Wie Coaches dabei helfen, Probleme zu erkennen und zu lösen

Der Chef und sein bester Zuhörer

01.02.2002
MÜNCHEN (am) - Ob Umstrukturierung, gestiegene Fluktuation oder Rollenwechsel vom Kollegen zum Chef, Anlässe für Coaching gibt es viele. Verstärkt stellen Firmen ihren Führungskräften externe, meist psychologisch ausgebildete Trainer zur Seite.

Problem ist ein Wort, das Michael Kremin nicht in den Mund nimmt - zumindest nicht während seiner Arbeitszeit. Im Dialog mit Managern spricht der Münchner Coach lieber von Ressourcen, die es gilt weiterzuentwickeln: "Führungsfähigkeit ist vergleichbar mit einem Orgelspiel - umso mehr Manuale einer bedienen kann, ein desto besserer Musiker ist er."

Führungskräfte in der IT haben sich in der Regel damit für ihre Position empfohlen, dass sie ein Manual perfekt beherrschen: die Technik. Doch gute IT-Spezialisten sind noch lange keine guten Manager. Verstärkt bekommen darin Neu-Manager eine befristete Begleitung durch einen meist in Psychologie geschulten Trainer. Diese externen Helfer sind auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen und behandeln auch die erhaltenen Informationen vertraulich.

Der Glaube, alles kontrollieren zu müssenKremin, der früher Softwaretrainer ausbildete und nach einem Psychologiestudium nun als Coach arbeitet, weiß, warum vielen IT-Profis der Rollenwechsel vom Kollegen zum Chef anfangs schwer fällt. Zum einen müssen sie sich eine innere Autorität aufbauen, da es nun zu ihren Aufgaben gehört, mit früher gleichrangigen Kollegen ein Mitarbeitergespräch zu führen und an diesen Kritik zu üben. Zum anderen müssen sie lernen lozulassen. "Für gute Fachexperten ist es nicht leicht, Aufgaben aus der Hand zu geben und vielleicht auf Mitarbeiter zu verteilen, die ihnen fachlich nicht das Wasser reichen können", sagt Kremin. Dazu komme oft der Glaube, alles kontrollieren zu müssen.

Damit der Coach eine solche Gemengelage erkennen kann, muss die von ihm betreute Führungskraft erst einmal erzählen. Der Trainer schlüpft in die Rolle des geneigten Zuhörers, was nach Ansicht der Hamburger Psychologin Yasmin Sautter, die seit fünf Jahren als Coach freiberuflich und für Lucas Consulting Team arbeitet, wichtig ist: "Da der Druck auf Führungskräfte zunimmt, können sie über bestimmte Dinge weder mit ihren Vorgesetzten noch mit ihren Mitarbeitern sprechen. Auch dem privaten Partner kann man nicht alle beruflichen Schwierigkeiten zumuten. So bekommt Coaching eine entlastende Funktion, weil jemand dem Manager seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet."

Mit Fragen Selbstreflexion anstoßenZuwendung wird nach der Erfahrung von Kremin um so wichtiger, je höher jemand in der Unternehmenshierarchie aufsteigt: "Auf Vorstandsebene funktionieren amicale, kollegiale oder familiäre Netze oft nicht mehr. Die Zahl der Wegbegleiter, die sich trauen, einem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, nimmt kontinuierlich ab."

Aber auch der Coach hütet sich davor, gegenüber seinem Kunden als Oberlehrer aufzutreten. Explizite Ratschläge und Patentrezepte teilt er nicht aus, stattdessen wechselt er zwischen den Rollen des Zuhörers und Moderators und stellt die richtigen Fragen, bis sein Gegenüber sich und die Situation reflektiert und eine Lösung findet. Dafür müssen die solchermaßen Trainierten Geduld mitbringen, wie Sautter anmahnt: "Vor allem männliche Führungskräfte tendieren dazu, sofort eine Lösung finden zu wollen. Ich muss sie erst einmal bremsen, sie dazu bringen, dass sie den Prozess zunächst gründlich beleuchten - umso tragfähiger sind hinterher auch die Lösungen."

