Ampel-Koalitionsvertrag 2021

Den Worten müssen Taten folgen

29.11.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die Ampel-Koalition will Deutschland modernisieren und digitalisieren. Doch das wollten frühere Regierungen auch schon. Wirtschaft und Verbände sind vorsichtig optimistisch, fordern aber Taten. Das sind die ersten Reaktionen.
Die Ampel feiert ihren Koalitionsvertrag. Doch ob die kommende Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP ihre Digitalisierungsversprechen einlösen kann - dahinter bleibt angesichts der Misserfolge der vergangenen Regierungen ein großes Fragezeichen.
Die Ampel feiert ihren Koalitionsvertrag. Doch ob die kommende Regierung aus SPD, den Grünen und der FDP ihre Digitalisierungsversprechen einlösen kann - dahinter bleibt angesichts der Misserfolge der vergangenen Regierungen ein großes Fragezeichen.

Im Koalitionsvertrag heißt es: "Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln." In der Folge ist die Rede von...

  • einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur von Weltklasse,

  • der Vermittlung von digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz für alle Altersgruppen,

  • einer Arbeitswelt, die Menschen im digitalen Wandel befähigt, sichert und mehr Lebensqualität ermöglicht,

  • einer Regulierung, die Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit schafft,

  • mehr Sicherheit im Cyberraum,

  • mehr Bürgernähe durch eine moderne, digitale Verwaltung,

  • einem Rechtsrahmen, der Bürgerrechte garantiert, einen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit leistet und gleichzeitig mehr Innovationen ermöglicht.

Das hört sich erst einmal gut und stimmig an. Allerdings ist diese Passage nicht im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelparteien zu lesen, sondern im 2018 vorgelegten Koalitionsvertrag der inzwischen abgewählten Regierung. Geliefert haben CDU/CSU und SPD wenig. Von einer digitalen Infrastruktur von Weltklasse oder einer modernen digitalen Verwaltung kann noch immer keine Rede sein. Im Gegenteil: Im internationalen Vergleich dümpelt Deutschland in Sachen Digitalisierung und E-Government abgeschlagen im hinteren Drittel der meisten Rankings. Das Versagen in Sachen digitalpolitischer Modernisierung zieht sich wie ein roter Faden durch die Ära Angela Merkel. Seit 2005 haben alle Regierungen in ihren Koalitionsverträgen vollmundig angekündigt, das Land moderner, fortschrittlicher und digitaler gestalten zu wollen. Die Fortschritte hielten sich indes in Grenzen.

Damit schleppt die kommende Regierung aus SPD, den Grünen und FDP eine gewaltige Hypothek mit sich herum. Nicht umsonst betitelt die Ampel ihren Koalitionsvertrag, der die Leitplanken der künftigen Regierungsarbeit bestimmen wird, mit "Mehr Fortschritt wagen". Das ist auch nötig angesichts der zahlreichen digitalpolitischen Baustellen. Immerhin scheint der Wille groß, Grundsätzliches zu bewegen. Gleich das erste Kapitel des Koalitionsvertrags steht unter der Überschrift: "Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen". Das macht deutlich, dass diese Punkte für die künftige Regierung oberste Priorität haben. An den Themen hat sich derweil nicht viel geändert: Sie reichen von einer besseren digitalen Infrastruktur über eine moderne Verwaltung mit weniger Bürokratie bis hin zu mehr Unterstützung des Tech-Sektors und Startups. Warum es der neuen Regierung gelingen sollte, die altbekannten Probleme zu lösen, wird im Programm nicht recht deutlich. Es fehlt die klare Aussage, wie die Digitalisierungs- und Modernisierungsbremse gelöst werden soll.

So verwundert es auch nicht, dass der Koalitionsvertrag bei Wirtschaft und Verbänden mit gemischten Gefühlen aufgenommen wird. Die künftige Regierung erhält zwar erst einmal von vielen Seiten Kredit, aber auch die Mahnung ins Hausaufgabenheft geschrieben, den vielen Worten nun Taten folgen zu lassen. Daran wird sich die Ampel in den nächsten Jahren messen lassen müssen. Das sind die Reaktionen.

