierungsspezialisten, die in der Lage

sind, ein entsprechendes Qualifizierungskonzept für ein Unternehmen aufzustellen.

Insgesamt muß bei allen, Anwendern wie Systementwicklern, das Verständnis dafür wachsen, daß das Unternehmen selbst ein integratives, operatives System darstellt, dessen Funktionieren von der Integrationsfähigkeit jedes einzelnen abhängt. Hierzu benötigt der Mitarbeiter künftig eine "überlappende Qualifikation".

"T-Shape" wäre eine mögliche Zielvorstellung. Sie bedeutet, daß der einzelne Mitarbeiter auf seinem Spezialgebiet über in die Tiefe gehende Kenntnisse verfügt, er aber zusätzlich auf einer höheren Ebene arbeitsplatz- beziehungsweise bereichsübergreifende Fähigkeiten besitzt, die es ihm erlauben, die von ihm zu bearbeitenden Vorgänge im Zusammenhang zu verstehen, und ihm vielleicht auch das ein oder andere Mal die Möglichkeit geben, seinen Kollegen am vor- oder nachgelagerten Arbeitsplatz zu vertreten.

Mangel an Informatikern

Wenn nun schon die bereits in den Betrieben tätigen Mitarbeiter nicht über die notwendige Qualifikation verfügen, die wünschenswert wäre, wie sieht es dann wenigstens bei unseren jetzigen Hochschulabgängern aus? Die Antwort lautet: schlecht.

Informatiker sind rar, die Studiengänge mittlerweile überlaufen. Die Folge ist, daß die Unternehmen bei ihrer Rekrutierung auf andere Fachrichtungen ausweichen, in der Hoffnung, dort ausbaufähige Grundqualifikation zu finden.

Leider ist es auch nicht so einfach, Studienpläne an deutschen Hochschulen zu ändern. So gibt es immer noch Ingenieure, die die Hochschule nach vielen Jahren verlassen und in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal sich mit Informationsverarbeitung und CA-Technologien auseinander gesetzt haben. Derartige Vorlesungen und Seminare können derzeit von Hochschullehrern nur optional angeboten werden. Studenten, die diese einmalige Chance einer zusätzlichen Qualifikation nicht verstehen, merken erst bei der Stellensuche, daß ihnen für die Bewältigung des Berufslebens einiges fehlt.

Betriebswirte werden derart mit theoretischem Ballast befrachtet daß für praxisnahe Fähigkeiten kein Platz mehr bleibt. Das gleiche gilt mittlerweile für den in der Vergangenheit so erfolgreichen Aufbaustudiengang zum Diplom-Wirtschaftsingenieur. Mehr Theorie, mehr akademisches Wissen und längere Ausbildungszeiten in der Folge lassen die Attraktivität dieser Zusatzqualifikationen sinken.

Ruf nach anderen Studiengängen

Die Industrie wünscht sich schon lange den fundiert technisch ausgebildeten Informatiker, der die betrieblichen Zusammenhänge versteht und auch die im ingenieursmäßigen Sinne technischen Abläufe begreift, beherrscht und gestalten kann. Darüber hinaus ausgerüstet mit einem fundierten, praxisbezogenen Wissen der Betriebswirtschaft und das Ganze ergänzt um ein praxisbezogenes Paket mit dem Handwerkszeug für die Organisationsentwicklung mit Kenntnissen der Sozialwissenschaften, Arbeitswissenschaften und Arbeitspsychologie. Die Realität der Studiengänge ist hiervon leider noch weit entfernt.

Anwendungsorientierte Praktika sinnvoll

Was kann man tun, um für die eigene, möglichst richtige Ausbildung zu sorgen?

Einige wesentliche Punkte seien hier stichwortartig genannt. Sie erscheinen vielleicht trivial. Doch sie beruhen auf der Erfahrung aus vielen Bewerbergesprächen:

- Die richtige Hochschule auswählen.

- Anwendungsorientiertes Praktikum.

- Den Studienplan T-shape-artig zusammenstellen

- Die praktische Betriebswirtschaft nicht für gering erachten.

- Organisationsentwicklung erlernen.

- Akademische Spielereien nicht übertreiben.

- Englischkenntnisse ausbauen.

- Praktische Projektplanung erlernen.

- Sensibilität für soziale Veränderungen entwickeln.

- Sich informieren, wo immer es geht, über die Welt "draußen" außerhalb der Hochschule.

*KIaus Richter ist Geschsäftsbereichsleiter Informationsverarbeitung bei Scientific Consulting Dr. Schulte-Hillen BDU, Köln.