Der Bildschirm schadet weniger den Augen als der Muskulatur

28.04.1978

Mit Arbeitsmediziner Professor Dr. Hannes Schoberth, Ex-Mannschaftsarzt

der Fußball-Nationalmannschaft, sprach CW - Redakteur Elmar Elmauer

- Die Gesellschaft zur Humanisierung der Arbeitswelt (GHA) zeigt hier auf der Hannover Messe "zwei nach GHA-Auffassung vorbildliche EDV-Bildschirm-Arbeitsplätze". Wie beurteilen Sie generell aus der Sicht des Arbeitsmediziners die angebotenen Bildschirmlösungen?

Generell ist zu sagen, daß der Bildschirm ein notwendiges Übel ist. Man muß deshalb den Kritikern sehr genau zuhören, denn diese Arbeit ist optisch anstrengend, physisch außerordentlich belastend und, ich möchte nicht sagen psychisch schädigend - aber doch alterierend. Nun müssen wir aber mit den Tatsachen leben: Ich habe mit dem Bildschirm ja auch große Möglichkeiten. Ich spare sehr viel Zeit beim Abrufen von Daten. Ich mache manches sicherer, und das ist ein unschätzbarer Vorteil. Deswegen hat es keinen Sinn, nun gegen den Bildschirmarbeitsplatz anzugehen, sondern man muß das Beste herausholen. Es drängt sich der Vergleich auf: Solange es keine Autos gab, gab es kaum tödliche Verkehrsunfälle. Es wäre völlig utopisch zu sagen, wegen der Möglichkeit von Unfällen Schaffen wir die Autos ab.

- Zumal der Mensch seit der Pferdewagenzeit Gelegenheit hat, unter die Räder zu kommen. Aber: Haben Sie denn persönliche Erfahrungen mit Bildschirmarbeitsplätzen? Ich setze Schreibautomaten in meiner Klinik mit großem Erfolg bei den Patientenuntersuchungen ein.

- Was verstehen Sie unter erfolgreichem Einsatz?

Er besteht in einer wesentlichen Zeitersparnis. Es ist für mich ein Maßstab, wenn ich früher acht Stunden gebraucht hätte, um etwas herauszubringen und jetzt zwei Stunden brauche, werde ich meine Mitarbeiterin am Bildschirm jetzt tatsächlich nur zwei Stunden mit der entsprechenden Aufgabe beschäftigen. Und die übrige Zeit setze ich sie irgendwie anders ein denn sie kann die Arbeit am Terminal nicht einen Tag lang durchhalten.

- Sie meinen also, der Bildschirm bringe für den einzelnen Sacharbeiter eine Entlastung?

Eine wesentliche Entlastung.

- Tritt nicht die Belastung einfach anders auf? Daß am Bildschirm das Auge mehr leisten muß, während an Opas Schreibtisch vor allem auch das Sitzfleisch gefordert wurde? Strengt das Hineinsehen in die Tiefe des schattenlosen Zahlentunnels nicht doch an?

Das wissen wir nicht, wir ahnen es bloß. Wir haben ja jetzt fünfzehn Jahre Fernseherfahrung und wissen, die behaupteten Augenschäden und sonstigen Schäden aus der Anfangszeit sind bis jetzt nicht aufgetreten. Es kann sein, daß sich in zehn Jahren etwas anderes zeigt. Ich meine deshalb, der Bildschirm hat weniger optische Gefahr als Gefahren an der Muskulatur und an den Bewegungsorganen. Denn ich muß starr sitzen, ich muß also die Muskulatur zu statischer Haltearbeit heranführen, und das führt in kurzer Zeit zur Ermüdung.

- Da muß man wohl auch das Möbel ansehen, die Komposition von Bildschirm und zugeordnetem Sitzplatz? Ist dieses Problem schon zufriedenstellend gelöst?

Hier stehen wir echt am Anfang. Wir haben das, was wir von der Schreibmaschine und vom Arbeitsplatz im Büro wissen, zunächst einmal genauso auf diesen Arbeitsplatz übertragen. Nun stellt sich heraus: das geht nicht. Da sind verschiedenste Probleme völlig ungelöst, teilweise noch nicht bekannt, und deswegen ist hier echte Grundlagenforschung notwendig. Das ist eine Aufgabe der Zukunft. Ich gehe also mit den Gewerkschaften absolut konform, wenn die sagen, man soll den Arbeitnehmer nicht zusätzlich belasten und nicht überlasten. Ich widerspreche den Gewerkschaften, wenn sie das als vorgefaßtes Urteil vortragen. Denn ich sage, der Mann hat ja den großen Vorteil, daß er seine Arbeit dank der technischen Hilfen so bewältigen kann, daß er am Abend nicht geschafft nach Hause kommt.

- Die EDV ist ja ein junger Zweig, mit jungem Design. Man müßte eigentlich annehmen, daß hier bei aller Suche nach einer ökonomisch zu produzierenden Form - modernste physiologische und psychologische Erkenntnisse verwirklicht werden. Oder werden hier auch die alten Konstruktionssünden für den Arbeitsplatz gemacht?

Ich habe den Eindruck, die Konstrukteure sind noch zu sehr im Technischen befangen, als daß sie das Design schon berücksichtigen würden.

