Fusionen/Novartis: Stationen eines Mergers

Den Mut haben, Kompromisse so spät wie möglich zu schließen

26.11.1999
Novartis, laut jüngsten Statistiken des internationalen Pharmabeobachters IMS Health derzeit im Reigen der Riesen auf Platz vier, ist vor drei Jahren aus dem Zusammenschluß der Schweizer Branchengrößen Sandoz und Ciba Geigy hervorgegangen. In nur 14 Monaten mußte die neue Struktur stehen. Informationstechnologie hat dabei, wie Irina Hesselink* berichtet, von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt.

Mit der Elefantenhochzeit der American Home Products Corp. (AHP) und Warner-Lambert hat das Fusionsfieber in der Pharmaindustrie einen neuen Höhepunkt erreicht. Etwa acht Global Player, die jeweils auf einen Marktanteil von vier bis fünf Prozent kommen, dominieren künftig die Branche. Wird der Entschluß zum Merger primär von marktstrategischen Überlegungen bestimmt, hängt der Fusionserfolg wesentlich von der Integration der Informationstechnologie ab: Ohne rechtzeitige Planung im IT-Bereich sind wirtschaftlich sinnvolle Firmenbünde nicht selten zum Scheitern verurteilt.

Der heutige Novartis-CIO, Horst Fischer, erzählt: "Wir standen vor der Mammutaufgabe, innerhalb kürzester Zeit die gesamte DV-Landschaft zweier bisher unabhängig operierender Unternehmen auf Herz und Nieren zu prüfen und auf Basis der neu definierten Geschäftsprozesse eine IT-Strategie zu formulieren." Fischer ist heute davon überzeugt, daß die frühzeitige Themenaufbereitung für das Gelingen des gesamten Projekts entscheidend war. Ein anderer ganz wesentlicher Faktor sei der Mut, Kompromisse so spät wie möglich zu schließen: Novartis sei gut beraten gewesen, alle Kräfte auf die Implementierung, weniger auf die Evaluierung von Alternativen zu konzentrieren. "Es gibt meist gute Argumente für unterschiedlichste Lösungen. Worauf es ankommt, ist, einmal getroffene Entscheidungen konsequent umzusetzen."

In einem ersten Schritt wurden sämtliche Kommunikationsstrukturen miteinander verbunden. Rund 15 unterschiedliche Mail-Systeme mußten integriert werden, um einen kontinuierlichen Informationsfluß sicherzustellen. "Bei weltweit rund 80000 Mitarbeitern kann die Kommunikation zum Großteil nur elektronisch laufen. Ohne IT wären wir hier teilweise nicht arbeitsfähig gewesen", erklärt Fischer.

Zusätzliche Anforderungen an die Informationstechnologie stellte die Neuausrichtung der Konzernstruktur: Teilweise vorhandene Länderorganisationen, die einzelne Unternehmensfunktionen zentral vorhalten - wie zum Beispiel IT und andere kaufmännische Funktionen -, wurden aufgelöst und in heute sieben im Markt operierende, auch juristisch eigenständige Einheiten integriert.

Diese orientieren sich nicht mehr an regionalen Grenzen, sondern sind entlang einzelner Geschäftsfelder wie Gesundheit, Agrobusiness oder Consumer Health organisiert. Jeder dieser Sektoren sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, unverzüglich eigene IT-gestützte kaufmännische Systeme aufzubauen.

Wegen des dezentralen Ansatzes stand auch die gesamte IT-Organisation zur Disposition:

- Sollte die bisher in einzelnen Ländern übergreifend arbeitende IT-Abteilung des einen Partners komplett zerschlagen werden?

- Welche Vorteile würde ein etwaiges Management-buy-out bieten?

- Nach welchen Kriterien sollten künftige IT-Systeme ausgewählt werden?