Ampel-Koalition 2021: Was erwartet uns? Das sagen Experten

Bitkom-Präsident Achim Berg: Eine Fülle guter Ansätze

"Der Koalitionsvertrag bleibt in puncto Digitalisierung etwas hinter den hohen Ansprüchen des Sondierungspapiers zurück, bietet aber eine Fülle guter Ansätze, um Deutschland fit zu machen für die digitale Welt. Jetzt muss es darum gehen, Kernvorhaben wie zum Beispiel die Digitalisierung von Verwaltung und Schulen in die Praxis umzusetzen und gleichzeitig dort nachzulegen, wo es noch Lücken gibt wie in der Datenpolitik und bei digitalen Identitäten.

Das neue Ampelbündnis stellt an sich selbst den Anspruch, eine Fortschrittskoalition zu bilden. Es geht jetzt also darum, die wichtigen Zukunftsfragen anzugehen, allen voran die Digitalisierung und Dekarbonisierung. Ich freue mich, dass der Vertrag der Bedeutung dieser beiden epochalen Transformationsprozesse ausdrücklich Rechnung trägt. Der angekündigte digitale Aufbruch muss Realität werden und in allen Bereichen Boden gutgemacht werden.

"Der angekündigte digitale Aufbruch muss Realität werden und in allen Bereichen Boden gutgemacht werden", fordert Bitkom-Präsident Achim Berg.
"Der angekündigte digitale Aufbruch muss Realität werden und in allen Bereichen Boden gutgemacht werden", fordert Bitkom-Präsident Achim Berg.
Foto: Bitkom

Wir begrüßen, dass der Koalitionsvertrag eine Bündelung von Kompetenzen vorsieht und die Digitalisierung mit dem Bundesministerium für Verkehr und Digitales erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einen festen Platz am Kabinettstisch erhält. Die vom Bitkom vorgeschlagene Erweiterung eines bestehenden Ministeriums ist der richtige Weg, wenn er pragmatisch beschritten und das neue Haus zügig arbeitsfähig wird. Nun muss sich zeigen, dass es auch in der Praxis mit allen Rechten und Ressourcen ausgestattet wird, um die Digitalisierung zu konzertieren und voranzutreiben. Der angekündigte Digitalisierungscheck für alle neuen Gesetze sollte in der Verantwortung dieses Ressorts liegen und es sollte auch über das zentrale zusätzliche Digitalbudget verfügen.

Der Koalitionsvertrag enthält viele konkrete Projekte, die wir sehr positiv sehen und die jetzt schnell angegangen werden müssen. An die Spitze der Prioritäten gehört die Digitalisierung, Modernisierung und Entbürokratisierung der Verwaltung. Positiv ist das Vorhaben, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und das gleich im ersten Jahr auf den Weg zu bringen. Die Einführung eines digitalen Gesetzgebungsportals kann Transparenz, Teilhabe und Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat stärken. Erfreulich ist auch, dass Digitalisierungshemmnisse wie Schriftformerfordernisse abgebaut werden sollen. Hier sollte ein klarer zeitlicher Rahmen nachgereicht werden.

Noch im ersten Jahr soll der Digitalpakt Schule beschleunigt und von bürokratischem Ballast befreit werden, was auch unbedingt nötig ist, damit die Milliarden endlich bei den Schulen ankommen. Die neue Bundesregierung will die Digitalstrategie von Grund auf überarbeiten, digitale Schlüsseltechnologien fördern und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen. Für den privaten Sektor schaffen Superabschreibungen auf Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz wichtige zusätzliche Anreize. Für die innovative Startup-Szene sind es positive Signale, einen vereinfachten, rechtssicheren Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu bekommen und bei Forschungsausgründungen von 'Science-Entrepreneurship-Initiativen' begleitet zu werden.

Digitale Infrastrukturen bilden die Grundlage für die beschleunigte Digitalisierung in Deutschland. Es ist richtig, dass die Koalition Vorfahrt für den Ausbau von Breitband-Internet und Mobilfunk unter anderem mit digitalen Genehmigungsverfahren und schnellerer Verlegeverfahren geben möchte. Neuerungen für die öffentliche Förderung müssen dem richtigen Leitgedanken der Koalition für einen Vorrang des eigenwirtschaftlichen Ausbaus folgen. Der Ausbau darf zudem nicht durch neue Belastungen für die Unternehmen erschwert werden.

Mit der neuen, erstmals aus drei Parteien gebildeten Bundesregierung bietet sich die große Chance, die politischen Prozesse an die Herausforderungen einer gleichermaßen komplexen wie schnellen digitalen Welt anzupassen. So können nicht nur ambitionierte Digital-Vorhaben mit flexiblen Strukturen und agilen Methoden besser vorangetrieben werden. Ein vielversprechender Ansatz ist etwa, feste ressort- und behördenübergreifende agile Projektteams und Innovationseinheiten mit konkreten Kompetenzen zu bilden.

