Dem Spieltrieb wird ein Window im System geoeffnet Die grafische Unterstuetzung provoziert Bedienungsfehler

04.08.1995

Von Edgar Koribalski*

Windows hat die Anwendung von PCs vereinfacht - und die Moeglichkeit, so kapitale Fehler zu machen, dass der Rechner anschliessend nicht mehr zu gebrauchen ist. Die am weitesten verbreitete Benutzeroberflaeche der Welt hat dem Akronym GUI eine neue Bedeutung gegeben: "Graphical User Irritation".

Als Bill Gates Windows ersann, dachte er wohl an den erfahrenen Computerprofi, der sich mit Dateisystem, virtueller Speicherverwaltung und all den netten Einstellungen auskennt - und den nicht einmal Windows von der Arbeit abhalten kann. Doch dann kam der gemeine Anwender und zeigte ihm, dass es auch noch Leute mit klarem Geist und ohne Computerdenke gibt.

Diese koennen Windows so verstellen, dass es auch fuer einen Profi Arbeit bedeutet, das System wieder in einen funktionsfaehigen Zustand zu versetzen. So verwundert es nicht, dass die Anzahl von Supportmitarbeitern steigt, die der DOS-Zeit nachtrauern. Damals wussten die Anwender wenigstens, dass sie nichts wissen.

Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten kann jetzt bereits das Starten von Programmen zum Problem werden. Gab man frueher zum Beispiel einfach den Befehl WORD ein, und das Textverarbeitungsprogramm fuhr hoch, so kann die gleiche Aktion unter Windows Verblueffendes zutage foerdern.

Im idealen Fall sieht der Anwender das Icon "Word fuer Windows", doppelklickt auf dieses, und einige Zeit spaeter erscheint das Textverarbeitungsprogramm auf dem Bildschirm. Vielen Profi-Usern ist kaum verstaendlich, was daran kompliziert sein sollte, aber Anwender sind erfinderisch und treten in jedes noch so kleine Fettnaepfchen.

Da waere zum einen die wundersame Eigenschaft von Windows, dass sich einige auf der Festplatte nur einmal vorhandene Programme einem Mehrfachstart nicht verweigern. So passiert es vor allem Anfaengern ziemlich haeufig, dass nach dem ersten Doppelklick anscheinend nichts passiert. Und nach einem ungeduldigen zweiten Doppelklick wird das gewuenschte Programm gleich zweimal hintereinander geoeffnet.

Das elektronische Bermudadreieck

Im Eifer des Gefechts kann der Anwender das doppelte Laden schon mal uebersehen, was eigentlich auch gar nicht so schlimm waere, doch oft folgt die Panik gleich auf dem Fuss: Der schlechteste Fall, dass das zweimal geoeffnete Programm sich selbst und eventuell das ganze System zum Absturz bringt, sei nur am Rande erwaehnt. Viel verwirrender ist es, wenn ganze Dokumente auf mysterioese Weise in einer Art elektronischem Bermudadreieck verschwinden.

Da hat der echte Multitasking-User zwischendurch mal nur ein wenig Solitaer gespielt und schaltet - der Chef ist im Anmarsch - auf die vermeintlich gerade noch benutzte Textverarbeitung zurueck. Nur leider ist das Dokument nicht mehr zu sehen. Ein leerer Bildschirm macht dann erst recht verlegen.

Gluecklicherweise kennt sich der Chef meistens noch weniger mit Windows aus. So kommt er nicht darauf, ueber Ctrl-Esc und die dann angezeigte Task-Liste nachzuweisen, dass erstens zuvor ein Spiel lief und zweitens der Ruecksprung in die Doublette der Textverarbeitung erfolgte.

Diese Variante mit den mehrfach geoeffneten Programmen entsteht aber in vielen Faellen auch dadurch, dass der User das Anwendungsfenster auf Symbolgroesse minimiert. Was man nicht sieht, ist auch nicht da - und so wird das Programm spaeter nicht richtigerweise ueber das Icon auf dem Desktop reaktiviert, sondern ueber das Icon im Programm-Manager neu gestartet.

Dies geschieht oft einfach dadurch, dass der Programm-Manager uebergross dimensioniert wird und die Icons der bereits aktivierten Programme nicht mehr zu sehen sind. Es sind Faelle bekannt, in denen das Windows-eigene Textverarbeitungsprogramm Write auf diese Art mehr als zehnmal gestartet wurde und immer wieder die Frage aufkam, wo denn nun der Text geblieben sei.

