Gerade DIN-Entwurf - und schon Edifact-Premiere in der Sanitärwirtschaft?

Der Aufstieg des computerientegrierten ManagementsElektronischer Datenaustausch zwischen Sanitär-Fachgroßhandel und Sanitärindustrie (Teil 1)

11.03.1988

Wer schnell und kundenindividuell auf Marktanforderungen reagieren will, muß auf Computerintegration setzen. Das erfordert von der Informationsverarbeitung Netzwerkkommunikation, Ausfallsicherheit und problemorientierte Softwaretechnologie der 4. Generation, Datenstrukturen flexibel an Veränderungen bei Technologien und Märkten anpassen zu können. Es erfordert aber auch den branchenübergreifenden elektronischen Datenaustausch (EDI), um Rationalisierungsreserven auszuschöpfen, die Fehleranfälligkeit

zu verringern und die Profitabilität zu erhöhen (Just-in-Time-Logistik).

Seit etwa 1970 hat sich die Rolle des Computers in Organisationen dramatisch gewandelt. Mit dezentralen Dialogsystemen begann eine Reise, an deren Ende jeder "Informationsverbraucher" mittels Bildschirmdialog am Arbeitsplatz gezielt auf seine Informationen zugreifen wird - wo immer diese gespeichert sein mögen und so selbstverständlich wie beim Griff zum Telefonhörer.

Diese Entwicklung wird vom Center for Information Systems Research (CISR) am Massachusetts Institute of Technology (MIT) - einer der bemerkenswertesten Institutionen der Informationsbranche - in einem Vierphasenmodell beschrieben (siehe Abbildung 1 und CW Nr. 16 vom 17. April 1987, Seite 44). Danach folgte auf die 1. Phase der Verwaltungsabwicklung, die eine Informationsflut mit Tonnen von Papier auf zentralisierten Großrechnern produzierte, die Phase der Prozeßsteuerung, also der Beginn der dialoggestützten Betriebsorganisation (Auftragsabwicklungssysteme, Fertigungssteuerung, Logistiksysteme).

Ging es in dieser Phase vor allem um die Einübung des Bildschirmdialogs und die Lösung von Subsystemen als nebeneinanderstehenden Insellösungen, so verlagerte sich in der 3. Phase der Integration der Schwerpunkt auf die Verbesserung der horizontalen Kommunikation aller Unternehmensbereiche. Obwohl die 3. Phase der "informationsgestützten Organisation" (Peter Drucker) gerade erst begonnen hat, wirft bereits die 4. Phase der Kommunikation, das heißt der verkabelten Gesellschaft, ihre Schatten voraus.

Sie hat ihre Schwerpunkte bei der weltweiten Kommunikation innerhalb der Unternehmen (inhouse networks), beim Einsatz der Informationstechnologie, als wettbewerbsbestimmendem, strategischen Erfolgspotential, und bei den Interorganisationssystemen, dem branchenübergreifenden elektronischen Datenaustausch innerhalb der Logistikkette.

Das CISR hat den dramatischen Bedeutungswandel der Informationsverarbeitung für die Wettbewerbsposition des Unternehmens als vernetztes Zusammenwirken von Informationstechnologie, Informationsmanagement, Linienmanagement und Unternehmensorganisation dargestellt (siehe Abbildung 2 und CW Nr. 39 vom 26. September 1986, Seite 27). Dieses Bild zeigt deutlich den Stellenwert der Interorganisationssysteme, relativiert ihn aber gleichzeitig zu einem unter vielen anderen wichtigen Themen der zielführenden Informationsverarbeitung.

Interorganisationssysteme haben unterschiedliche Ausprägungen. Eine davon ist die Just-in-Time-Produktion (JIT), bei der technisch voneinander unabhängige Fertigungsprozesse bei Vorlieferant und Verarbeiter parallel und informationsgesteuert gekoppelt ablaufen. Die synchronisierte Verzahnung (Just-in-Time) erfolgt dabei reihenfolgegerecht und ohne jede Lagerhaltung für die anschließende Montage.

Bei dieser Art Interorganisationssysteme werden Bestände durch Informationen ersetzt, weil der Lieferant über Bildschirmdialog wie eine Fertigungsstelle in das Montageinformationssystem des Verarbeiters eingebunden ist. Sie schaffen bilaterale Partnerschaften selbständiger Unternehmen in wechselseitiger Abhängigkeit, die sich eigentlich als Käufer und Lieferant in Wettbewerbsposition befinden. Statt dessen verfolgen sie eine Koalitionsstrategie zum gegenseitigen Nutzen (siehe CW Nr. 21 vom 22. Mai 1987, Seite 24).

Seinem Charakter nach ist Just-in-Time immer eine bilaterale Kooperation selbständiger Partner, weil beispielsweise der Käufer nur auf eigene Qualitäts- und Wareneingangskontrollen verzichten kann, wenn gemeinsam vereinbarte Gütestandards beim Lieferanten sichergestellt sind. Hier ist eine enge organisatorische Abstimmung unerläßlich.

