Einstieg ins automatisierte Büro über Textsysteme:

Der Appetit kommt erst beim Essen

15.10.1982

Das derzeitige Produktangebot bietet dem Anwender verschiedene Möglichkeiten, in die Büroautomatisierung einzusteigen. Einer der wohl populärsten Ansätze läuft über die Implementierung eines Textverarbeitungssystems. Doch auch hier treten Klippen auf, die für einen reibungslosen Einsatz dieses Automatisierungsinstruments umschifft werden müssen. Über die Erfahrungen eines Ingenieurbüros mit der Textverarbeitung berichtete Wolfgang Sorke. Abteilungsleiter bei der Fichtner Beratende Ingenieure GmbH & Co KG, Stuttgart, auf dem Kongreß in München. Seine Erfahrungen, die in dem folgenden Beitrag dargelegt sind, zeigen, daß die Einführung eines Textsystems im Verbund mit Telex und EDV erst eine Vorstufe zu einem automatisierten Büro bedeuten.

Fichtner Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG ist ein unabhängiges Ingenieurunternehmen, das seit mehr als 50 Jahren auf dem Gebiet der Energie- und Wärmewirtschaft in Deutschland und international arbeitet. Die Ingenieurleistungen umfassen alle Phasen der Planung und Projektabwicklung.

Für ein Ingenieurunternehmen sind die gesamten Schreib- und Sekretariatsarbeiten Teil des Produktionsprozesses. Im Gegensatz zur reinen Servicefunktion des Schreibdienstes für ein Produktunternehmen ist die Schreibarbeit in einem Ingenieurbüro ein direkter Teil der Fertigungskette und die letzte Möglichkeit für inhaltliche Korrekturen.

Die qualifizierte Erfüllung aller mit Ingenieuraufgaben zusammenhängenden Sekretariatsarbeiten verlangt eine direkte Zuordnung Sekretärin - Projekt. Daraus resultieren Mischarbeitsplätze mit einem breiten Aufgabenbereich, was die Beibehaltung einer dezentralen Grundstruktur verlangt.

Bei der Zusammenfassung von Einzel- zu kleinen Gruppensekretariaten lassen sich bei gleichem Raumbedarf die Gruppen großzügiger gestalten. Die Maschinenausnutzung wird gleichmäßiger durch den erleichterten Kapazitätsausgleich innerhalb der Gruppe.

Die Frage des Kapazitätsausgleiches führte schließlich zur Einführung eines Zentralen Sekretariats mit Aufgaben wie

- Disposition aller Sekretärinnen durch wöchentlich fortgeschriebenen Sekretärinnen-Einsatzplan mit Abwesenheiten (Urlaub, Krankheit, Schulung für einen Planungshorizont von zwei Monaten).

- Übernahme von Schreibarbeiten zum Ausgleich von Arbeitsspitzen in den Projekt- und Fachbereichssekretariaten.

- Spezielle Textbearbeitung mit besonderen schreibtechnischen Anforderungen, wie ausgefallene Kundenforderungen, Texte nach amerikanischer Norm zu schreiben oder Blocksatz auf Vorder- und Rückseite.

- Einführung von rationellen Arbeitsmethoden für alle Sekretariate. Im Rahmen eines firmeninternen Handbuchs ist ein Schreibstandards festgelegt und auch die Diskettennumerierung und -ablage.

- Ansprechstelle für Sekretärinnenprobleme. Hier wird eine Personalbetreuungsfunktion ausgeübt, die speziell bei neueintretenden jüngeren Mitarbeiterinnen Erfolg gezeigt hat.

- Ansprechstelle für technische Störungen am Textsystem. Zusammenarbeit mit dem Wartungsdienst des Textsystemlieferanten beziehungsweise Händlers.

Wir sind jetzt drei Jahre nach Einführung dieses Zentralsekretariats fest überzeugt, daß es ohne nicht gegangen wäre, wollen aber zwei Erfahrungen nicht verschweigen:

- Die Leitung des Zentralen Sekretariats ist sowohl technisch als auch in bezug auf Menschführung eine nicht ganz einfache Aufgabe.

- Jungsekretärinnen streben bei erster sich bietender Gelegenheit zu einer Stelle in einem Abteilungs-oder Projektsekretariat, so daß für Arbeitsspitzen außer festangestellten Damen noch einige Hausfrauen von Zeit zu Zeit engagiert werden, die wir an unserem Textsystem ausgebildet haben.

In der ersten Phase der Umstellung war die Überspielmöglichkeit vom alten Datenträger (Magnetkarten) auf neuen Datenträger (Diskette) psychologisch wertvoll. Die Sekretärinnen konnten selbst prüfen und entscheiden, ob ein umfangreicher Text überspielt und auf dem neuen Bildschirmsystem redigiert werden sollte.

Diese Wahlfreiheit des Schreibsystems war ein wesentlicher Faktor sich ohne Zwang von den Vorteilen des neuen Textverarbeitungssystems persönlich überzeugen zu können.