Die mehrfache Nutzung ein und desselben Programms ist aber nur eine von vielen Moeglichkeiten, sich das Leben schwerzumachen. Denn oft entstehen Veraenderungen der Einstellungen und die daraus folgenden Probleme durch die Mithilfe netter Kollegen oder schlicht durch die eigene Experimentierfreude, immer nach dem Motto "Schau' mer mal".

Da existiert zum Beispiel die in der Autostartgruppe recht sinnvolle Icon-Eigenschaft "Als Symbol". Wurde dieses versehentlich auch in anderen Programmgruppen angekreuzt und doppelklickt der unbedarfte Anwender auf dieses Icon, erscheint nur mehr ein kleines Symbol auf dem Bildschirm. Es faellt im Verhaeltnis zu den anderen Icons haeufig auch nicht weiter auf - und die folgende Verwirrung ist programmiert.

Windows oeffnet dem Kollegenwitz Tuer und Tor: Fast schon boesartig zu nennen ist, wer die Fenstergroesse auf eine solche Dimension verkleinert, dass von dem entsprechenden Programm nur noch ein Minibalken uebrigbleibt. Hat der Kollege so etwas noch nie zuvor gesehen, hat er kaum noch eine Chance, an die Arbeit zu kommen.

Ordnung ist das halbe Windows

Nervenaufreibender ist allerdings noch die verzweifelte Suche nach einem verschwundenen Icon. Liegt nur eine Programmgruppe ueber jener Gruppe, in der sich das Symbol verbirgt, ist das eine simple Bedienungsfrage. Aber oft sieht der urspruenglich recht aufgeraeumte Programm-Manager nach kurzer Zeit so wuest aus, dass es schon einige Muehe und Geduld erfordert, das entsprechende Icon zum Programmstart zu finden.

Da waeren zunaechst einmal jene Symbole, die schlicht und einfach in einer anderen Programmgruppe gelandet sind. Durch ein einfaches Ziehen mit der Maus ist so etwas schnell einmal passiert. Denn ausgerechnet an dieser Stelle gibt es anders als sonst keine Abfrage in der Art "Wollen Sie das Icon wirklich verschieben?". So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich auf einigen PCs "Write" auf einmal in der Netzwerkgruppe befindet oder die Systemsteuerung in der Autostartgruppe.

Auch mehrfach auftretende Icons sind mit Hilfe der Ctrl-Taste und der Maus schnell erstellt. Entdeckt sie der Anwender und will er sie mit Del entfernen, wuerde es Sinn machen, wenn eine Anfrage kaeme: "Moechten Sie das 2. Icon des Programms ... wirklich loeschen?" Statt dessen aber erscheint das bedrohlich klingende: "Sind Sie sicher, dass Sie das Programm ... loeschen moechten?" Aufgeschreckt und verunsichert entscheidet sich der Normal-User dann lieber fuer "Finger weg!" und folglich fuer die Variante mit mehreren Icons fuer das gleiche Programm.

Durch solcherlei Anwendungen auch des letzten Bytes an freien Festplattenspeicher beraubt, kommt aber bei fast jedem Benutzer einmal der Tag, an dem er sich entscheidet, ein Programm wirklich zu loeschen. Er betaetigt nun beherzt die Del-Taste und meint, er habe etwas geloescht. Dieser Vorgang geht rasend schnell, doch leider ist danach immer noch nicht mehr Speicher auf der Platte frei: Windows hat seine Warnung nicht wahrgemacht und das Programm nicht wirklich entfernt.

Das Loeschen von Windows-Programmen ist naemlich ein Kapitel fuer sich. Fanden es manche Anwender unter DOS bereits kompliziert, zuerst das Programmverzeichnis und alle seine Unterverzeichnisse von Dateien zu befreien, um im naechsten Schritt alle entsprechenden Directories zu loeschen, dann sollten es diese User einmal probieren, echte Windows-Anwendungen vollstaendig von der Platte zu putzen.

