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Der Anfang vom Ende: Aus für Neuen Markt vor fünf Jahren verkündet

26.09.2007
Es war der Anfang vom Ende: Als die Deutsche Börse am 26. September 2002 das Aus für den Neuen Markt ankündigte, war in der Fachpresse vom "Befreiungsschlag" die Rede.

Im März 1997 mit großen Erwartungen als Marktplatz für Börsenneulinge gestartet, brachten aufgeblasene Bilanzen und Kursbetrug den Neuen Markt in Verruf. Zwar gibt es noch heute Forderungen nach einer Neuauflage des Segmentes, das jungen Unternehmen an der Börse zu frischem Geld verhelfen sollte. Doch die meisten Anleger und Börsianer denken nur mit Grausen an die New Economy zurück: Binnen kürzester Zeit wurden dort Milliarden vernichtet - und viel Vertrauen in Aktien als Geldanlage gleich mit.

Seit dem Börsen-Crash 2000 sank die Zahl der Aktionäre und Fondsbesitzer in Deutschland um gut zwei Millionen auf derzeit 10,5 Millionen. "Wir haben in Deutschland eine Spekulationskultur gesehen während des Neuen Marktes - von manchen überschrieben mit 'Gier frisst Hirn'", sagt DekaBank-Chef Franz Waas. Die Jagd nach Rendite durch schnelles Kaufen und Verkaufen der Papiere habe mit Aktienkultur wenig zu tun, betont der Vorstandsvorsitzende des zentralen Fondsanbieters der Sparkassen: "Da können Sie auch ins Spielcasino gehen."

Schwindelerregende Kursrallyes trugen dem Neuen Markt bald das Etikett "Zockermarkt" ein. So schoss etwa der Unternehmenswert des Mobilfunkanbieters mobilcom, der sich als erster an den Neuen Markt wagte, im ersten Börsenjahr um 2800 Prozent in die Höhe. "Börsianer standen dem Neuen Markt von Anfang an skeptisch gegenüber, das Segment galt von Anfang an als Zockermarkt, obwohl die ersten Werte sehr solide waren", erinnert sich der Leiter des Wertpapierhandels bei der Privatbank Hauck & Aufhäuser, Fidel Helmer, der das Geschehen an der Frankfurter Börse seit fast 40 Jahren verfolgt.

Dabei war das Börsensegment mit ambitionierten Zielen aufgelegt worden: Rasch wachsende Mittelständler - besonders aus den Branchen Umwelttechnik, Telekommunikation, Biotechnologie und Multimedia - sollten sich besser mit Risikokapital versorgen können. "Der Neue Markt bot gerade jungen, innovativen Technologiefirmen eine Plattform, die sie sonst in dem Gesamtspektrum der börsennotierten Unternehmen nicht gehabt hätten", sagt der Chef des Deutschen Aktieninstituts (DAI), Rüdiger von Rosen.

Doch im März 2002 räumte gar der damalige Börsenchef Werner Seifert ein, es habe am Neuen Markt "kriminelle Machenschaften" gegeben. So hatte der Münchner Telematik-Spezialist ComROAD fast seine gesamten Umsätze erfunden und die Brüder Haffa - einst als Millionärsmacher gefeiert - mussten eingestehen, dass die Bilanzen ihrer Medienfirma EM.TV nicht stimmten und landeten vor Gericht. Immer länger wurde die Liste der geschassten Börsenstarter - mit so kunstvollen Namen wie FortuneCity.com, InfoGenie, e.multi und LetsBuyIt.com . Der Auswahlindex der Wachstumsbörse, der NEMAX 50, brach von Rekordständen von fast 10.000 Punkten zwischenzeitlich auf nur noch einige hundert Punkte ein. Die Spekulationsblase platzte, binnen weniger Monate stürzte das Börsenbarometer 2000/2001 ab.

Mit strengeren Regeln für Quartalsberichte, einer Meldepflicht für Wertpapiergeschäfte von Managern und schärferen Rauswurfregeln versuchte die Börse, im Neuen Markt auszumisten. Im September 2002 musste dennoch die Reißleine gezogen werden, knapp neun Monate später, am 5. Juni 2003, wurde der Neue Markt geschlossen.

"Inflationäre Börsengänge - getrieben von der Gier der Banken, die daran kräftig verdienten - haben den Neuen Markt kaputtgemacht", schimpft mobilcom-Gründer Gerhard Schmid. Doch so einfach machen sich die meisten Fachleute die Suche nach Verantwortlichen nicht. "Es gab viele Schuldige: Anleger kauften alles, ohne eigentlich zu wissen, was sie kaufen, die Aufnahmekriterien der Börse wurden vielleicht zu locker gehandhabt und die Banken haben so manches Unternehmen an die Börse gebracht, das dort nichts verloren hatte", sagt Privatbanker Helmer.

Aktieninstituts-Chef von Rosen sagt, er habe es auch kritisch gesehen, dass das Segment "sang- und klanglos eingestampft wurde, weil dieses Anreiz für den Börsengang spezieller Unternehmen ist". So mancher Experte fordert eine zweite Chance für den Neuen Markt, um in Deutschland eine "Kultur für Wagniskapital" wiederzubeleben. Doch die meisten Börsenprofis sind wie der Privatbanker Helmer überzeugt: "Es gibt in Deutschland genug Möglichkeiten für kleine Unternehmen, an die Börse zu gehen. Dazu brauchen wir kein neues Segment." (dpa/tc)