EDI ersetzt Briefpost durch Informationen

Ganz anders bei den Interorganisationssystemen, die den elektronischen Datenaustausch (EDI - Electronic Data/Documents Interchange) zum Ziel haben: ein einheitliches Verfahren für den elektronischen Geschäftsverkehr in Verwaltung, Wirtschaft und

Transport (Edifact - Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport).

Ein solches Ziel kann nur weltweit, branchenübergreifend und branchenneutral erreicht werden. Deshalb haben die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) und die Internationale Normungsorganisation (ISO) schon frühzeitig die Arbeit für ein solches Verfahren aufgenommen. Das DIN erteilte 1984 über die Gründung der Kommission elektronischer Geschäftsverkehr (KeG) seinem Normausschuß Bürowesen (NBü) (Arbeitsausschuß NBü-11 "Elektronischer Datenaustausch in Wirtschaft und Verwaltung") einen entsprechenden Normungsauftrag in enger Abstimmung mit den internationalen Normungsaktivitäten.

Im September 1987 verabschiedete die ISO die einheitlichen Syntaxregeln für den elektronischen Handelsdatenaustausch Edifact als internationale Norm, die unverändert als DIN-Entwurf zur deutschen Normierung übernommen wurde. Damit steht die vierte Säule des elektronischen Handelsdatenaustausches zur Verfügung:

- Edifact als Grammatik des elektronischen Datenaustausches (ISO/DIS 9735, DIN-Entwurf 16556, Europäische Vornorm ENV 29735);

- TDED (Trade Data Elements Directory) als genormtes Wörterbuch der gebräuchlichen Handelsausdrücke (Handbuch der Handelsdatenelemente, DIN ISO 7372);

- UNSMs (Universal Standard Messages) als Festlegung international einheitlicher Nachrichtentypen für branchenübergreifend strukturierte Geschäftsvorfälle (zum Beispiel UNSM-1 "Standard Electronic Commercial Invoice Message" als Standardrechnung) ;

- die Telekommunikationsnetze und -dienste der Fernmeldeverwaltungen als Transportmittel der Geschäftsvorfälle in der Kommunikation Offener Systeme (ISO/OSI-Referenzmodell; siehe: Edifact in der 7. Anwendungsschicht, Abbildung 3).

Die EG-Kommission will diese Aktivitäten in TEDIS (Trade Electronic Data Interchange Systems) zusammenfassen. Gegenwärtig ist Edifact bereits Grundlage einer Reihe von europäischen EDI-Projekten: Odette (Automobilindustrie), Cefic (chemische Industrie), Edifice (Elektronische Industrie) und Cost 306 (Transportwirtschaft). In diesem Bericht soll über erste Gehversuche mit Edifact/Liefernorm in der deutschen Sanitärwirtschaft berichtet werden - soweit erkennbar, das erste Edifact-Projekt in der praktischen Erprobung in der Bundesrepublik. Träger des Projektes Liefernorm ist der VSI Bundesverband des Sanitär-Fachhandels e.V. Bonn. Der Sanitär-Fachgroßhandel übernimmt für die Sanitärwirtschaft mit etwa 800 Betrieben flächendeckend die Warenverteilung. Er arbeitet als Drehscheibe zwischen mehr als 3000 Betrieben der Sanitär- und Heizungsindustrie und über 28000 Betrieben des Installationshandwerks.

Anders als im Einzelhandel, wo der Kaufvorgang an der Kasse abgeschlossen ist, vervielfachen sich beim technischen Sortimentsgroßhandel die millionenfachen Marktkontakte über technische Anfragen und Beratungen, Angebote, Terminaufträge, Aufträge

über Sonderanfertigungen etc. für ein riesiges Artikelsortiment mit dem Ergebnis, daß der Fachgroßhändler eigentlich Händler von Informationen ist - mit angeschlossener Auslieferung.

Seine Aufgabe als Zulieferer des Baunebengewerbes mit hohem Renovierungsanteil stellt hohe Anforderungen an die Produktqualität (Wasser ist ein unnachsichtiges Medium), an die Präzision der Auftragsabwicklung und die Qualität des Lieferservices (siehe Portrait einer Branche, Abbildung 4). Verglichen mit anderen Branchen hat diese Ausgangslage schon relativ früh zu einem hohen Organisationsstand in der dialoggestützten Betriebsorganisation beim Sanitär-Fachgroßhandel geführt.

Diese Ausgangslage hat auch frühzeitig Überlegungen hinsichtlich des vertikalen Datenaustausches zwischen Industrie, Fachgroßhandel und Installationshandwerk eingeleitet. Angesichts des riesigen Sortiments von weit über 100000 Artikel waren alle

Rationalisierungsbemühungen des Handwerks durch Einsatz der Datenverarbeitung von einer Artikelpflege durch den Großhandel abhängig.