Fragen, auf die das Merger-Team möglichst schnell Antworten finden mußte, ohne dabei individuelle Anforderungen einzelner Bereiche unter den Tisch fallen zu lassen. "Als Konsequenz des Sektor-Approach hatten die einzelnen Bereiche recht viel Spielraum, sowohl, was strukturelle Entscheidungen anging, als auch beim Einsatz der Systeme. Natürlich haben große organisatorische Einheiten vornehmlich auf komplexe Standardsoftwarepakete wie SAP gesetzt, kleinere Sektoren wie zum Beispiel Tiergesundheit, haben sich jedoch an einigen Standorten ganz bewußt für den Einsatz PC-basierender Systeme entschieden. Letztendlich ging es uns darum, daß jeder Sektor einen für ihn im Sinne seiner Aufgaben und Ziele optimalen Einsatz von IT-Ressourcen realisieren konnte", so Fischer.

Während Novartis sich im Zuge der IT-Konsolidierung in den USA dazu entschloß, bislang übergeordnete IT-Funktionen auf die einzelnen Sektorgesellschaften zu verteilen, ist man am Basler Firmensitz einen anderen Weg gegangen. Outsourcing sollte die Gruppe zusammenhalten und für einen gemeinschaftlichen Marktauftritt sorgen.

Ab Sommer bis in den Herbst 1996 waren die Fusionsstrategen damit befaßt, IT-Ressourcen transparent zu machen und Konsolidierungspotentiale auszuloten, um anschließend den Rahmen der Ausgliederung festzulegen. Priorität Nummer eins für die Wahl des potentiellen Kooperationspartners: Er muß hohem Zeitdruck standhalten. "Benchmarks haben gezeigt, daß ein Merger in spätestens 16 Monaten abzuschließen ist. Wenn das Rennen zu lange offengehalten wird, springen die Leute ab. Dieses Tempo muß ein IT-Dienstleister mitgehen können", betont Fischer.

Neben dem Zeitrahmen sah das Wunschprofil folgende Anforderungen vor: globale Präsenz, finanzielle Stärke, breites Leistungsangebot, sofort verfügbare Ressourcen, Branchen-Know-how und Gemeinsamkeiten in der Unternehmenskultur.

Erste Workshops und Referenzbesuche fanden Anfang 1997 statt; im April holte Novartis IBM Global Services mit an Bord; im September wurde der endgültige Vertrag unterzeichnet. Dazwischen lagen zahlreiche Meetings, um das künftige Dienstleistungsspektrum der neuen IT-Servicegesellschaft festzulegen, Service-Levels und deren Messung zu definieren sowie sämtliche Finanzierungsfragen eindeutig zu regeln. "Wir waren phasenweise ein Verhandlungsteam von rund 30 Experten, die weltweit speziell für dieses Projekt zusammengezogen wurden", erinnert sich Werner Hoppler, damals sogenannter Lead Negotiator bei IBM.

Ergebnis der Bemühungen ist die IT-Pro, der Hoppler heute vorsteht. Sie bedient rund 10000 Novartis-Mitarbeiter der Pharma-Operations und Novartis-Services in der Region rund um Basel. Ausgegliedert wurden das lokale Netzwerk-Management, die Anwendungsentwicklung und Instandhaltung der Applikationssoftware sowie der gesamte Rechenzentrumsbetrieb. 1998 kam der PC-Support für den Pharmabereich mit rund 5000 Endnutzern hinzu.

"Nicht ganz einfach war die Transitionsphase. Denn das kundenzentrierte Geschäftsmodell der IT-Pro orientiert sich zwangsläufig an anderen Erfolgsfaktoren als eine interne IT-Abteilung, die auf ein fixes Budget zugreift", weiß Hoppler.

Ganz wesentlich war jedoch über alle Projektphasen hinweg eine offene und schnelle Kommunikation, da sind sich Hoppler und sein Novartis-Counterpart Fischer einig. "Man kann nie genug tun", betont der Novartis-Mann. "Das Merger-Team hat bereits sehr früh alle Mitarbeiter darüber in Kenntnis gesetzt, daß es keine zentralen Funktionen mehr geben wird. In vierwöchentlichen Vollversammlungen haben wir kontinuierlich über den Projektfortschritt informiert und natürlich das gesamte Spektrum an schriftlichen Kommunikationsmitteln genutzt." Gerade sogenannte Key-Player im Unternehmen seien in besonders hohem Maß in die Merger-Aktivitäten zu integrieren. "Unsere wichtigen IT-Leute waren beispielsweise bei allen Referenzbesuchen und Lieferanten-Workshops dabei", erklärt Fischer.