Wir müssen Ressort- und föderale Grenzen überwinden, wir müssen die Verwaltungen leistungsfähiger machen und übergreifende Standards etablieren. Wir müssen in allen Bereichen des staatlichen, aber auch des privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns digitaler und damit auch schneller und besser werden. Die neue Bundesregierung hat die Chance und den Auftrag, Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten vier Jahren in die digitale Welt zu führen."

Oliver Süme, eco - Verband der Internetwirtschaft e.V.: Momentum nicht genutzt

"Wir brauchen jetzt einen Fahrplan in Form einer digitalen Gesamtstrategie, um alle Fäden zusammenzuführen. Fest steht: SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben das historische Momentum nicht genutzt, die Digitalisierung mit einem starken eigenen Ressort zur politischen Top-Priorität zu machen. Gleichzeitig ist der Wille der künftigen Bundesregierung zu einem digitalen Aufbruch klar herauszulesen. Das Thema Digitalisierung findet sich im vorgelegten Koalitionsvertrag in beinahe allen Kapiteln und spiegelt somit die Bedeutung des Querschnittsthemas Digitalisierung gebührend wider.

Jetzt geht es darum, wie es der neuen Bundesregierung ohne koordinierendes Digitalministerium gelingt, hier ressortübergreifend eine konsistente und gleichzeitig ambitionierte digitale Politik umzusetzen. Hierfür braucht es aus unserer Sicht eine digitale Gesamtstrategie, die einen klaren Fahrplan für die digitale Transformation in Deutschland liefert. Die im Koalitionsvertrag adressierten Ansätze sind gut und umfassend, die richtigen Themen und Handlungsnotwendigkeiten erkannt.

"SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben das historische Momentum nicht genutzt, die Digitalisierung mit einem starken eigenen Ressort zur politischen Top-Priorität zu machen", moniert Oliver Süme vom eco Verband.
"SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben das historische Momentum nicht genutzt, die Digitalisierung mit einem starken eigenen Ressort zur politischen Top-Priorität zu machen", moniert Oliver Süme vom eco Verband.
Foto: eco

Positiv hervorzuheben sind hier erstens die klaren Akzente beim Thema Vertrauen und Sicherheit. Wir begrüßen hier insbesondere die Förderung von Security by Design, den geplanten Fokus auf das Schließen von Sicherheitslücken und die Absage an Staatstrojaner. Zweitens sehen wir ein klares Bekenntnis für Innovation und einen starken Technologiestandort, beispielsweise durch den entschlossenen Ausbau digitaler Infrastrukturen, die Förderung von Reallaboren und die forcierte Digitalisierung von Staat und Verwaltung.

Ein drittes Asset ist das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Digitalisierung. Wir weisen schon lange darauf hin, dass diese beiden Themen zusammengedacht werden müssen, weil digitale Infrastrukturen sowie digitale Technologien und Dienste große Potenziale für die Bewältigung des Klimawandels beziehungsweise Erfüllung weiterer Nachhaltigkeitsziele bieten.

Das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 ist ambitioniert, ebenso wie die damit verbundenen Herausforderungen für die Wirtschaft, insbesondere Rechenzentren, die nun schon bis 2027 klimaneutral betrieben werden sollen. Das geplante Ende der EEG-Umlage ab 2023 wird hier hilfreich sein. Gleichzeitig braucht die Bundesregierung eine klare Strategie, wie sie eine verlässliche und flächendeckende Energieversorgung von Bürgern und Wirtschaft mit erneuerbaren Energien sicherstellen will."

Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. und seine Vize-Präsidenten Thomas Duhr und Moritz Holzgraefe: Die Fragen der Zeit verstanden

"Die Koalition scheint die Fragen der Zeit verstanden zu haben und hat die Themen Digitalisierung und Klima als gesamtgesellschaftliche Herausforderung angenommen. Obwohl der BVDW einem Digitalministerium gegenüber nie abgeneigt war, haben wir seit Jahren vor allem einen Digitalisierungsvorbehalt für Gesetze gefordert. Dieser hat es nun als 'Digitalisierungscheck' in den Koalitionsvertrag geschafft und ist zusammen mit einem neuen Digitalisierungsbudget zentral für den digitalen Fortschritt in Deutschland.