Der genauen Analyse und Lösungsfindung sind in der Regel aber zeitliche Grenzen gesteckt, schließlich berechnen die Coaches zwischen 300 und 1000 Mark pro Beraterstunde. Eine kostenintensive Weiterbildung, in deren Genuss auch bei großen Unternehmen wie der SAP AG nur ein ausgewählter Kreis an Managern kommt. In der Walldorfer Softwareschmiede werden etwa die Führungskräfte, die direkt an den Vorstand berichten, gecoacht. Dazu SAP-Personalleiter Ingo Nicolay: "Wir setzen Coaching seit einiger Zeit ein, da es effizienter als ein Standardseminar und auch leichter planbar ist: Die Trainer kommen zu uns ins Haus und richten sich nach den vollen Terminplänen der Manager." Allerdings nutze man das Instrument "selektiv und dosiert": Es muss immer einen konkreten Anlass geben, sei es, dass ein Manager einen Vortrag vor einem größeren Publikum halten muss oder dass er einen größeren Verantwortungsbereich übertragen bekommt.

Ein konkretes Problem, ein klares Ziel und eine zeitliche Befristung sind auch für Ina-Maria Fliegen, Personalchefin der Düsseldorfer Planetactive GmbH, die unabdingbaren Rahmenbedingungen für Coaching. Bei der Internet-Agentur, die nach dem New-Economy-Crash kräftig sparen muss, wurden in der Wachstumsphase vor allem die Mitarbeiter von externen Trainern begleitet, die zum Projektleiter aufgestiegen waren. Ein Angebot, das laut Fliegen die meisten auch gern annahmen: "Anfangs waren einige vielleicht noch skeptisch, weil sie eine Tool-Schulung nach klassischem Muster erwartet hatten und realisieren mussten, dass sie selbst für Themen und Umsetzung verantwortlich waren."

In wirtschaftlich schwierigeren Zeiten läuft Coaching wie andere teure Weiterbildungsmaßnahmen Gefahr, als Erstes von der Geschäftsleitung gestrichen zu werden. Dabei eignet sich dieses Instrument auch, um Veränderungsprozesse zu begleiten. Als Manager Paul Kaiser (Name von der Redaktion geändert) dem Produkt, für das er zuständig ist, einen neuen Inhalt und eine modernere Verpackung verpassen sollte, wurde ihm klar, dass er die bisherigen Abteilungsstrukturen aufbrechen und seine Mannschaft noch besser motivieren musste. Die über 40 Mitarbeiter waren alle in den monatelangen Prozess eingebunden, hatten schließlich zusammen mit Kaiser das Produkt neu erfunden und selbst neue oder erweiterte Aufgabenbereiche bekommen. Ein Prozess, der unter anderem deswegen größtenteils reibungslos verlief, weil Kaiser gezwungen war, seinem externen Coach auch Selbstverständlichkeiten der bisherigen Strukturen zu erklären und so im Vorfeld schon auf Probleme stieß, die er selbst nie so wahrgenommen hätte. "Oft erledigen sich Probleme auch schon, wenn man sie zum ersten Mal bewusst formulieren kann", so Kremin aus seiner Beratungserfahrung.

Probleme visuell sichtbar macht auch die systemische Coaching-Methode. Ursprünglich in der Familientherapie angewandt, werden systemische Aufstellungen seit einigen Jahren im wirtschaftlichen Umfeld genutzt, um etwa Schwierigkeiten in Teams, erhöhte Fluktuation, Absatzprobleme oder die Neuorganisation einer Abteilung darzustellen und auch Lösungen zu finden. Damit lässt sich das unbewusste Wissen herausarbeiten, das in jeder Organisation schlummert.

Verdeckte Machtstrukturen aufzeigenAn den Coaching-Seminaren nehmen Vertreter unterschiedlichster Firmen teil, die alle mit einem bestimmten Problem kommen. Der Betroffene beschreibt kurz die Situation und sucht sich aus den Seminarteilnehmern so genannte Stellvertreter, die die Rollen der Firmenakteure einnehmen und die er intuitiv im Raum platziert. Damit zeichnet der Betroffene ein "plakatives Raumbild, das sein eigenes inneres Bild eines Beziehungsgefüges nach außen widerspiegelt. Bei dieser ersten Aufstellung deutet sich manchmal allein durch die Mimik und Gestik der Stellvertreter schon das Problem an", berichtet der Psychologe Klaus-Peter Horn, der mit seiner Firma Commit im bayerischen Schondorf am Ammersee offene Aufstellungsseminare anbietet.

