Kienzle-Kunden nehmen DECs Engagement gelassen

Den beiden Partnern werden gute Chancen am Markt eingeräumt

01.02.1991

Einige beachtliche Großprojekte konnte Mannesmann-Kienzle im vergangenen Jahr an Land ziehen. Vor allem Entscheidungsträger in Ministerien ließen sich von den zahlreichen Spekulationen um die Zukunft von Kienzle nicht beirren. Man sei, so der Tenor der von der COMPUTERWOCHE befragten Anwender, von Kienzle darüber informiert worden, daß Veränderungen in Form einer strategischen Allianz bis Ende 1990 ins Haus stünden. Da der Stahlkonzern Mannesmann zudem Digital Equipment und nicht der lange favorisierten Fujitsu den Zuschlag für den MDT-Hersteller erteilte, sind langjährige wie neue Kunden zuversichtlich, mit Digital-Kienzle eine Zukunft zu haben.

Als der Düsseldorfer Stahlriese Mannesmann kurz vor Weihnachten mit dem amerikanischen Computerkonzern Digital Equipment den langgesuchten Partner für die Computertochter Kienzle präsentierte, waren nicht nur Branchenkenner überrascht. Auch mancher Kunde hatte eher mit der japanischen Fujitsu als neuem Hausherren bei dem Schwarzwälder MDT-Hersteller gerechnet. Vor allem Anwender, die im vergangenen Jahr Aufträge an Mannesmann-Kienzle vergaben, waren zum Teil darüber informiert gewesen, wie weit die Gespräche mit dem Tokioter Interessenten gediehen waren.

Daß sich Mannesmann letztendlich doch nicht für Fujitsu entschied, sondern Digital Equipment den Zuschlag erteilte, rief im Kundenkreis Wohlwollen hervor. Werner Löken, Leiter des Dezernats Informations- und Kommunikationstechnik beim Niedersächsischen Landesamt für Wasser und Abfall, Hildesheim: "Wir kennen sowohl Kienzle als auch DEC, haben mit jedem Unternehmen für sich gute Erfahrungen gemacht. Deshalb freut uns diese Entscheidung."

Die Hildesheimer hatten sich im Mai 1990 entschlossen, alle staatlichen Ämter für Wasser und Abfall in Niedersachsen mit Unix-Rechnern von Kienzle auszustatten.

Karl Weniger, Automationsreferent im Hessischen Ministerium der Finanzen (HMdF), Wiesbaden, das Ende Oktober erstmals an Kienzle einen Großauftrag vergab, erklärt: "Wir sind dem neuen Kienzle-Partner gegenüber positiv eingestellt, nicht zuletzt deshalb, weil beide Unternehmen im Rahmen unseres Ausschreibungsverfahrens RISC-Rechner mit identischen Prozessoren angeboten haben. Das läßt eigentlich erwarten, daß sich die vielzitierten Synergieeffekte bei unserem Vertragsverhältnis positiv niederschlagen werden."

Einen anderen Gesichtspunkt bringt Dieter Franz, Fachbereichsleiter in der Informationsverarbeitung der Postbank, Bonn, an: "Uns ist Digital Equipment lieber als Fujitsu. Beispielsweise starteten wir Ende 1989 mit Kienzle als federführendem Unternehmen ein Projekt, bei dem es um Datenerfassung mit Lesefunktion geht. Dies umfaßt auch das Handschriftlesen von Alphazeichen. Japaner haben nun bekanntlich eine andere Schrift - möglicherweise hätte dies zu Problemen geführt."

Keine Probleme indes erwartet Franz nun für die weitere Zusammenarbeit mit dem neu konstruierten Unternehmen Digital-Kienzle Computersysteme GmbH & Co. KG. "Wir sind seit mehr als 40 Jahren Kunde von Kienzle und haben in dieser Zeit manche Veränderung bei

den Schwarzwäldern erlebt, ohne daß unsere Verbindung je gestört worden wäre", erläutert Franz. Außerdem seien bei den Projekten, die die Postbank vergebe, immer mehrere Lieferanten beteiligt. "Sollte es deshalb mal zu Schwierigkeiten mit dem einen oder anderen Anbieter kommen, können wir im Extremfall dessen Aufgaben auf die anderen Lieferanten übertragen."

