Eine kurze Geschichte des IT-Chefs

Der CIO - totgesagt und alle Hände voll zu tun

20.06.2013
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Die Privatisierung der Hardware

Andreas Resch: "Die IDV war der erste Bruch im Selbstverständnis."
Andreas Resch: "Die IDV war der erste Bruch im Selbstverständnis."
Foto: Andreas Resch

Fast gleichzeitig mit den Fertigungplanern und Ingenieuren entdeckten die Büroangestellten die Vorteile einer "individuellen" Datenverarbeitung, die damals tatsächlich als IDV tituliert wurde, obschon sie stark standardisiert war. Spätestens Mitte der 80er Jahre rüstete jedes Unternehmen, das etwas auf sich hielt, seine Sachbearbeiter mit "Personal Computern" aus. Hier entstand eine immer größer werdende Nische, für die der DV/Org.-Leiter kraft seines Amtes verantwortlich zeichnete, ohne dass er direkt Einfluss darauf nehmen konnte.

"Die IDV war der erste große Bruch im Selbstverständnis der IT-Verantwortlichen", erinnert sich Andreas Resch, ehemaliger CIO der Bayer AG, heute Managing Partner bei Modalis Management in Berlin: "Diesem Dilemma versuchten sie zu begegnen, indem sie den Mitarbeitern PCs ohne Diskettenlaufwerke bereitstellten, so dass niemand Daten mitbringen oder nach Hause nehmen konnte." Dieser verzweifelte Versuch, die Kontrolle über Daten und Anwendungen zu behalten, war die logische Konsequenz aus dem, was für die DV/Org.-Leiter einen wichtigen Teil ihres Berufsethos bildete: Datensicherheit, -konsistenz und -integration.

Die im Prinzip untragbare Situation läutete die Weiterentwicklung des DV- zum IT-Leiter ein. Die Verantwortlichen wollten sich nicht länger selbst im Maschinenraum einsperren, sondern bemühten sich, all das, was ihnen de jure anvertraut war, de facto in Besitz zu nehmen. Und das äußerte sich auch im Begriffswechsel von der Datenverarbeitung zur Informationstechnik. Auf der technischen Seite half das Client-Server-Computing den IT-Chefs, die marodierenden PCs wieder einzufangen. Daneben entwickelten sie ein Gespür für die nichttechnischen Aspekte der Informatik: ihren Nutzen für das Unternehmensgeschäft. Wer von Informationen statt von Daten spricht, hat diese Dimension schon im Kopf.

Raus aus dem Konzern

Diese Informationen befanden sich - ebenso wie die für ihre Übermittlung, Verarbeitung und Speicherung nötige Technik - immer öfter nicht mehr im unmittelbaren Einflussbereich des IT-Leiters. 1990 lagerte Daimler-Benz seine IT in eine Tochtergesellschaft namens Debis aus - mit dem Ziel, deren Dienstleistungen am Markt anzubieten. Was damals revolutionär war, gab es schon bald immer öfter: Unternehmen lagerten IT-Services aus, mischten Angebote unterschiedlicher Provider, verglichen Marktpreise, analysierten die eigene Performance - und beschäftigten Stäbe von Juristen, um die Verträge auszuhandeln.

Wie sich die Themen gleichen - COMPUTEWOCHE vom 24. September 1982
Wie sich die Themen gleichen - COMPUTEWOCHE vom 24. September 1982

Mit dem reinen Rechenzentrumsbetrieb hatten die IT-Leiter schon vorher nicht mehr viel zu tun. Dafür gab es das Berufsbild des RZ-Leiters, heute würde man ihn IT Operations Manager nennen. Auch der Softwareentwicklung waren sie mehr und mehr entwachsen. Jetzt mussten sie sich auch damit abfinden, dass große Teile ihres Kerngeschäfts - etwa Business-Applikationen und Desktop-Services - in fremde Hände wanderten. Und mit ihnen auch ein erheblicher Teil des Personals.

Geburtshelfer des CIO-Begriffs

Trotzdem blieb mehr als genug Arbeit. Galt es doch, die strategische Bedeutung der Informationen und der zugehörigen Technik zu erfassen sowie nutzbar zu machen. Damit rückte der IT-Verantwortliche näher denn je an das Business heran. Wenn man so will, wurde das Outsourcing zum Geburtshelfer eines neuen Begriffs: des Chief Information Officer.

Aus dem "Leiter" eines unterbewerteten Unternehmensbereichs wurde der "Officer", der den wichtigsten Rohstoff der Neuzeit unter seiner Kontrolle hatte: die Information. Eine ganze Weile schien es sogar, als sei ein Sitz im Unternehmensvorstand der nächste logische Entwicklungsschritt.

Das Internet war schuld

Indirekt war es das Internet, das die Blütenträume der CIOs als designierte Vorstandsmitglieder platzen ließ: Zum einen läutete das World Wide Web die nächste Welle der IT-Evolution ein. Wie der Forrester-Analyst Peters sicher zu Recht herausstellt, waren es diesmal die Marketing-Bereiche, die als erste auf den Zug aufsprangen. Sie sahen hier eine Möglichkeit, das Unternehmen und die Produkte zu präsentieren, ausgewählte Zielgruppen direkt anzusprechen und Feedback zu sammeln.