Deshalb hat der VSI bereits 1985 folgerichtig die Standardisierung des Artikelpflegedienstes betrieben, der seit Anfang der 80er Jahre von verschiedenen Großhändlern in Eigenregie vorgenommen wurde. 1986 wurde dieser Standard "Datanorm" (Datenträgeraustausch zwischen Sanitär-Fachgroßhandel und Installationshandwerk) als unverbindliche Rationalisierungempfehlung vom VSI als der kontrollierenden Institution verabschiedet.

Schnelle und präzise, Auskunftbereitschaft

Datanorm stellt einen Standard für den Artikelpflegedienst zunächst nur mittels Diskettenversand dar. Vereinzelt erfolgt bereits ein elektronischer Handelsdatenaustausch zwischen Großhandel und Handwerk auf bilateraler Ebene; er ist jedoch noch nicht Bestandteil von Datanorm, ebensowenig wie Datanorm bereits der Grammatik von Edifact hätte entsprechen können.

Ging es beim Datenaustausch zwischen Handwerk und Großhandel noch um relativ geringe Datenmengen bei den einzelnen Angeboten, Aufträgen, Rechnungen und Auskünften betreffs Lieferbereitschaft, so fliegen die großen Informationsströme zwischen Großhandel und Industrie. Hier werden Massendaten bewegt und schnelle und präzise Auskunftsbereitschaft wird gefordert. Deshalb hat der VSI bereits 1986 begonnen, das Verfahren einer unverbindlichen Rationalisierungsempfehlung für Liefernorm (elektronischer

Handelsdatenaustausch zwischen Sanitär-Fachgroßhandel und Sanitär- und Heizungsindustrie) einzuleiten. Die Einbindung von Liefernorm in die Syntaxregeln von Edifact wird gegenwärtig vorbereitet.

Datenaustausch mit Edifact ist schneller, billiger, sicherer

Warum dieses innovative Engagement einer kleineren Branche mit einem Geschäftsvolumen von etwa zwölf Milliarden Mark? Der Nutzen für beide Seiten liegt hinsichtlich Produktivitäts- und Ertragssteigerung auf der Hand:

- Verminderung der Papierflut (elektronisch manipulierbare Daten brauchen nicht in Papierform verteilt und archiviert zu werden);

- Beschleunigung des Informationsflusses und damit schnellere und präzisere Reaktion auf Kundenwünsche (Zeitersparnis);

- Ausschaltung wiederholter Erfassung von maschinenlesbaren Daten, deren Erfassungskosten der Partner bereits getragen hat;

- Reduzierung von Verwaltungsarbeiten für Papiererstellung und Papierhandling (Ausgangs-, Eingangs-, Hauspost etc.);

-Verringerung der Fehleranfälligkeit bei Datenerfassung und Warenidentifikation (darum umfaßt Liefernorm auch den Einsatz der Europäischen Artikelnummer (EAN) mit Strichcode-Kennzeichnung am Produkt);

- Kostenersparnis: Ein Brief dauert nein bis drei Tage und kostet 80 Pfennig Porto; im Vergleich dazu betragen die Übertragungskosten etwa drei Pfennig. Erfahrungen zeigen, daß die Kosten eines elektronischen Dokuments etwa ein Zehntel des konventionellen Papierdokuments betragen. Untersuchungen haben gezeigt, daß die Kosten von Papiererstellung und Papierhandling im Durchschnitt etwa zehn Prozent des Warenwertes binden; nach Berechnungen der Automobilindustrie kosten Rechnungserstellung und -versand etwa 19 Mark. Selbst bei einer EDI-Ersparnis von nur 25 Prozent sind das etwa fünf Mark pro Vorgang;

- Grundlage für Just-In-Time-Logistik;

- Verringerung von Durchlaufzeiten und Lagerbeständen.

Kommunikationskosten als Kostenblock betrachten

Die Darstellung dieser Einflußfaktoren macht auch deutlich, daß die Kostenrechner angesichts der Entwicklung der Informationstechnologie umdenken lernen müssen. Ein Controlling, das auf die Mobilisierung der strategischen Gewinnpotentiale abzielt, muß alle Kosten der betrieblichen Kommunikation in einem Kostenblock "Kommunikationskosten" zusammenfassen: Kosten der Datenverarbeitung, des Nachrichtenverkehrs (Telefonanlage), Nachrichtenübertragungskosten (Porto, Telefon, Telex, Leitungskosten), Nachrichtenverteilungskosten (Hauspost), Dokumenthandlingkosten, Archivierungskosten etc. Ohne einen solchen ganzheitlichen Ansatz der Kommunikationskosten laufen Unternehmen Gefahr, Chancen der Informationstechnologie zur Qualitäts- (prozeßsteuernd) und Produktivitätsverbesserung (prozeßverändernd) brachliegen zu lassen. wird fortgesetzt