Neue Produkthaftung in der Bundesrepublik:

Der Anwender soll lückenlos geschützt werden

17.06.1988

Verbraucher und Industrie warten mit Spannung auf das deutsche Produkthaftungsgesetz, das spätestens Ende des Jahres in Kraft tritt. Mit diesem Gesetz wird die EG-Richtlinie, die eine Angleichung der Produkthaftung in den Mitgliedsstaaten vorsieht, bei uns geltendes Recht. Das Gesetz findet Anwendung auf alle Produkte, die nach seinem Erlaß in den Verkehr gebracht werden.

* Dr. Inge Koutses und Sabine Lutterbach beschäftigen sich als Rechtsanwältinnen in Dortmund mit DV Recht.

** Compiler-Entscheidung des BGH, besprochen von Zahrnt in COMPUTERWOCHE Nr. 20 vom 13. Mai 1988, Seite 20.

Durch die neue gesetzliche Regelung kann der Verbraucher unter bestimmten Voraussetzungen für seinen Schaden unmittelbar vom Warenhersteller Ersatz verlangen. Für Schadensersatzansprüche zwischen Vertragspartnern enthält das Gesetz keine Regelung; in diesem Bereich gibt es - dies ist wichtig zu wissen - keine Veränderung.

Nach dem Produkthaftungsgesetz haftet der Hersteller eines Produktes für den Schaden, der durch den Fehler dieses Produktes verursacht worden ist, auch dann, wenn ihn an dem Fehler des Produktes kein Verschulden trifft.

Software und Hardware als Produkt

Unter "Produkt" versteht das Gesetz jede bewegliche Sache, also auch Hardware, sowie Gas, Fernwärme und Elektrizität. Ob auch Software darunterfällt, ist nicht unumstritten. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH**, der kürzlich eine auf Datenträger gespeicherte Standardsoftware als körperliche Sache bewertet hat, wird man Software ebenfalls unter den Produktbegriff einzuordnen haben.

Hersteller im Sinne des Gesetzes ist der Hersteller des End- oder Teilproduktes oder eines Grundstoffes.

Als Hersteller gilt auch der Importeur, der ein Produkt aus Drittländern in die EG einführt, und der, der sich als Hersteller ausgibt, indem er seinen Namen oder sein Warenzeichen auf dem Produkt anbringt. Laßt zum Beispiel eine deutsche Firma Computer in Taiwan produzieren, versieht sie anschließend mit ihrem deutschen Herstellernamen, haftet sie so, als habe sie die Computer selbst hergestellt. Ist der Hersteller gar nicht feststellbar, haftet ausnahmsweise der Händler, es sei denn, er benennt den Hersteller.

Durch diese Regelungen soll der Anwender möglichst lückenlos geschützt werden, und die Möglichkeit der Umgehung der Haftung durch den Import von anonymen Produkten von vornherein ausgeschlossen werden.

Für welche Schäden wird gehaftet?

- Für Sachschäden im gewerblichen Bereich kann der Anwender keinen Ersatz verlangen. Fällt zum Beispiel eine rechnergesteuerte Produktionsanlage aus und wird dadurch die Ware, die produziert werden soll unbrauchbar, oder zerstört, sind die Kosten der zerstörten Ware nicht als Schaden vom Hersteller zu ersetzen.

- Ebenfalls nicht zu ersetzen sind Schäden im Vermögen des Anwenders. Beispiel: Der Rechner eines Statikers bricht zusammen, die Statik kann nicht termingerecht erstellt werden, so daß eine Baustelle, an der 50 Arbeiter arbeiten, drei Tage blockiert ist. Bauherr und Bauunternehmer verlangen Ersatz ihres Ausfallschadens vom Statiker. Der Statiker verlangt Ersatz seines Schadens vom Hersteller. Dieser Schaden ist vom Hersteller nicht zu ersetzen, weil er nur im Vermögen des Statikers entstanden ist.

