Der Gastkommentar

Der Anwender ist bei EDI in hohem Masse selbst gefordert

23.07.1993

Der Electronic Data Interchange (EDI) verzeichnet zur Zeit jaehrliche Wachstumsraten von ueber 50 Prozent. Dies sollte eigentlich ein positives Echo innerhalb der stagnierenden DV- Branche zur Folge haben, in der Wachstumsmaerkte rar gesaet sind. Trotzdem werden immer wieder Stimmen laut, die der EDI-Thematik skeptisch gegenueberstehen.

Folgende Themen erweisen sich in der kontrovers gefuehrten Diskussion als Dauerbrenner: EDI und Edifact als Schluesseltechnologie der Zukunft; Aufbau der technischen EDI- Infrastruktur unter Beruecksichtigung juristischer und betriebswirtschaftlicher Praemissen; Hilfestellung vom Anbietermarkt.

EDI laesst sich, historisch betrachtet, bis in die 60er Jahre zurueckverfolgen. Allerdings handelte es sich vorwiegend um Inselloesungen, die dem heutigen Verlangen nach offenen Loesungen nicht standhalten. Mit der Entwicklung der Weltnorm Edifact 1987 kam wieder Bewegung in den EDI-Markt. Allerdings wurde erst 1992 ein normierter Stand in der Nachrichtenentwicklung erreicht, der die Anforderungen an die Geschaeftsdokumente der Anwender in zufriedenstellendem Masse abdeckt.

Schon seit laengerer Zeit ist jedoch zu beobachten, dass sich Interessengemeinschaften einzelner Branchen konstituieren, die sogenannte Subsets, das heisst Untermengen der Original-Edifact- Nachricht, gebildet haben. Der Erfolg dieser Subset-Erstellung ist unterschiedlich zu bewerten. Entscheidend ist hierbei, dass die Subsets sich exakt an die Edifact-Syntax halten und alle Inhouse- Anforderungen ihrer potentiellen Anwender beruecksichtigen. Nur so kann die erforderliche kritische Masse fuer die Subset-Anwendung erreicht werden.

In diesem Zusammenhang sind das Subset "Edioffice" der Buerowirtschaftsbranche beziehungsweise "Eancom" der Centrale fuer Coorganisation zu erwaehnen, die innerhalb kuerzester Zeit beachtenswerte Implementierungserfolge verbuchen konnten. Als Gegenbeispiel ist das Subset "Edifurn" der Moebelindustrie zu nennen, welches bisher nicht die noetige Akzeptanz in der Moebelbranche gefunden hat.

Ausschlaggebend fuer das eigene Engagement in der EDI-Welt sind haeufig die Aktivitaeten des Wettbewerbs. Ein oft strapazierter Indikator ist der Gesamtjahresumsatz des EDI-Marktes. Hier wird eine Vielzahl von Zahlen ins Spiel gebracht, deren Bewertungen jedoch stark differieren. Was ist ueberhaupt der EDI-Markt? Nur Software und Netzwerkleistung oder auch die Beratung, die notwendige Hardware und Netzinfrastruktur etc.

Die Analysten von Frost & Sullivan gehen davon aus, dass 1993 weltweit 500 Millionen Dollar mit EDI umgesetzt werden, sagen aber nichts ueber die Praemissen aus. Definiert man den deutschen EDI-Markt mit seinem Umsatzvolumen als EDI-Software, Netzwerkleistung und EDI- Beratungsservice, kann dieser fuer das laufende Jahr auf ein Volumen von rund 100 Millionen Mark geschaetzt werden, wobei Deutschland nicht gerade den Primus im Weltzirkus der EDI-Anwender darstellt.

Dem EDI-Anwender muss klar sein, dass nach der Entscheidung fuer die Einfuehrung von EDI und Edifact die infrastrukturellen Rahmenbedingungen fuer einen professionellen EDI-Betrieb zu schaffen sind. Wichtigster Bestandteil des "EDI Start up" ist die Unterstuetzung durch das Management, die heute allerdings bei maximal 40 Prozent der EDI-Projekte gegeben ist. Die Integration des Managements in das EDI-Projektteam ist zwingend notwendig, um die Umsetzung horizontaler Loesungsansaetze in die Praxis zu gewaehrleisten. Steht das Management nicht hinter der EDI- Einfuehrung, ist aufgrund der oft fehlenden interdisziplinaeren Sichtweise der Projektmitarbeiter die Gefahr sehr gross, dass operative vertikale Loesungsansaetze und EDI-Szenarien bevorzugt werden, die sich bezogen auf den Zeitraum spaeter als Fehlinvestment herausstellen.

Zwingende Zielsetzung ist ausserdem der Aufbau eines bereichs- und anwendungsuebergreifenden EDI-Gateways innerhalb der DV- Infrastruktur des Unternehmens, ueber welches alle relevanten Anwendungen versorgt werden koennen. Hierdurch lassen sich die EDI- Infrastrukturkosten auf mehrere Kostenstellen verteilen, wodurch der Return on Investment wesentlich verkuerzt wird. Wo immer verfuegbar, sind fuer die Realisierung der Infrastrukturanforderungen Standards einzusetzen. Dies gilt sowohl im Bereich der Nachrichtenformate (Edifact) als auch bei der Telekommunikation (X.400, FTAM), der Sicherheit (RSA, DES), der User Interfaces (Motif, Windows), der Datenhaltung (SQL), der Archivierung (WORM) sowie der Betriebssysteme (Unix, DOS).