Neben dieser wichtigen strukturellen Veränderung in der legislativen Herangehensweise in Form von Checks, gibt es viele weitere Aspekte, die die Digitale Wirtschaft wohlwollend zur Kenntnis nimmt. In seinen zehn Schlüsselthemen zur Bundestagswahl hatte der BVDW bereits Anfang 2021 zentrale Forderungen der Wirtschaft an eine neue Regierung aufgestellt, insbesondere im Bereich der Datenwirtschaft und des Datenschutzes. Unsere wesentlichen Themen und die damit verbundenen Forderungen sind wichtige Bausteine des Koalitionsvertrages geworden. Gerade eine verbesserte und einheitliche Durchsetzung gegenüber allen Marktteilnehmern und Kohärenz der Datenschutzgrundverordnung sowie eine verbesserte nationale sowie europäische Absprache sind für die Digitale Wirtschaft wichtig, um endlich Rechtssicherheit in diesem Themenfeldern zu gewährleisten.

Darüber hinaus soll eine verbesserte Dateninfrastruktur samt Datentreuhändermodell gefördert werden und ein Dateninstitut die Datenverfügbarkeit und -standardisierung vorantreiben. Aus Sicht des BVDW sind dies gute Ansätze, die sinnvoll ausgestaltet werden müssen, um Innovation nachhaltig zu fördern. Es geht allerdings um mehr als nur darum, neue Strukturen zu schaffen, um beispielsweise Daten zu teilen. Ein holistischer Umgang mit dem Thema widmet sich auch Fragen zum Umgang mit Browsern, Betriebssystemen oder App-Stores, die diskutiert werden müssen. Dazu gehört auch die vorgesehene Stärkung des standardisierten und maschinenlesbaren Zugangs zu selbsterzeugten Daten.

Neben diesen Aspekten der datengetriebenen Wirtschaft begrüßt der BVDW im Koalitionsvertrag auch den Fokus auf die Digitale Transformation in weiteren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Darüber hinaus begrüßt der BVDW, dass die Digitalisierung im Gesundheitssektor und im Bereich der Mobilität verstärkt aufgenommen wurden. Gerade in Bezug auf die elektronische Patientenakte ist ein Opt-out der Nutzerinnen und Nutzer sinnvoll, um deren Einsatz flächendeckend zu fördern. Auch ein dediziertes Mobilitätsdatengesetz kann ein guter Ansatz sein, um das automatisierte Fahren voranzutreiben.

Der BVDW wird den Koalitionsvertrag in den kommenden Wochen detailliert analysieren und seine Sichtweise für die dringenden Veränderungen in Deutschland und die Erarbeitung der dafür notwendigen Details einbringen."

Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung ZVEI, Verband der Elektro- und Digitalindustrie: Erwachen aus dem Digitalisierungs-Dornröschenschlaf

"Es ist richtig, dass die Koalition im Kern ihrer Klimaschutzprogrammatik auf die Elektrifizierung und Digitalisierung und ein massiv ausgebautes, flexibles Stromsystem setzt. Der Ausbaupfad der Erneuerbaren muss jetzt wie angekündigt tatsächlich in eine Schnellstraße verwandelt, die Infrastruktur modernisiert und die Stromnetze digitalisiert werden.

Regenerativ erzeugter Strom braucht Netze, an die künftig andere Anforderungen gestellt werden, schon um den steigenden Strombedarf decken zu können. Es ist gut, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren dafür massiv ausgebaut werden sollen. Genauso richtig ist es, dass die Koalition endlich die EEG-Umlage abschaffen will. Investitionen in die Elektrifizierung der Industrie, Mobilität und Gebäude werden damit auch wirtschaftlich attraktiver. Beim CO2-Preis dürfte die neue Koalition - in ihren Worten - 'mehr Fortschritt wagen'.

In der Digitalisierungs- und Innovationspolitik gilt es nun die zahlreichen Digitalisierungsvorhaben auch rechtssicher umzusetzen: Der geplante Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur wie auch die Förderung von Datenzugang sind der richtige Ansatz. Ein Datengesetz sollte jedoch nicht nur staatlichen Datenzugang fördern, sondern auch Anreize für Unternehmen schaffen. Neben Datentreuhändern sollten auch weitere, flexible Datenteilungsmodelle ermöglicht werden.