- Vermögens- und Sachschäden im gewerblichen Bereich sind nach dem Produkthaftungsgesetz nicht ersetzbar. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß dafür überhaupt nicht gehaftet werden muß. Der Geschädigte muß sich um den Ersatz dieser Schäden nach den vertraglichen Gewährleistungsregelungen bemühen.

- Sachschäden im privaten Bereich sind zu ersetzen. Entsteht durch einen defekten Computer ein Schaden an Sachen, die gewöhnlich zu privatem Gebrauch bestimmt sind, oder hauptsächlich zum privaten Gebrauch verwendet werden, kann der Anwender Schadensersatz verlangen. Er muß sich allerdings mit 1125 Mark selbst am Schaden beteiligen.

- Zu ersetzen sind darüber hinaus Schäden, die durch Tod und Körperverletzung verursacht werden.

- Liefert zum Beispiel ein elektronisches Gaswarngerät unrichtige Werte, und sterben die Arbeiter, die dieses Gerät zu ihrem Schutz mit sich tragen, weil es den Kohlenmonoxydgehalt nicht angezeigt hat, hätte der Hersteller als Schadensersatz den Unterhalt der Hinterbliebenen zu tragen.

- Funktioniert eine Gaswarnanlage in einer großen Tiefgarage oder in einem chemischen oder petrochemischen Betrieb nicht, und erleiden die Benutzer oder Arbeiter Vergiftungen, hätten die Produkthersteller die Kosten der Heilbehandlung und den Verdienstausfall zu übernehmen.

- Verunglücken Kraftfahrer, weil die elektronische Leittechnik einer Ampelanlage ausfällt, müßte der Hersteller die Krankenhaus- und Arztkosten sowie den Verdienstausfall übernehmen.

Man kann sich vorstellen, daß die Haftung in diesen Fällen - schon wegen der Vielzahl der Geschädigten - ins Unermeßliche steigen kann. Um dieses Risiko überschaubar zu machen, begrenzt das Gesetz die Haftung für diese Schäden auf 160 Millionen Mark.

Haftungsausschlüsse sind wirkungslos

Der Geschädigte kann den Hersteller nur dann nicht in Anspruch nehmen, wenn dieser nachweist, daß der Fehler des Produktes nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht vorhersehbar war, oder daß der Fehler darauf zurückzuführen ist, daß das Produkt verbindlichen staatlichen Vorschriften entspricht, worunter DIN-Normen nicht fallen. Dieser Nachweis wird allerdings nur selten ganz gelingen.

Haftungsausschlüsse durch Vereinbarungen oder in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind wirkungslos und nichtig.

Die Haftung erlischt zehn Jahre nachdem das Produkt, das den konkreten Schaden verursacht hat, in den Verkehr gebracht wurde. Dann kann der Geschädigte keine Ansprüche mehr durchsetzen, es sei denn, er hat zwischenzeitlich schon ein gerichtliches Verfahren gegen den Hersteller eingeleitet.

Produkthaftung in Stichworten

1. Hersteller ist, wer

- ein Teil- oder Endprodukt oder einen Grundstoff herstellt,

- seinen Namen oder sein Warenzeichen auf einem Produkt anbringt,

- ein Produkt aus Nicht-EG-Ländern in die EG importiert,

- als Lieferant auftritt, solange der Hersteller nicht ermittelt ist.

2. Produkt ist jede bewegliche Sache, auch Fernwärme, Elektrizität, Gas, Software.

3. Der Hersteller eines fehlerhaften Produktes haftet für

- Schäden an Sachen, die gewöhnlich privat genutzt werden,

- Schäden, die durch Tod oder Körperverletzung bei Personen entstehen,

nicht aber für

- Sachschäden im gewerblichen Bereich,

- Vermögensschäden.

4. Die Haftung ist unabhängig vom Verschulden des Herstellers. Der Hersteller kann sich von der Haftung befreien, wenn er nachweist, daß der Fehler vom Stand der Wissenschaft und Technik nicht vorhersehbar war.

5. Die Haftung für Schäden infolge von Tod und Körperverletzung ist auf 160 Millionen Mark begrenzt.

6. Die Ansprüche gegen den Hersteller erloschen nach zehn Jahren.