Wir haben aus diesem Grunde bewußt die Doppelgleisigkeit der Systeme für einen Übergangszeitraum von etwa einem halben Jahr in Kauf genommen, obwohl die Umstellungskosten dadurch relativ hoch waren.

Unser Textsystem ist an Fotosatzanlagen anschließbar. Sobald die Arbeiten zur Standardisierung von juristischen und technischen Texten jetzt nach dem Umzug in unser neues Bürogebäude wieder verstärkt werden, wollen wir diese Verbundmöglichkeit auch nutzen.

Fernschreiben wurden von einigen Jahren noch zweimal getippt, im Sekretariat und dann in der Fernschreibzentrale. Einige Schreibmaschinen mit angeschlossenen Telex-Streifenlochern waren teuere Sonderinstallationen mit ziemlich primitiven Korrekturmöglichkeiten und nie eine durchgreifende Arbeitserleichterung.

Erst die Kopplung des Textsystems mit den Fernschreibmaschinen brachte Erfolg, zunächst sogar über den schon erwähnten altmodischen Lochstreifen als Zwischendatenträger, der von einem Streifenstanzer, am Bildschirm als zweiter Drucker angeschlossen, erstellt wird.

Wlr sind schließlich zu einer direkten Kopplung von Textsystem und Fernschreibnetz mit Hilfe eines Wählautomaten mit Pufferspeicher übergegangen. Die Anlage gestattet, sehr schnell FS-Disketten in den Speicher zu übertragen. Das Wählen und Senden erfolgt automatisch: von Vorteil insbesondere nach Feierabend im unbedienten Betrieb. Mehrere Bildschirme sind anschließbar; wir wollen jedoch zunächst bei einer verantwortlichen Sendezentrale bleiben.

Wir hoffen, daß der neue Teletex-Dienst der Post auf diesem Gebiet aufholt und werden eine Teletex-Version unseres Textsystems in Kürze testen.

Unser Textsystem kann über Modems (in Deutschland nur von der Post mietbar) und das offizielle Telefonnetz Texte senden und empfangen. Sehr vorteilhaft ist dabei, daß die Gegenstation ein Textsystem eines anderen Herstellers sein kann oder auch ein tragbares Terminal, in Form und Gewicht einer mittleren Reiseschreibmaschine ähnlich.

Neben der Textverarbeitung rund um den Erdball ergibt sich die Frage der Textkommunikation im Stammhaus selbst:

Die Speicherkapazität einer Diskette ist zwar mit 120 Seiten gemessen an der Magnetkarte sehr groß, aber für unsere Projekte, bei denen die kompletten Ausschreibungsunterlagen mehrere tausend Seiten umfassen können, doch relativ klein. Hinzu kommt eine gewisse Empfindlichkeit der Diskette gegen mechanische Beschädigung. Es besteht daher der Wunsch, den Textbildschirmen Zugriff auf die Massenspeicher der EDV (Platte, Band) zu verschaffen. Dieser Wunsch wird unterstützt aus organisatorischer Perspektive:

Bei großen Projekten müssen schon allein aus terminlichen Gründen mehrere Sekretärinnen in getrennten Sekretariaten eng zusammenarbeiten.

Der eigentliche Problembereich bei der Textverarbeitung liegt in der unmittelbaren persönlichen Arbeitsmethodik und Arbeitsplanung eines jeden Mitarbeiters, die in einem langwierigen Prozeß an bestimmte Grunderfordernisse des automatisierten Verfahrens angepaßt werden muß.

Bei den Sekretärinnen zeigte sich ganz deutlich, daß sie am Bildschirm nicht gestört werden wollen, andererseits auch nicht acht Stunden hintereinander am Schirm sitzen können.

Wir haben diesem Umstand durch Gruppensekretariate und Mischarbeitsplätze Rechnung getragen, die eigentliche Arbeitsteilung ist dann Sache der Gruppenmitglieder - und schließlich auch der jeweiligen Chefs, die zwar weiterhin Dienstleistungen der Sekretärin beanspruchen können und erhalten sollen, vielleicht aber nicht mehr in statistischen Intervallen sondern wenigstens im Ansatz geplant.

Die Rationalisierung ist also ganz eindeutig mit dem neuen Textsystem im Verbund mit Telex und EDV nicht abgeschlossen, sondern steht vor einer wesentlich neuen Aufgabe: ihrer Ausdehnung auf die Ingenieurarbeit, auf die "Planung der Ingenueurplanung".

Insbesondere die

- Standardisierung von Ausschreibungstexten für die wichtigsten Kraftwerkskomponenten

- Standardisierung von Vertragstexten

wird gegenwärtig vorangetrieben. Hier werden die gesamten Systemvorteile der Textverarbeitung zum Tragen kommen. Der Beweis wurde bereits bei Großprojekten erbracht, die ohne Textverarbeitung nicht termin- und formgerecht hätten abgeschlossen werden können.