Neue Benutzeroberflächen bringen die Annäherung an ein Ideal:

Der Anwender kann vom Benutzer zum Gestalter werden

14.12.1990

In der Informationsverarbeitung vollzieht sich ein grundlegender Wandel. Unter dem Druck der Fachabteilungen löst sie sich von ihrer Technikzentrierung und orientiert sich zunehmend am Benutzer. Arbeitsabläufe können wieder individuell gestaltet werden. Das Resultat könnte eine kooperative EDV werden.

Über Schnittstellen wird das gesamte Spektrum der DV-Leistungen verfügbar sein gleichgültig, aus welchen Teilen des Netzwerks sie stammen. "Interaction Design", "Design Interface", "lnteractive Design", "Integration by Design" - Begriffe wie diese stehen für Bestrebungen oder praktische Versuche, in der Informationsverarbeitung ein Prinzip einzuführen, das in der Industrie schon lange üblich ist: Produkte nicht nur von den Technikern gestalten zu lassen, sondern bereits in den Konstruktionsprozeß den Designer als "Anwalt" der Benutzer einzubeziehen.

Schnittstelle für die ureigenen Bedürfnisse

Inwieweit diese - bislang auf ergonomische Schnittstellen konzentrierten - Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden, stehen noch offen, daß sie überhaupt unternommen werden, hat einen einfachen Grund: den Aufstand der DV-Benutzer. lmmer weniger werden die Ergebnisse, die die traditionellen DV-Abteilungen abliefern, in den Fachbereichen akzeptiert. Was die Benutzer wirklich wollen, verdeutlicht das rasche Vordringen PC-basierter grafischer Oberflächen, kurz: "GUIs" - nähmlich eine Schnittstelle, die sich auf die ureigenen Anwenderbedürfnisse einstellt - und nicht umgekehrt.

Wenn die in diesen Systemen gebündelten Erwartungen erfüllt werden sollen, läßt sich, das Problem jedoch nicht allein an der Oberfläche beheben. Die EDV hat sich generell neu zu orientieren. Der Begriff Design muß in seinem ursprünglichen Sinn verstanden werden, nicht als Oberflächenkosmetik, sondern als durchgängige Gestaltung der Funktionalität eines technischen Systems aus dem Blickwinkel des Benutzers.

Das Problem geht auch über den einzelnen Arbeitsplatz hinaus. Gebraucht man den Begriff "Benutzer" umfassend und versteht darunter alle, die auf Ergebnisse der Informationsverarbeitung angewiesen sind, läßt sich die EDV insgesamt als Oberfläche auffassen: Sie repräsentiert die betrieblichen Abläufe, zu deren Unterstützung sie allein existiert. "Benutzerfreundlichkeit" heißt hier nichts anderes, als daß die DV diese Abbildungsfunktion optimal erfüllt. Und auch hier beobachten wir mit dem Aufkommen von CASE-Methoden und -werkzeugen eine grundlegende Neuorientierung, die der britische Marktbeobachter Russel Jones mit einer "Kulturrevolution" vergleicht: Bei der Entwicklung von lnformationssystemen stehen nicht mehr die DV-technischen Abläufe, sondern die tatsächlichen Geschäftsprozesse im Mittelpunkt.

Daß sich die Informationsverarbeitung von ihrer Technikzentrierung löst und verstärkt am Benutzer orientiert, ist in der Tat Ausdruck eines weiterreichenden - wenn man will: kulturellen - Wandels. Untrügliches Zeichen dafür ist das Aufkommen neuer verbaler Konstrukte.

Zur hinlänglich bekannten "High Tech" sind Begriffe wie "High Org" und gar "High Pol" getreten und werden bereits ohne ironischen Unterton gebraucht.

Gemeint ist nichts anderes, als daß Unternehmensorganisation, -kultur und technische Infrastruktur nicht mehr zentralistisch-autoritär verordnet, sondern dezentral, aus der Sicht und unter Einbeziehung derer gestaltet werden, die damit auch leben und arbeiten müssen. Was sind nun die Ursachen dieser Wende?