Erste Kontakte mit der neufirmierten Gesellschaft haben bereits stattgefunden. "Die ergaben sich zwangsläufig, weil wir im Januar unser Pilotprojekt in Karlsruhe gestartet haben." Noch allerdings ließen die ersten Gespräche keine Rückschlüsse auf Digital-Kienzle zu. "Aber", so Franz, "wir haben kein schlechtes Gefühl."

Ende Januar, Anfang Februar will Karl Weniger vom HMdF mit dem neuen Unternehmen in Kontakt treten. "Die Vereinbarung zwischen Mannesmann und DEC wurde doch wohl ziemlich schnell getroffen. Deshalb muß man den neuen Partnern etwas Zeit lassen und Konzepte für die Zukunft entwickeln."

In einigen Wochen möchte Weniger allerdings konkret wissen, welche Auswirkungen das Joint-venture möglicherweise für das HMdF-Projekt hat. "Da dem Vertrag mit Kienzle ein langfristiges Projekt zugrunde liegt, benötigt unsere Verwaltung verläßliche Aussagen über die Zukunft der angebotenen Hard- und Software."

Daß die Entscheidung der Hessen für die Kienzle-Produkte unter den gegebenen Umständen falsch war, glaubt Weniger nicht. "Sie war in Anbetracht des bevorstehenden Zusammengehens mit einem neuen Partner sicherlich mutig, aber gemessen an unseren Anforderungen war das Angebot der Schwarzwälder eindeutig das wirtschaftlichste. Außerdem haben wir gerade wegen der anstehenden Veränderungen bei Kienzle die Zuschlagserteilung im Rahmen des Möglichen an bestimmte Auflagen geknüpft, um unsere Investitionen abzusichern."

Der Auftrag zur Ausstattung der Betriebsprüfungsstellen und der zentralen Schreibdienste der hessischen Finanzämter, den das HMdF Ende Oktober erteilte, umfaßt 51 Zentraleinheiten der RISC-Systemfamilie 2800, 805 Bildschirme sowie 300 Tintenstrahl- und Laserdrucker. Zum Einsatz kommt zudem die Bürokommunikationssoftware Kioffice-UX. Das Gesamtprojekt ist auf fünf Jahre angelegt. Es soll laut Weniger auch dazu dienen, praktische Erfahrungen mit Unix sammeln zu können, weil man sich von den proprietären Betriebssystemen wegentwickeln möchte.

Ein ähnliches Projekt startete das Bundesministerium der Finanzen in Bonn im Oktober 1990. Die Rheinländer bestellten bei Kienzle nach umfangreichen Tests einen Unix-Rechner 2850 als Server, 106 Personal Computer mit 386SX-Prozessor sowie 76 Tintenstrahl- sowie 21 Laserdrucker und wählten als Bürokommunikationssoftware ebenfalls Kioffice-UX. Das Projekt ist laut Axel Gühl, Referent im Referat für Koordinierung und Grundsatzfragen der Informationstechnik, in der ersten Phase. "Ich hoffe, wir können auch in der zweiten Phase mit Kienzle-Produkten arbeiten."

Mit großem Vorsprung, berichtet Gühl, habe sich die Kienzle-Offerte gegenüber den anderen Angeboten durchgesetzt, die in die engere Wahl gekommen waren - darunter IBM und NCR. "Kioffice ist von der Performance, von der Bedienbarkeit, vom Handling her das für unsere Bedürfnisse beste Produkt." Die Spekulationen um die ungewisse Zukunft des Villinger MDT-Herstellers beeindruckten Gühl nicht. "Gerade in der zweiten Jahreshälfte 1990, als wir unsere Entscheidung treffen mußten, gab es fast über jeden Hersteller, der bei uns ein Angebot eingereicht hatte, negative Berichte.

Bei dem einen wurden Kooperationspartner gehandelt, beim nächsten meldeten die Zeitungen geplante Personalabbaumaßnahmen, beim dritten wiederum standen rote Zahlen an. Daran konnten wir uns nicht orientieren."