Wenn die Digitalisierungsvorhaben so umgesetzt werden, erwacht Deutschland endlich aus seinem Dornröschenschlaf. Es ist richtig, dass die Koalition explizit die Stärkung und den Ausbau von Halbleiterentwicklung und Halbleiterproduktion in Deutschland finanziell unterstützen wird, unter anderem durch das zweite IPCEI Mikroelektronik und auch durch den geplanten EU Chips Act. Denn die Grundvoraussetzung für die grüne und digitale Transformation sind weltweit führende Kompetenzen in Schlüsseltechnologien wie Mikrochips - sowohl für Industrie 4.0, die intelligente Mobilität und die Energiewende durch smarte Elektrifizierung.

'Mehr Fortschritt wagen' ist der richtige Anspruch der nächsten Bundesregierung an sich selbst und an uns alle. Denn die vor uns liegenden großen Herausforderungen bestreffen uns als Gesellschaft insgesamt. Es ist höchste Zeit, die Kräfte zu bündeln sowie entschlossen und mutig voranzugehen. Es ist höchste Zeit für einen Aufbruch. Die Koalitionsvereinbarung macht Hoffnung."

Oliver Grün und Martin Hubschneider vom Bundesverband IT-Mittelstand (Bitmi): Der Geist des digitalen Aufbruchs

"Das Papier atmet insgesamt den Geist eines digitalen Aufbruchs und gibt Anlass zur Hoffnung, dass dieser auch gelingen kann. Die Ampel-Koalitionäre haben verstanden, dass Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern das wichtigste Instrument ist, um den Wohlstand der Zukunft an einem klimafreundlichen Technologiestandort zu sichern. Die gerade für den Mittelstand wichtige Vereinfachung vieler staatlicher Prozesse durch Digitalisierungsmaßnahmen zieht sich durch beinahe alle relevanten Kapitel.

Insbesondere freut uns sehr, dass zahlreiche zentrale Vorschläge des IT-Mittelstands in den Koalitionsvertrag Einzug erhalten haben. Dazu zählen im Wesentlichen:

  • eine umfassende, nutzerzentrierte Modernisierung der Verwaltung, die den Anforderungen an das digitale Zeitalter gerecht wird und bürokratische Hürden etwa bei Unternehmensgründungen senkt;

  • ein verbesserter Zugang zu Daten für Wirtschaft und Forschung, so dass digitale Geschäftsmodelle vereinfacht werden;

  • eine zukunftsfähige Versorgung mit breitbandigem Internet, damit digitale Unternehmen in Deutschland im Wettbewerb anschlussfähig bleiben.

Zudem begrüßt der IT-Mittelstand, dass die Ampel-Parteien Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht als Hürde, sondern als Chance für neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle begreifen. Hierin sieht der BITMi ein enormes Potenzial für den Wohlstand der Zukunft.

Teil der BITMi-Forderungen war zudem die Schaffung eines eigenen Digitalministeriums, welches nach dem aktuellen Stand nicht vorgesehen ist. Wir begrüßen dennoch, dass die Verantwortungen möglicherweise im Verkehrsministerium zusammengezogen werden und erhoffen uns durch die Bündelung kompetentes und lösungsorientiertes Projektmanagement zur Umsetzung aller digitalen Vorhaben.

Es fehlt allerdings im Koalitionsvertrag vielerorts an messbaren Zielen. Es darf freilich nicht bei wohlklingenden Absichtsbekundungen bleiben. Wir werden den Koalitionsvertrag deshalb nun im Detail auswerten und im weiterhin engagierten Dialog mit der Politik auf klare und verbindliche Zielsetzungen sowie auf deren pragmatische Umsetzung hinwirken."

Institut der deutschen Wirtschaft (IW): Mammutaufgabe, die strukturelle Anpassungen braucht

"Die Bedeutung von Digitalisierung und einer Modernisierung der öffentlichen Verwaltung wird im Koalitionsvertrag klar benannt. Beide Bereiche haben Priorität. Der Aufbau von personellen und technischen Kapazitäten zur Umsetzung der digitalen Verwaltung ist sinnvoll, wird aber schwierig: Fachkräfte sind in diesem Bereich stark umworben. Es ist zu begrüßen, dass kein Digitalministerium geschaffen, sondern stattdessen die Förderale IT-Kooperation (FITKO) gestärkt werden soll.