Zum anderen löste das WWW den Euphoriesturm aus, der als Dotcom-Blase in die Wirtschaftsgeschichte einging. Als dieses Trugbild zerplatzte, blieb ein tiefes Misstrauen der Unternehmenslenker gegenüber der IT zurück. Die Wirtschaftsflaute verführte viele Unternehmen zu einer Sparpolitik, die dort ansetzte, wo man die Wurzel des Übels vermutete: bei der IT.

Plötzlich galt die IT als teuer und wenig effektiv. Manche machten sich sogar Gedanken darüber, ob sie jemals etwas gebracht habe oder bringen werde. Die Hexenjagd gipfelte in dem 2003 veröffentlichten Aufsatz "IT doesn’t matter" von Nicholas Carr. So kam es, dass heute nur wenige CIOs regelmäßig an Vorstandssitzungen teilnehmen. Viele sind noch - oder wieder - dem Chief Financial Officer unterstellt, der eher auf Kosten-Nutzen-Rechnungen als auf strategische Optionen fixiert ist.

Alte Fehler vermeiden

Möglicherweise haben die CIOs in den späten 90er Jahren auch den einen oder anderen Fehler gemacht. Zu bereitwillig haben viele das Thema E-Business den Marketiers überlassen. Erst nachdem die ersten Projekte gegen die Wand gefahren waren, übernahmen die IT-Spezialisten. Hätten sie von Anfang an das technisch Machbare und das geschäftliche Wünschenswerte unter einen Hut gebracht, stünden sie heute vielleicht besser da.

Jetzt sollten die CIOs zusehen, dass die wichtigen Trends dieses Jahrzehnts nicht wieder an ihnen vorbeilaufen. Dazu zählen die Techniken aus dem Consumer-Bereich, also vor allem Social Media und Mobility. Vielerorts gibt es schon wieder Bestrebungen, den als zu langsam geltenden IT-Bereich zu umgehen und beispielsweise einen Chief Mobile Officer zu installieren.

Der CIO oder - so es ihn gibt - der IT-Vorstand ist in den meisten Unternehmen derjenige, der für jede Art von Informationstechnik geradestehen muss. Da ist es recht und billig, dass er auch die Weisungskompetenz für die unterschiedlichen IT-Ausprägungen im Unternehmen hat - sei es nun Security, Mobility, Social Media, Cloud Computing oder Big Data.

Das erfordert allerdings Fingerspitzengefühl. "Die Business-Manager wissen heute meist selbst, welche Technik sie brauchen, um ihre Aufgaben zu unterstützen", erläutert Forrester-Analyst Peters, "und immer häufiger ist diese Technik auch außerhalb der IT angesiedelt; sie durchdringt buchstäblich das gesamte Leben." Also benötigten die Firmen IT-Verantwortliche - Forrester nennt sie neuerdings Business Technology Officers - mit einer "anderen Qualität". Sie müssten in der Lage sein, die "pervasive" Technik wieder "einzufangen".

Was CIOs derzeit beschäftigt

Eine Entwicklung, die den CIOs im Augenblick Kopfschmerzen bereitet, ist Bring your own Device (ByoD). Für unruhige Nächte sorgen auch die Themenkomplexe "Cloud" und "Apps". Beide bezeichnen im Prinzip dasselbe Phänomen: die völlige Privatisierung der IT, nicht nur der Hard-, sondern auch der Software.

Dazu gehört die in Fachabteilungen zunehmend beliebte Vorgehensweise, Software-Services quasi mit der Kreditkarte zu beschaffen. "Software as a Service ist die nächste Welle der Freiheit für die Fachabteilungen", sagt Spies. Diese Freiheit habe allerdings oft ihren Preis: die fehlende Integration in die restlichen IT-Systeme des Unternehmens.

Eine andere Ausprägung der Tendenz zur privaten Software sind mobile Apps. "Traditionell gab es für Applikationen in Unternehmen drei Kriterien", weiß der ehemalige CIO Resch: "Sie mussten sicher sein. Sie mussten konsistent sein, also keine widersprüchlichen Informationen enthalten. Und sie mussten integriert sein. Das war bis zur Jahrtausendwende das Credo des IT-Verantwortlichen."

Heute sind diese Grundsätze offenbar außer Kraft gesetzt. Die Mitarbeiter bringen kleine Programme in die Arbeitswelt mit, die diesen Kriterien nicht mehr genügen. "Einfach mal was Kleines entwickeln", so lautet die Devise der App-Programmierer. Der grandiose Durchbruch der kleinen programmierten Abläufe, die so selbstverständlich auf Informationen aus dem Web zurückgreifen, ist eng damit verknüpft, dass sie sich nicht um die Prinzipien der Unternehmensanwendungen scheren.

Der Datenschutz, eine der heiligen Kühe der Unternehmens-IT, wird auf dem Altar des Ease-of-Use geschlachtet. Aber wehe, ein CIO würde von sich aus vorschlagen, dass er sich künftig einen feuchten Kehricht um Datenschutz, Sicherheit, Konsistenz und Integration kümmert. "Der wäre schnell weg vom Fenster", prognostiziert Resch.