Auch Gühl sieht die Entscheidung der Mannesmann AG für Digital positiv. "Kienzle verstärkt dadurch seine finanzielle Basis und kann nun vielleicht das Produkt Kioffice besser vermarkten, so daß es den Durchbruch schafft." Daß es zu einer Beschneidung von Kienzle-Produkten durch DEC kommt, glaubt Gühl nicht. "Bei unseren Tests war auch die Bürokommunikationslösung von Digital auf dem Prüfstand. Da sich Kioffice aber nicht nur bei uns durchgesetzt hat, müßte DEC eigentlich erkennen, welche Möglichkeiten dieses Produkt hat. Eine solche Software zugunsten einer anderen zu Grabe zu tragen, wäre schlichtweg eine Fehlentscheidung."

Überhaupt sind sich die von der COMPUTERWOCHE befragten Kienzle-Anwender einig, daß Digital Equipment mit dem MDT-Hersteller einen guten Griff getan hat. Werner Löken vom Niedersächsischen Landesamt für Wasser und Abfall in Hildesheim: "Als wir unsere Ausschreibung im August 1989 starteten, hatte DEC die passenden Unix-Rechner noch nicht verfügbar. So entschieden wir uns für Kienzle. Durch die Kooperation hat DEC nun auch Zugriff auf Unix-Rechner." Fügt Dieter Franz hinzu: "Für DEC öffnet sich mit Kienzle die kommerzielle Schiene. Die Schwarzwälder haben einen nicht zu unterschätzenden Kundenstamm mit passenden Produkten zu bieten. Vor allem aber verfügen sie über Know-how beim Vermarkten von kaufmännischen und administrativen Lösungen in Deutschland."

Für Kienzle sehen die langjährigen wie neuen Kunden ebenfalls Vorteile. Meint Dieter Franz: "Ich hatte den Eindruck, daß Kienzle bei Mannesmann im Laufe der Zeit zum fünften Rad am Wagen wurde. Branchenfremde haben sich schon immer schwer mit Zukäufen von DV-Unternehmen getan. Nun gehört Kienzle zu einem Brancheninsider - und wahrlich keinem kleinen. Das kann sich nur positiv auswirken."

Axel Gühl ist sich sicher, daß Kienzle nun die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um sich und die Produkte am Markt besser zu präsentieren und auch personalmäßig zu expandieren.

Auch ein Unternehmensberater aus Köln, der unter anderem Kienzle-Kunden betreut, ist der Ansicht, daß die Schwarzwälder durch die neue Verbindung einen finanziellen Halt bekommen.

Für DEC wiederum sei der Deal eine sinnvolle Marktergänzung. Allerdings müßten sich die beiden Partner so schnell wie möglich darüber klar werden, wie die Zukunft des neugeschaffenen Unternehmens aussehen soll und dies auch den Kunden mitteilen. "Gerade mittelständische Unternehmen", so der Kölner, "legen momentan eine eher abwartende Haltung in Sachen Neuinvestitionen an den Tag. Je länger Digital-Kienzle mit näheren Informationen für seine Kunden wartet, desto mehr laufen sie Gefahr, daß diese sich zu anderen Herstellern hinorientieren."

Obwohl der Unternehmensberater die Verbindung positiv bewertet, gibt er zu bedenken, daß man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen könne, welche Rolle das Unternehmen unter DECs Federführung künftig im Markt spielen werde. "Der Erfolg von Digital-Kienzle steht und fällt mit der Geschäftsführung. Alles hängt davon ab, welche Pläne DEC tatsächlich mit diesem Deal verfolgt, und wie geschickt und engagiert das Management verfährt." Das Unternehmen habe gute Chancen, wenn die Geschäftsführung sie zu nutzen verstehe.

Für die Kunden wiederum sieht der Kölner vorerst keine großen Probleme hinsichtlich ihrer Investitionen. Selbst für den Fall, daß DEC beabsichtigen sollte, das Unternehmen Kienzle "vom Markt verschwinden zu lassen", könne dies nicht von heute auf morgen gesehen. "Kunden, die gerade Neu- oder Erweiterungsinvestitionen getätigt haben, sind wohl kein großes Risiko eingegangen. Sie können sicherlich noch gut fünf Jahre mit den Kienzle-Produkten fahren."