Wenig präzise sind dagegen die Erläuterungen zur weiteren Bündelung von Kompetenzen auf Bundesebene. Eine Verschlankung von Prozessen wird an vielen Stellen als Lösung für bestehende Probleme genannt - sei es beim Auf- und Ausbau der Gigabit-Infrastruktur, bei der Umsetzung der digitalen Verwaltung oder Planungs- und Genehmigungsverfahren allgemein. Das ist eine Mammutaufgabe, die mit umfassenden strukturellen Anpassungen einhergehen muss. Daran wird sich diese Koalition messen lassen müssen.

Das Thema Daten soll konkret mithilfe einer Forschungsklausel angegangen werden, zudem soll ein Dateninstitut die sogenannten Datentreuhänder voranbringen. Das geplante Datengesetz könnte gegenteilige Wirkung erzielen, wenn es die Interessen der Datenproduzenten nicht ausreichend in den Blick nimmt und Bürokratie dort schafft, wo derzeit vertragliche Lösungen ihren Dienst tun. Die Rolle von industriellen Datenräumen und der europäischen Cloud Gaia-X wird kaum thematisiert, obwohl das auch im Hinblick auf die europäische Perspektive wichtig wäre.

Positiv hervorzuheben ist, dass die Koalition eine Anpassung der europäischen Fusionskontrolle anstrebt, die in Anbetracht der Entwicklungen der chinesischen und amerikanischen Tech-Konzerne wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sein könnte. Das Ziel, die Investitionen in Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des BIPs zu erhöhen, ist positiv zu bewerten. Eine neue Agentur für anwendungsbezogene Innovationen (Deutsche Agentur für Transfer und Innovation = DATI) soll gegründet und ausgestattet werden, um regionale und überregionale Innovationsökosysteme zu stärken. Das ist grundsätzlich sinnvoll. Es muss jedoch die Verzahnung mit den bereits bestehenden Initiativen und Institutionen gewährleistet sein. Positiv ist auch zu bewerten, dass Ausgründungen aus Hochschulen und Gründerinnen deutlich gestärkt werden sollen."

Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG): Digitalisierung bleibt nur Ergänzung

"Mit dem neuen Koalitionsvertrag besteht die Hoffnung, dass die digitale Transformation in Deutschland schneller und stärker als bisher vorangetrieben wird. Das Ziel der flächendeckenden Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard können wir als DSAG nur unterstützen. Gleiches gilt für den allgemeinen Vorsatz, die technologische, digitale, soziale und nachhaltige Innovationskraft zu fördern.

Auch dem Entschluss, den gesamten öffentlichen Apparat zu digitalisieren und zu transformieren, stehen wir positiv gegenüber. Als Interessenvertretung für mehr als 3.800 Unternehmen und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz setzen wir uns insbesondere für letzteres bereits seit Jahren aktiv ein. Den Worten der neuen Koalitionspartner müssen in der kommenden Regierungsverantwortung allerdings zügig auch Taten folgen.

Der Koalitionsvertrag bleibt in Sachen Digitalisierung an zu vielen Stellen zu unkonkret, kritisiert Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG.
Der Koalitionsvertrag bleibt in Sachen Digitalisierung an zu vielen Stellen zu unkonkret, kritisiert Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG.
Foto: DSAG

Im Kern zeigt der Koalitionsvertrag die Offenheit der neuen Regierung gegenüber neuen Technologien und den Wunsch nach mehr Effizienz im digitalen Wettbewerb, den wir uns als DSAG gewünscht hatten. Wirklich konkret wird das Papier hier jedoch leider nur im Hinblick auf die digitale Verwaltung, wo es sich für Open Source und Transparenz ausspricht, oder beim Thema elektronische Rechnungen. Hier kündigt die Ampel eine 'schnelle Einführung eines bundesweit einheitlichen Systems zur Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen an'.

Das ist jedoch auch nichts vollkommen Neues. Schon seit Ende 2020 nimmt der Bund gemäß einer EU-Richtlinie nur noch Rechnungen in elektronischer Form entgegen. Nach und nach folgen bereits die einzelnen Bundesländer mit der Pflicht der Rechnungsstellung im Format XRechnung. Zum Stand der technischen Umsetzung der elektronischen Rechnung haben wir unsere Mitglieder befragt. Zwei Drittel der Unternehmen haben bereits eine Lösung zur Erstellung von XRechnungen im Einsatz, intensiv genutzt wird diese bislang aber von der Mehrheit noch nicht. Doch vielleicht sorgt der Koalitionsvertrag hier ja auch für etwas Rückenwind bei der Nutzung. Das wird die Zeit zeigen. Die DSAG kennt diese Themen auch von anderen Ländern, die elektronische Meldesysteme verpflichtend gemacht haben. Auch bei einer deutschen Lösung werden wir das Thema hinsichtlich einer SAP-Lösung begleiten.