Hinsichtlich der EDI-Architektur hat sich am Markt das Server- Konzept durchgesetzt. Wurde vor Jahren vielfach die EDI- Funktionalitaet auf dem Host installiert, sind heute ueber 90 Prozent der EDI-Software auf dedizierten Vorrechnern implementiert. Diese Tendenz wurde zum einen von der performanten RISC-Technologie im Hardwarebereich forciert, zum anderen von der neuen Generation der jungen DV-Chefs, die ueber ausreichende Kenntnisse im Unix- und Workstation-Sektor sowie der Client- Server-Architektur verfuegen. Im Bereich der Telekommunikationsprotokolle sieht es aehnlich aus. Hier hat sich im letzten Jahr die OSI-Kommunikation mit X.400 und FTAM auf Kundendruck am Markt durchgesetzt.

Allerdings laesst sich insgesamt die Anwenderproblematik nur unzureichend loesen, wenn die Anwendungs- und Netzintegration nicht beruecksichtigt wird. Die technische Infrastruktur erweist sich als immer komplexer, und die EDI-Rationalisierungspotentiale koennen nur dann ausgeschoepft werden, wenn vollstaendige Prozessketten miteinander verknuepft werden. Genau hier liegt die Herausforderung und der Anspruch von EDI-Anwendungen in den naechsten Jahren. Aus diesem Grund ist es wichtig, leistungs- und motivationsfaehiges Personal mit dem Thema EDI zu beauftragen. Schliesslich handelt es sich bei der spaeteren EDI-Produktion um eine Schluesselfunktion im Unternehmen. Dieser Anforderung werden viele Anwender heute nur unzureichend gerecht.

Neben den Taetigkeiten im eigenen Hause steht der EDI-Anwender natuerlich auch vor der Problematik, auf welche externen Ressourcen er sich stuetzen kann. Waren es 1992 noch etwa 30 Anbieter, so ist die Zahl 1993 schon auf mehr als 40 Anbieter angewachsen. Fuer den Anwender laesst sich unter der Beruecksichtigung qualitativer Gesichtspunkte allerdings sehr schnell die Spreu vom Weizen trennen. Zur Zeit gibt es in Deutschland lediglich eine Handvoll EDI-Dienstleister, die Projekte von Grossanwendern abwickeln koennen. Selbst die grossen Hardwarehersteller IBM, HP, SNI, Sun oder DEC bedienen sich heute dieser externen EDI-Spezialisten bei der Realisierung ihrer Kundenprojekte.

Neben der EDI-Software sind von den EDI-Anbietern die Bereiche Konzeption, Hardware, Implementierung, Produktionsbetrieb und Vertrieb kompetent und umfassend abzudecken. Dies ist von 90 Prozent der EDI-Dienstleister allerdings allein aufgrund ihrer personellen und finanziellen Ausstattung sowie des fehlenden Know- hows gar nicht zu leisten.

Haeufig wurden in den letzten Jahren von den EDI-Anwendern auch die oeffentlichen Stellen, Ministerien, Verbaende etc. (zum Beispiel Deupro, DIN, AWVaufgefordert, Hilfestellung im EDI-Umfeld zu bieten. Allerdings wird von den Interessenten immer wieder Kritik laut, dass sie sich nicht zufriedenstellend und umfassend betreut fuehlen. Im Juni 1993 wurde mit der deutschen EDI-Gesellschaft Dedig e.V. nun eine Gesellschaft ins Leben gerufen, deren Aufgabe darin besteht, das Thema EDI in Deutschland zu propagieren. Ziel ist, dem potentiellen EDI-Anwender umfassende Hilfestellung zu allen Fragen eines EDI-Projekts zu geben.

Bei der Gruendungsveranstaltung waren Vertreter von rund 35 Firmen zugegen, wobei leider die Mehrheit aus EDI-Anbietern statt aus EDI-Anwendern, der eigentlichen Zielgruppe der Dedig, bestand. Hieraus resultiert grundsaetzlich die Gefahr, dass die EDI-Wettbewerber innerhalb der Dedig aufgrund der Wettbewerbsposition kontraproduktiv taetig werden koennten. Hauptaufgabe der neuen Gesellschaft wird es deshalb in den ersten Monaten sein, diese Bedenken zu zerstreuen und die notwendige Neutralitaet zu gewaehrleisten.

Einen Vorgeschmack auf die Schwierigkeit dieser Mission hat schon die Gruendungsversammlung in Berlin gegeben. Nur wenn es der Dedig gelingt, ein eigenes Profil und Charisma zu gewinnen, hat sie die Chance, eine feste Groesse im EDI-Markt zu werden, andernfalls wird sie ein Spielball der EDI-Dienstleister und Hardware-Anbieter, ohne jemals die in sie gesteckten Erwartungen erfuellen zu koennen. Wie dem Anwender unkonventionell geholfen werden kann, hat erst kuerzlich die Arbeitsgemeinschaft fuer wirtschaftliche Verwaltung (AWVgezeigt, die in einem ihrer Arbeitskreise einen deutsch- und englischsprachigen EDI-Mustervertrag erstellt hat, der zur Zeit der breiten Oeffentlichkeit zugaenglich gemacht wird und als Leitfaden verwendet werden kann.

Insgesamt laesst sich als Fazit festhalten, dass der Anwender in starkem Masse selbst gefordert ist, sich im Vorfeld einer EDI- Implementierung mit den Marktgegebenheiten auseinanderzusetzen. EDI und Edifact laesst sich nur bedingt von der Stange kaufen. Hierzu ist jedoch Markttransparenz notwendig, um Investitionsschutz und Zukunftsorientierung nicht auszuschliessen und Fehlentscheidungen vorzubeugen.