Als Coach befragt Horn die Stellvertreter nach der ersten Aufstellung, wie sie mit der ihnen zugewiesenen Rolle und dem Standort im Raum klarkommen. In diesen Dialogen treten dann immer deutlicher die verdeckten Machtstrukturen zu Tage. Horn nennt ein Beispiel: "Der Vertriebsleiter klagt, dass er Schwierigkeiten mit dem Kontakt zum Kunden hat. Bei der Aufstellung wird deutlich, dass der Entwicklungschef zwischen ihm und dem Kunden steht." Ein vom Coach gesteuerter Dialog zwischen den beiden Stellvertretern kommt zum Ergebnis, dass Vertriebsleiter wie Entwicklungschef die Kompetenzen ihres Gegenübers anerkennen, ihren Aktionsradius abgrenzen und eine entsprechende neue Aufstellung einnehmen. Mit diesem neuen Wissen kann der wirklich betroffene Vertriebsleiter in sein Unternehmen zurückgehen, den Dialog mit dem Entwicklungschef führen und eine Lösung suchen. Dass sich auch komplexe Systeme und Probleme mitunter binnen einer halben Stunde auf diese Weise darstellen lassen, erklärt Horn mit der Intelligenz der rechten Gehirnhälfte, die hier zum Einsatz kommt: "In Worten können wir eine Situation nur zergliedert und in zeitlicher Abfolge ausdrücken. Ein Bild aber enthält das Ganze."

Die systemische Methode funktioniert aber nur, wenn die Betroffenen das Problem hinterher auch lösen dürfen. Zudem sollen sie wie beim Einzel-Coaching freiwillig mitmachen. Dazu Horn: "Eine gesunde Skepsis im Sinne des genauen Hinsehens darf ruhig vorhanden sein, aber wenn die Betroffenen die Stellvertreter zu manipulieren versuchen, sind diese verwirrt, und die Aufstellung funktioniert nicht." Auch Manager-Coach Kremin hat festgestellt, dass die schwierigsten Klienten diejenigen sind, die das Unternehmen zu ihm schickt, weil sie durch das Assessment-Center gefallen sind und als Bedingung für den nächsten Schritt auf der Karriereleiter ein Coaching absolvieren müssen: "Dann wird es als ungeliebter Nachhilfeunterricht empfunden. Als Trainer habe ich dann erst einmal alle Hände voll zu tun, der Kränkung des Kandidaten entgegenzusteuern."

Umstritten ist auch die Frage, wann Coaching aufhört und die Therapie beginnt. Das systemische Coaching in offenen Seminaren stößt an seine Grenzen, wenn das Problem des Betroffenen im Privatbereich wurzelt. Dann empfiehlt Horn ein Einzelgespräch oder eine Familientherapie. Coaches wie Sautter oder Kremin beziehen in die Arbeit mit ihren Kunden oft auch deren Privatleben mit ein, zumal die Ausgeglichenheit einer Führungskraft nicht nur auf beruflichen Erfolgen beruht. Bei Suchterkrankung oder Burnout ist eine tiefer gehende Therapie nötig, die dann der Coach nicht mehr leisten kann.

Durch Bilder überzeugenAuf den ersten Blick wirkt es befremdlich: Wildfremde Menschen werden von einem Firmenvertreter in einem Raum in gewissen Abständen zueinander gestellt und äußern dann, was sie in den ihnen zugewiesenen Rollen fühlen. So erkennt der Firmenvertreter, wo das Problem in seinem Unternehmen liegt. Die beiden Psychologen Klaus-Peter Horn und Regine Brick erklären in ihrem Buch "Das verborgene Netzwerk der Macht. Systemische Aufstellung in Unternehmen und Organisation" diese neue Management-Methode, die aus der Familientherapie entlehnt ist, Schritt für Schritt. Dank vieler ausführlich geschilderter Rollenspiele aus ihrer Beraterpraxis beginnt auch der anfangs skeptische Leser zu begreifen, wie systemisches Coaching funktioniert, dass Bilder oft mehr sagen können als Worte und wie mächtig unbewusstes Wissen wirkt.

Horn, Klaus-Peter, Brick, Regine: Das verborgene Netzwerk der Macht. Systemische Aufstellung in Unternehmen und Organisation, Gabal Verlag, Offenbach 2001, ISBN 3-89749-122-2.