So positiv es auch ist, dass der neue Koalitionsvertrag gleich das erste Kapitel den Themen 'Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen' widmet, so schade ist es, dass Digitalisierung leider auch in der neuen Regierung bei den Ressorts nur eine Ergänzung bleibt - 'Verkehr und Digitales' heißt das zuständige Ressort. Ohne ein Digitalministerium auf Bundesebene, wie wir es uns als DSAG wünschen würden, wird ein gezieltes Vorankommen in allen die Digitalisierung betreffenden Punkten sicher nicht leicht. Und dabei hat doch die Corona-Krise mehr als deutlich aufgezeigt, welche Defizite Deutschland in punkto Digitalisierung aufweist.

Bleibt zu hoffen, dass in der anstehenden Legislaturperiode 'Verkehr' und 'Digitales' gleichrangig behandelt werden und aus dem sprachlichen Anhängsel nicht selbiges in der Praxis wird. Als attraktiver Wirtschaftsstandort können wir uns den jetzigen Status unserer Digitalisierung nicht länger leisten und müssen deshalb konsequent und entschlossen entscheidungsfähig sein - auch dies in Analogie zu den Erfahrungen der Pandemie."

Peter Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance: Wunsch nach mutigeren Entscheidungen

"Der Koalitionsvertrag ist ein gutes, kraftvolles Signal für den Aufbruch zu einer neuen und besseren Digitalisierung von Staat und Verwaltung. Gleichzeitig zeigt er wichtige Chancen für die Stärkung der digitalen Souveränität Europas und einer schlagkräftigen europäischen Digitalwirtschaft auf. Vieles bleibt naturgemäß aber noch unklar und in einigen Bereichen hätten wir uns noch mutigere Entscheidungen gewünscht. Deswegen kommt es jetzt auf eine schnelle und engagierte Ausgestaltung und Umsetzung an, die wir als OSB Alliance gerne mit Rat und Tat unterstützen wollen.

Wir begrüßen, dass Open Source Software und offene Standards in dem gestern vorgelegten Koalitionsvertrag einen so hohen Stellenwert bekommen haben. Das ist ein klares und sehr positives Aufbruchssignal für eine andere, bessere Digitalisierung von Staat und Verwaltung. Und es ist natürlich auch ein Erfolg unserer Aufklärungs- und Kommunikationsarbeit der letzten Jahre sowie im Umfeld der Bildung der neuen Regierung. Die Koalitionäre wollen in Gesetzgebungsverfahren und aus dem Parlament heraus den Dialog weiter stärken und Vertreter aus der Praxis früher einbinden. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Parlament und der Regierung und stehen als Partner für Gespräche und Experten für digitale Souveränität und Open Source weiterhin gerne zur Verfügung.

Einige Passagen im Koalitionsvertrag sind weich formuliert und wir sind gespannt, wie sich diese im Einzelnen in der nächsten Zeit ausgestalten. Der Personalmangel trifft alle Bereiche unserer Wirtschaft und wir freuen uns darüber, dass die neue Regierung plant, durch verbesserte Digitalbildung und eine Modernisierung der Einwanderung zu unterstützen und wichtige Signale zu setzen. Für weniger positiv schätzen wir ein, dass der Koalitionsvertrag nur bei Software, die vom Staat neu entwickelt wird, auf Open Source Software setzt. Bei zu beschaffender, bereits existierender Software gibt es hier keine Aussage und zumindest an dieser Stelle keine Bevorzugung von Open Source Software gegenüber proprietärer Software (bei ansonsten vergleichbaren Eigenschaften).

Weitere wichtige Punkte: Die Digitale Souveränität wird im gesamteuropäischen Kontext betrachtet. Das ist erfreulich und verdeutlicht eine zukunftsorientierte Politik. Unter Digitaler Souveränität verstehen wir, dass der deutsche Staat und die EU in ihren Entscheidungen frei und handlungsfähig bleiben müssen. Wir wünschen uns daher von der neuen Regierung richtungsweisende Maßnahmen, die einen offenen Austausch von Daten und eine Wahlfreiheit beim Einsatz von Technologien und Produkten ermöglichen.