Sobald die Zusammenarbeit mit IBM feststand, wurde eine Vollversammlung einberufen, um das entsprechende Team vorzustellen. Hoppler ergänzt: "Wir haben darüber hinaus mit jedem einzelnen der 220 vom Outsourcing betroffenen Mitarbeiter ein persönliches Gespräch über seine berufliche Zukunft innerhalb der IBM geführt."

Das liegt nun gut drei Jahre zurück. Seit Anfang 1999 befindet sich die IT-Pro im normalen operativen Betrieb. Ein dreistufiges Koordinationskonzept soll den dauerhaften Projekterfolg sichern.

Fischer skizziert den Weg in die Zukunft: "Damals ging es vorrangig um die Minimierung des Integrationsaufwands. Heute beschäftigen wir uns damit, wie sich die durch den Merger entstandenen neuen, modernen IT-Infrastrukturen weiter wertschöpfend nutzen lassen. So haben wir unter anderem ein weltweites E-Business-Projekt aufgesetzt. Es wäre wenig sinnvoll ein Projekt dieser Größenordnung unmittelbar in die Merger-Phase zu integrieren."

ANGEKLICKT

"Wir haben uns sehr bewußt und sehr früh mit dem Thema Fusion beschäftigt. Fest stand auch, daß das Topmanagement in diese Überlegungen mit einzubeziehen ist", erklärt Horst Fischer, heute weltweiter Chief Information Officer (CIO) der Novartis International AG. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Zusammenschlusses im März 1996 nahm ein Integrationsbüro seine Arbeit als zentrale Koordinationsstelle auf, das aus Integrations-Managern der einzelnen Geschäftsbereiche, Vertretern der Geschäftsleitung sowie McKinsey-Beratern bestand. Hier liefen über den gesamten Prozeß hinweg alle Fäden zusammen.

ECKDATEN

Die Fusionspartner: Zusammengeschlossen haben sich die beiden Schweizer Pharmaunternehmen Ciba Geigy und Sandoz mit den Geschäftsfeldern

- Gesundheit (Pharma, Generics, Ciba Vision),

- Agrobusiness (Crop Protection, Seeds, Animal Health) und

- Consumer Health (Health & Functional Food, OTC, Medical Nutrition).

Umsatz 1998 in Millionen Schweizer Franken: gesamt 31702.

Davon im Bereich:

- Gesundheit: 17535 (55 Prozent)

- Agrobusiness: 8379 (27 Prozent)

- Consumer Health: 5289 (18 Prozent)

Mitarbeiter: gesamt 82449.

Davon

- 57 Prozent im Bereich Gesundheit,

- 22 Prozent im Bereich Agrobusiness,

- 17 Prozent im Bereich Consumer Health sowie

- 4 Prozent Corporate.

Wege zur Fusion

As-it-is-Betrieb sicherstellen:

Alle Geschäftsprozesse müssen über den gesamten Merger hinweg lückenlos von der Informationstechnologie unterstützt werden.

Netzwerke zusammenführen:

Kommunikation und Datentransfer haben oberste Priorität, wenn ein Merger reibungslos abgewickelt werden soll. Mit unterschiedlichen Applikationen und Beschaffungssystemen kann unter Umständen auch länger gefahren werden.

IT-Organisation neu formieren:

Bei der Zusammenstellung des Teams müssen unterschiedliche Fachkenntnisse berücksichtigt werden, um den As-it-is-Betrieb sicherzustellen.\IT-Strategie entwickeln:

In Absprache mit dem Management ist zu klären, welche Geschäftsprozesse wie unterstützt werden sollen.

Rechtzeitig Spezialisten hinzuziehen:

Wer später in die Umsetzung eingebunden ist, sollte bereits in die Konzeptphase integriert sein.

*Irina Hesselink ist freie Journalistin in Bornholt.