"Benutzer" ist eigentlich ein Un-Wort. Es drückt nichts aus. Man kann einen Besen benutzen, einen Fahrstuhl oder einen Mitmenschen. Daß mittlerweile jeder, der den Begriff hört, ganz selbstverständlich an eine Person vor Tastatur und Bildschirm denkt, zeigt, wie weit hier ein Zustand verinnerlicht wurde, der eigentlich bedenklich stimmen müßte: Vor der EDV sind alle gleich - unmündig. Aus Buchhaltern, Kreditsachbearbeitern, Sekretärinnen oder Lagerverwaltern wurden anonyme Anhängsel eines technischen Systems. In bestimmten Teilen ihres Berufs verloren sie ihre Autonomie.

Diese schleichende Abhängigkeit resultierte aus den hinlänglich bekannten und häufig beschriebenen Defiziten der Technik selbst. Die Benutzer mußten sich ihr anpassen, weil Abläufe starr vorgegeben waren. Die Inhalte der DV-Systeme entsprachen oft nicht den fachlichen Bedürfnissen, weil sie unter primär technischen Aspekten entworfen worden waren, konnten aber kaum geändert werden - von Zusammenspiel verschiedener Systeme in einem komplexen Unternehmensumfeld ganz zu schweigen. Notwendige organisatorische Änderungen wurden blockiert, weil Abläufe in der DV festgeschrieben waren und der Anpassungsaufwand zu groß gewesen wäre. Die Bedienung der Systeme erforderte umfangreiches technisches Wissen, das häufig nur Scheinwissen war, weil es beim nächsten Systemwechsel wieder hinfällig wurde.

Bei der Einführung eines Informationssystems und jeder Änderung wurden DV-Experten benötigt. Welcher Platz dem Benutzer in dieser Welt zugewiesen war, offenbarte sich dort, wo angeblich etwas für ihn getan werden sollte: Sogenannte Endbenutzersysteme, die etwas Individualität zuließen, waren am Rand der DV angesiedelt. Daraus ergab sich nur konsequent, daß eine solche bestimmende Technik ihr organisatorisches Pendant fand, indem sie meist verordnete, also zentral durchgesetzt wurde.

Diese "Kommando-Technik", die gehorsam ausführende Organe voraussetzte, geriet jedoch immer mehr in Widerspruch zu den wirtschaftlichen Bedürfnissen. In den Unternehmen setzten sich unter dem Druck komplexer und zugleich dynamischer Märkte neue Organisationskonzepte durch, die Flexibilität und rasche Anpassungsfähigkeit erfordern (Just-in-time, Optimised Production Technology etc.)

Ausgehend von der Produktion, wurden die darin enthaltenen Prinzipien allmählich auf die Büroarbeit übertragen und beeinflußten schließlich das gesamte Unternehmenskonzept. Dezentrale, an den Kunden ausgerichtete Organisationsformen mit weitgehend autonomen Einheiten lösten traditionelle Hierarchien ab. Damit wurde eigenverantwortliches Handeln auf allen Ebenen notwendig. Immer mehr setzen sich moderne Führungskonzepte durch, die Verantwortung delegieren, Erfolge nicht durch detaillierte Kontrolle, sondern durch Motivation erzielen wollen, Anordnungen durch Direktiven als Richtlinien für selbständiges Entscheiden ersetzen.

Individualität statt starrer Abläufe

Es ist evident, daß eine DV, wie sie oben skizziert wurde, in eine Akzeptanzkrise geraten mußte. Die Anwender verlangten eine lokal verfügbare und vom Fachbereich bestimmbare Informationsverarbeitung, forderten Individualität statt starrer Abläufe, fachlich gewollte Inhalte und menschenfreundliche Oberflächen. Kurz: Man wollte wieder Gestalter sein statt nur Benutzer.

Als Reaktion folgte zunächst nur die Verweigerung. Nun sollte möglichst alles im Fachbereich gemacht werden. Als Ergebnis wurden die Abteilungen - je nach "Stärke" - mehr oder weniger mit PCs und Mittlerer Datentechnik überflutet. Doch ließ sich die Krise der klassischen Großrechner-DV nicht mit PC-Lösungen beheben. Zum einen gab es die bekannten Integrationsprobleme wie Systemwildwuchs, Redundanzen, fehlender Zugriff auf aktuelle, zentrale Daten, Medienbrüche, damit zusammenhängend Doppelerfassung und die Unmöglichkeit systematischer, unternehmensweiter Informationsverdichtung als strategischem Faktor.