Das klare Bekenntnis zu Open Source und dem Prinzip "Public Money, Public Code" ist ein Vorhaben, das uns freut und das wir begrüßen. Mit öffentlichen Geldern finanzierte Entwicklungen müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auch die Forderung nach offenen Schnittstellen zum Austausch von Daten zwischen Bund und Ländern oder über Ressorts hinweg entspricht unseren Wünschen an einen souveränen und modernen Staat.

Ein unabhängigeres und gestärktes Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als zentrale IT-Sicherheitsbehörde ist ein guter und zukunftsweisender Schritt. Die Formulierung "Nicht-vertrauenswürdige Unternehmen werden beim Ausbau kritischer Infrastrukturen nicht beteiligt" birgt einen wichtigen Ansatz, auch wenn er vielleicht gar nicht so gemeint ist. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass proprietäre, geschlossene, also nicht überprüfbare Software nicht vertrauenswürdig ist. Nur durch Offenlegung von Code und Funktionalität kann Vertrauen in die Sicherheit erreicht werden, wie das Beispiel der Corona Warn App deutlich gezeigt hat. Dieser Satz bedeutet also im Umkehrschluss, dass die neue Regierung proprietäre Software beim Ausbau kritischer Infrastrukturen ausschließen sollte.

Nachhaltigkeit in der Digitalisierung: Ein wichtiges Thema und der Schulterschluss zwischen Klimapolitik und Digitalisierung ist folgerichtig und an vielen Stellen zu beobachten. Wir begrüßen ausdrücklich den Plan der Regierung, Klimazertifizierungen für digitale Produkte zu fördern und unterstützen bei der Erstellung der entsprechenden Richtlinien. Die Abschaffung der digitalen Obsoleszenz, also der Tatsache, dass Geräte durch fehlende Updates oder steigende Hardwareanforderungen bei neuen Betriebssystemen unbrauchbar werden, begrüßen wir sehr. Flexible, modulare und offene Betriebssysteme laufen heute gut und schnell auch auf älteren Geräten und durch deren Einsatz kann die Nutzungsdauer bei Anwendern und in Rechenzentren erheblich verlängert werden."

Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands: Deutschland braucht Sicherheits-Update

"Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die Parteien zügig auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben. Unser Land braucht nicht nur mit Blick auf die aktuelle Pandemie eine handlungsfähige Regierung. Die Ampel setzt die richtigen Akzente bei drängenden Themen wie Klimaschutz, Digitalisierung, Mobilität oder Bildung. Jetzt geht es darum, die ambitionierten Vorhaben der Ampel-Koalition auch schnell und konsequent umzusetzen. Die Bewältigung der Corona-Pandemie muss die Feuertaufe der neuen Bundesregierung werden.

Deutschland braucht auf vielen Ebenen dringend ein Sicherheits-Update! Ziel der neuen Bundesregierung muss es sein, unser Land widerstandsfähiger, digitaler und nachhaltiger zu machen, um für den Klimawandel, Pandemien, groß angelegte Cyberangriffe oder andere Krisen besser gerüstet zu sein. Die aktuellen Krisen erhöhen die Bereitschaft für Veränderungen in der Bevölkerung und eröffnen der Ampel-Koalition damit die Chance, mutige Reformen anzustoßen und das Land zukunftsfähiger, lebenswerter und sicherer zu machen."

Stefan Groß, Steuerexperte und Vorstandsvorsitzender des Verbands elektronische Rechnung (VeR): Steuerhinterzeihung wirksam bekämpfen

"Als Expertenverband der deutschen E-Invoicing-Branche begrüßen wir das klare Bekenntnis der Koalitionspartner zur Einführung eines einheitlich geregelten, digitalen Systems zum Austausch von Rechnungs- und Mehrwertsteuerinformationen in Deutschland. Über ein derartiges System lässt sich nicht nur Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen, vielmehr ist es insbesondere geeignet, die Digitalisierung im Rechnungswesen und damit den digitalen Reifegrad bei den Unternehmen entscheidend voranzutreiben. Bei aller Euphorie empfehlen wir jedoch nachdrücklich, aus den Eindrücken und Erfahrungen unserer europäischen Partnerländer - allen voran Italien - zu lernen, um etwaige Hürden und mögliche Fehler bei der Planung und Ausgestaltung des neuen elektronischen Meldesystems für Deutschland zu vermeiden."