- Sind Bildschirmarbeitsplätze wenigstens so simpel bedienbar, daß der Arbeitnehmer, der an dieses Gerät bugsiert wird, relaxed damit umgehen kann? Oder gerät er in immer neue Streßsituationen, weil er sich beim Blinken und Rollen vorkommt wie ein Segelflieger im Jumbo-Cockpit? Ahnungslos, welche Hebel er zu ziehen hat?

Das setzt voraus, daß der Mitarbeiter sehr genau mit der Apparatur vertraut gemacht wird das braucht eine a längere Einarbeitungszeit.

- Dauert diese auch länger, als der Hersteller gemeinhin sagt?

Ja, weitaus. Dazu kommt noch, daß man häufig nur schriftliche Informationen erhält. Wenn ich Ihnen die schriftliche Information gebe, wie man eine Schleife bindet, verzweifeln Sie. Das muß man praktizieren. Und genauso ist es hier auch: Man braucht eine lange Einarbeitungszeit - aber dann ist man sicher und nicht mehr mit Bedienungsaufgaben belastet.

- Fassen Sie bitte zusammen, warum die beiden gezeigten Bildschirmarbeitsplätze für den Arbeitsmediziner l eine bestechende Lösung darstellen.

Dazu muß ich kurz darauf hinweisen, was wir unter Gesundheit zu verstehen haben. Ich schließe mich der Definition der Weltgesundheitsorganisation an, Gesundheit ist völliges Wohlbefinden in physischer, in psychischer und in sozialer Hinsicht. Und so gilt für die Humanisierung der Arbeitswelt: Der Arbeitsplatz muß individuell zu gestalten sein, aber auch seine Form muß ansprechend sein. ln zweiter Linie kommen dann natürlich die Abmessungen am Arbeitsplatz, die physiologischen Erkenntnissen entsprechen müssen. Schließlich ist das Ganze noch hineinzusetzen in das Betriebsklima.

- Nun zerbrechen sich irgendwelche sehr intelligenten Leute den Kopf, wie sie Arbeitsplätze besser gestalten können: Nur derjenige, der betroffen ist, der damit arbeiten muß, der taucht erst auf, wenn er als Krankheitsfall statistisch signifikant wird, weil er sich irgendein Berufsleiden zugezogen hat. Sollte der einzelne Arbeitnehmer versuchen, von sich aus seinen Arbeitsplatz kreativ mitzugestalten ?

Wir wünschen uns nicht nur den mündigen Bürger, sondern vor allem den mündigen Arbeitnehmer. Ich brauche dazu als Gegenüber aber einen völlig unabhängigen, auch ideologisch unabhängigen Gesprächspartner, der berät und führen kann. Aber der Arbeitnehmer soll viel fragen, soll in jedem Falle mitdiskutieren, das ist ein ganz entscheidendes Problem. Bei einer Neuentwicklung hat der, der am Apparat sitzt, nicht am Ende, sondern am Anfang der Belegungen zu stehen. Er muß gefragt werden, was paßt an seinen bisherigen Arbeitsbedingungen nicht? Worunter leidet er? Man kann auch den Betriebsarzt fragen, warum wird ein Mitarbeiter an einem bestimmten Platz krank oder kriegt Beschwerden, wenn er da sitzt.

- Welche Rolle spielt die Bildschirmgröße, um beschwerdefrei am Terminal arbeiten zu können?

Es ist auf jeden Fall zu sagen, der Bildschirm darf nicht zu klein sein. Andererseits, und das hat der Augenarzt zu beantworten, muß das Auflösungsvermögen natürlich berücksichtigt werden. Wir wissen, je größer der Bildschirm wird, um so größer und deutlicher wird der Raster, um s(...)lastender ist die Arbeit am Schirm.

- Ein Problem beim Sehen ist das Kontrastieren: Welche Vorzüge haben "Farblichtspiele" auf dem Terminal? Gold auf Braun, Weiß auf Grün?

Dies hängt von individuellen Faktoren ab. Es gibt Leute die sehr, sehr gerne Farbe sehr gerne Farbe sehen, die das klassische Weiß auf Schwarz, das den größten Kontrast ergibt und mit dem deshalb am leichtesten zu arbeiten ist, ablehnen.

- Ist das optisch erklärbar oder im Psychologischen begründet?

Nein, das ist psychologisch, ist physiologisch begründet. Wir lieben im allgemeinen die Farben. Sie stimmen uns froh oder machen uns traurig sie sprechen uns irgendwie affektiv(...) während Schwarz und Weiß zu große Kontraste sind, die eben sehr, sehr deutlich machen. Am wenigsten anstrengend scheint mir Weiß auf Grau zu sein, weil da die Kontrastwirkung nicht zu groß ist. Aber wir haben auch Aussagen von Schreibern, die lieber Weiß auf Grün sehen.

Prof. Dr. med. Hannes Schoberth ist Ärztlicher Direktor der Ostseeklinik Damp 2000-einem Rehabilitalionszentrum von Weltruf. Schoberth hat sich als Arbeitsmediziner einen bekannten Namen gemacht - als Mannschaftsarzt betreute er über viele Jahre hindurch die Fußballer des bundesdeutschen Nationalteams.