Vor allem aber verschärfte dieser Ansatz zunächst die ökonomisch-organisatorischen Probleme, zu deren Lösung er ja angetreten war. Eine der wichtigsten Regeln moderner Organisationskonzepte lautet, daß auf keinen Fall strategisch wichtigen Bereichen mit knappen Ressourcen Arbeiten aufgehalst werden dürften, die auch anderswo erledigt werden könnten. Deshalb ist es untragbar, daß in Büros das Rad immer wieder neu erfunden werden muß und der typische PC-Benutzer - wie die Gartner Group feststellte - ungefähr zwei Wochen pro Jahr mit Rechenzentrums-Funktionen verbringt.

PCs und Workstations schufen neue Totbestände

PCs und Workstations übten jedoch zugleich eine heilsame Wirkung aus. Sie veränderten nicht nur das Selbstverständnis der Großrechner-DV, sie schufen auch Tatbestände, die nicht mehr wegzudenken sind. Vor allem die grafischen Benutzeroberflächen zeigen, was eine DV dem Benutzer bieten muß, wenn sie wieder Akzeptanz finden will: Reduktion der Komplexität, einfache und zugleich vollständige Repräsentation von Objekten, Transparenz von Zusammenhängen, Individualität und Gestaltbarkeit, einfache, menschengerechte Interaktion mit dem Computer.

Doch können diese Eigenschaften nicht allein voll einer Oberfläche und schon gar nicht allein vom PC erfüllt werden. Nachdem der autoritäre Ansatz ebenso gescheitert ist wie die zwar verständliche, nichtsdestotrotz kurzsichtige anarchische Gegenbewegung, wird jetzt eine Synthese notwendig.

Im organisatorischen Bereich hat sich diese Erkenntnis bereits verfestigt, was sich nicht nur in den oben genannten Wortkonstrukten äußert. Eine von Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderte Untersuchung, die auf einer repräsentativen Befragung voll über 400 Unternehmen basiert - in diesem Fall auf die Einführung von Bürokommunikation konzentriert -, kommt zu eindeutigen Ergebnissen: Strategien, bei denen die zentrale Informationsverarbeitung die Infrastrukturplanung dominiert und bei denen technische Aspekte im Vordergrund stehen, seien kaum noch durchsetzbar. Die Resultate seien meist genau das Gegenteil, nämlich rein dezentrale Lösungen, die sich durch Mangel an Gesamtkonzeption auszeichneten und die Entwicklung vor Ort weitgehend dem Zufall überließen.

"Eine gescheiterte Top-Down-Strategie", resümieren die Forscher, "behindert die Entwicklung nachhaltig."

Nur in einer Kooperationsstrategie, bei der die Fachbereiche ihre lnformationsverarbeitung planen und die übergreifende Infrastruktur gemeinsam mit dem Zentralbereich entwickelt wird, sehen sie überhaupt eine Perspektive. Auch dieser organisatorisch-kulturelle Ansatz braucht sein technisches Pendant. Benötigt wird eine kooperative EDV, die die physikalische Dezentralisation in ein zusammenhängendes logisches Konzept faßt.

Die Evolution der Revolution ist im Gange

Nun hat auch die Mainframe basierte DV in den vergangenen Jahren nicht geschlafen, nur verlief die Entwicklung je nach Hersteller höchst unterschiedlich. Auch hier wurden wesentliche Schritte in Richtung Benutzer getan. Vor allem die Technologie der vierten Generation setzte immer wieder Meilensteine. Anwendungen wurden von DV-technischen Aspekten entkoppelt.

Durch das Prototyping ließen sich individuelle Wünsche bei der Gestaltung von Oberflächen stärker berücksichtigen. Mit CASE-Technologien schließlich können Informationssysteme dort designed werden, wo der Anwender sie verstehen und überschauen kann: auf der Ebene des Geschäftswissens. Indem die Programme weitgehend generiert werden, läßt sich außerdem die Übereinstimmung von Design und Produkt sicherstellen.