Die Platte zu putzen verlangt nach Koennen

Das Programmverzeichnis ist zwar schnell gefunden und auch geloescht, aber das System tut zum Teil immer noch so, als koenne man Objekte der geloeschten Art einfuegen oder neu erstellen. Erst das Loeschen des entsprechenden Eintrags in der Win.ini bringt das gewuenschte Resultat. Werden dann auch noch die eventuell in der System.ini eingefuegten Treiberzeilen entfernt, die programmrelevanten Ini-Dateien im Windows-Verzeichnis geloescht, ein paar DLLs und TTFs aus dem Windows-Unterverzeichnis System entfernt, dann - und erst dann - sind wahrscheinlich die meisten Dateien der Programme weg. Wie schoen waere doch eine kleine Datenbank oder zumindest eine Datei, in der nachzulesen waere, welches Programm was wohin kopiert oder geschrieben hat.

Doch zurueck zum Programm-Manager. Um Fehler spaeter rueckgaengig machen zu koennen, laesst sich gluecklicherweise die Funktion "Einstellungen beim Beenden speichern" ausschalten. Nach dieser Aktion kann der Anwender Gruppen oeffnen, schliessen, verschieben - und Verwirrung stiften. Beim erneuten Starten von Windows erlebt die urspruengliche Ausgangssituation ein Revival. Leider haelt die besagte Funktion nicht, was sie verspricht. Auch bei ausgeschalteter Speicherfunktion werden fast alle diejenigen Aenderungen gespeichert, die besser reversibel sein sollten. Unter anderem ist das Loeschen, Verschieben, Kopieren und Umbenennen von Icons und Gruppen leider unumkehrbar.

Windows hat aber noch mehr auf Lager: Spaetestens, wenn der Anwender die Uhrzeit einstellen will, gelangt er zwangslaeufig in die Systemsteuerung. Bei der Uhr kann man alles moegliche einstellen, nur leider nicht die Zeit. Andererseits aber laesst sich in der Systemsteuerung fast alles verstellen, was Windows im Innersten zusammenhaelt. Da befinden sich so banale Dinge wie die Uhrzeit und die Mauszeigergeschwindigkeit friedlich nebeneinander mit dem Icon "386 erweitert" und draengen den Anwender regelrecht dazu, ausser an den Farben und dem Bildschirmschoner auch ein wenig an anderen Einstellungen herumzupfuschen.

Experimentierfreude macht vor nichts halt

Schon bei den Farben gibt es eine ganze Menge falsch zu machen. Hat der Anwender diese Funktion erst einmal fuer sich entdeckt, reichen dem experimentierfreudigen User auch die gespeicherten Farbschemata mit ihren sinnvollen Abstimmungen bald nicht mehr aus. Vom ganz absurden "Weisse Schrift auf weissem Grund" einmal abgesehen, kann eine wilde Farbzusammenstellung bei den Auswahlfeldern zu grosser Verwirrung fuehren: Bedeutet Hellgruen auf Tuerkis nun aktiviert oder wie oder was?

Ein weiteres grosses Betaetigungsfeld bietet der Datei-Manager. Hier kann der Anwender nach Herzenslust eigene Verzeichnisse anlegen, sie verschieben, loeschen oder einfach nur irgendwelche Dateien suchen. Aber leider hat es Microsoft versaeumt, zumindest das eigene Betriebssystem ein wenig zu schuetzen. Im Datei-Manager werden Win.com, Win.ini und andere ueberlebenswichtige Systemdateien genauso behandelt wie jedes unnoetige Bildchen - Verschieben, Loeschen, Umbenennen inklusive.

Auch ueber das Standardverzeichnis der Windows-eigenen Zubehoerprogramme wie Write oder Paintbrush kann man geteilter Meinung sein. Denn macht es wirklich Sinn, dass textliche und grafische Kreationen der Anwender in einem Verzeichnis mit dem System stehen? Wohl kaum, aber solange das so beibehalten wird, braucht man sich ueber das Wildern im Windows-Verzeichnis nicht zu wundern.

Da lohnt es schon eher, sich zu fragen, wie ein derart ueberarbeitungswuerdiges System nun schon seit Jahren den Markt beherrschen kann. Aber gaebe es nicht dieses Windows, waeren womoeglich viele DV-Dozenten und Supportmitarbeiter arbeitslos - und der Anwender um ein durchaus interessantes Gespraechsthema und einen Anlass zu sozial wichtiger Kommunikation beraubt.

*Edgar Koribalski ist freier Fachautor und DV-Ausbilder in Muenchen