Zugleich sind - zunächst auf den Mainframe beschränkt Anfänge einer "Kooperation" verschiedener DV-Elemente entstanden. Über eine einheitliche 4GL-Schnittstelle kann zum Beispiel auf verschiedene Datenbanken und Systemdaten zugegriffen werden. Module mit Standardfunktionen - sei es zur Bürokommunikation oder zur individuellen Datenverarbeitung - lassen sich nicht nur autonom nutzen, sondern auch als Komponenten in komplexe Anwendersysteme integrieren. Endbenutzerfunktionen stehen hier nicht am Rand der Informationsverarbeitung, sondern bilden Kernsysteme, um die herum individuelle Lösungen entstehen.

Mit Hilfe der vierten Generation können bereits heute betriebliche Anwendungssysteme so designed werden, daß sich wiederkehrende betriebliche Elementarfunktionen vorgefertigt bei Bedarf schnell und flexibel zu komplexen Abläufen zusammenstellen lassen. So ist die in der Vergangenheit von der Technik diktierte Aufsplitterung zusammengehöriger Vorgänge zu überwinden, der "Rundum-Sachbearbeiter", der zum Beispiel einen Kunden komplett betreut, wird Realität.

Auch die Trennung von Großrechner und PC konnte mit Hilfe der vierten Generation teilweise aufgehoben werden. Der wechselseitige Zugriff von Anwendungen des einen auf Daten des jeweils anderen Systems - weitgehend unabhängig von der physikalischen Form der Kommunikation - war bisher bereits möglich.

Was nun ansteht, ist die vollständige Integration der verschiedenen Welten. Die grafischen Benutzeroberflächen erfahren eine vollständige Einbindung in die PC-Mainframe-Kommunikation. Dabei werden erstmals Anwendungen selbst "zerschnitten", das heißt, ein Teil läuft auf dem Mainframe, der andere - die Präsentation - auf der lokalen Workstation. Und auch diese Kooperation ist nur mit Hilfe der 4GL-Technik sinnvoll zu gestalten, die zwischen beiden Welten eine gangbare Brücke schlägt (High-Level -Interfaces). Für den Benutzer verknüpft sie eine komfortable, völlig auf ihn zugeschnittene Oberfläche mit dem Zugriff auf jede beliebige Information im Rechner-Netzwerk. Den Entwickler befreit sie von der nahezu unlösbaren Aufgabe, diese hochkomplexen grafischen Benutzeroberflächen selbst meistern zu müssen.

Geht man den Weg, die gesamte EDV benutzergerecht zu designen, konsequent weiter, erreicht sie eine neue Qualität. Soll die dezentrale Hardware-Infrastruktur, die in den letzten Jahren bereits entstanden ist beziehungsweise die sich viele Unternehmen im Zuge ihrer organisatorischen Dezentralisierung in nächster Zeit schaffen wollen, die Basis einer effizienten strategischen Informationsverarbeitung bilden, bedarf es eines integrativen Softwarekonzeptes, das alle Plattformen zusammenfaßt, das eine wirklich "kooperative" DV schafft. Dazu müssen nicht nur die Verarbeitung von der Präsentation getrennt werden. Dazu müssen Anwendungen, muß das gesamte DV-System in beliebige Komponenten "zerschnitten" und über dieses Netzwerk verteilt werden, wobei jede Komponente Leistungen einer jeden anderen in Anspruch nehmen kann.

Dann lassen sich auch nette, ebenfalls von den Benutzern forcierte Entwicklungen wie Unix einbinden. Mit einem solchen Client-Server-Konzept wird die Alternative "entweder Großrechner oder PC/Workstation" endgültig hinfällig. Für den Benutzer wird sie auch völlig gleichgültig. Er kennt nur noch "seine" Schnittstelle, mit der er kommuniziert, die ihn

mit Informationen bedient, ohne daß es ihn interessieren muß aus welchen Komponenten

des Netzwerks die zugrundeliegenden DV-Leistungen nun stammen.

Insofern steht die EDV in der Tat vor einer "revolutionären" Weiterentwicklung. Allerdings nicht im Sinne von Abbruch und Neubeginn. Vielmehr ist der Punkt erreicht, an dem Quantität - nämlich die Evolution der Technologie der vierten Generation - in eine nette Qualität umschlägt.