Windows NT/Unix - ein Fall für das Altenteil?

Dem Nachwuchs fehlt es doch noch an einigem

31.07.1998

Jahrelang hat die Fachwelt der NT-Architektur einen Nachteil gegenüber Unix vorgehalten: die fehlende Clustering-Fähigkeit. Das scheint nun aus der Welt zu sein. Doch damit ist das Rennen für Bill Gates noch nicht entschieden. Immerhin behauptet Unix nun schon seit einigen Jahrzehnten seinen Platz. Denn die Clustering-Fähigkeit ist nur einer von zahlreichen Aspekten, die bei der Wahl des geeigneten Systems eine Rolle spielen.

Auch Unix hat in den 60er Jahren als Singleuser-System begonnen. Doch wurde es bald zu einem echten Multiuser-Betriebssystem ausgebaut. Von Anfang an war es von der verwendeten Hardware unabhängig.

Gleichzeitig entwickelte sich jedoch das von vielen Gegnern angeführte Manko von Unix: Es entstanden zahlreiche Derivate, die den Unix-Markt unübersichtlich machten und die Kompatibilität in Frage stellten. Noch immer gibt es die unterschiedlichsten Unix-Versionen. HP-UX, Digital Unix, Solaris, AIX, Irix und Sinix sind nur einige der wichtigsten Varianten. Auch zahlreiche Standardisierungen haben nicht alle Gräben zwischen den Derivaten eingeebnet.

Ganz anders Windows NT: Es wurde von Anfang an als Client-Server-System mit moderner grafischer Benutzeroberfläche entwickelt und besitzt wie Unix einen eigenen Kernel. Im Gegensatz zu diesem wurde Microsofts 32-Bit-System jedoch auf Intel-Prozessoren optimiert und ist auch für Alpha-RISC- und Mips-CPUs sowie den Power-PC verfügbar.

Die hohe Flexibilität von Unix ist jedoch auch ungeachtet der Plattformfrage nicht gegeben. Anders als Unix war NT auch nie ein echtes Multiuser-System, sondern unterstützt lediglich parallel laufende Anwendungen (preemptives Multitasking) und das Verteilen mehrerer Programmteile auf unterschiedliche, parallel arbeitende Prozessoren (Multiprocessing).

Den Nachteil der nicht vollständig gegebenen Hardware-Unabhängigkeit macht NT durch eine große Zahl nativer Anwendungen wett, die mittlerweile speziell für dieses System geschrieben wurden. Es ist für die meisten Anwendungsentwickler ein Quasistandard geworden. Die Anwendungsvielfalt kommt natürlich dem Benutzer zugute.

Eine Stärke, die das Microsoft-Betriebssystem mit Unix teilt, ist die Multiprotokollvernetzung. Darüber hinaus hat NT einen gewichtigen Vorteil gegenüber Unix in die Waagschale zu werfen: Es läßt von Haus aus, ohne spezielle Optionen, den preiswerten Aufbau firmeninterner Intranets zu.

Dazu ist Windows NT als Server- (Windows NT Server) und als Workstation-Version (Windows NT Workstation) verfügbar. Erstere ermöglicht den Aufbau eines kompletten Netzwerk-Servers, und die Workstation-Variante dient als Arbeitsplatz-Betriebssystem. Durch die Integration des MS Internet Information Server in die Server- und des MS Internet Explorer in die Workstation-Version bietet NT zudem ein einheitliches und zeitgemäßes Web-Konzept, mit dem sich schnell und kostengünstig ein Intranet realisieren läßt.

Unix hat in den kleinen Firmen schon verloren

Die kaum zu übersehenden Kostenvorteile von Windows NT sind für viele Anwendungsfelder in kleinen und mittelständischen Betrieben ausschlaggebend. Weil es optimal an die gegebenen Wintel-Umgebungen angepaßt ist, entstehen Unternehmen ein geringerer Aufwand und niedrigere Kosten als bei Unix-Systemen. Die Leistungsdefizite der Wintel-Maschinen im Vergleich zu Unix-RISC-Rechnern sind nicht mehr in allen Bereichen gravierend und für zahlreiche Anwender akzeptabel.

Sind die Preis-Leistungs-Vorteile schon hardwareseitig sehr groß, so hat Microsoft in der Debatte um Total Cost of Ownership (TCO) noch einen zusätzlichen Trumpf gezogen. Da NT eine intuitiv und damit einfach zu bedienende grafische Benutzeroberfläche nach einem verbreiteten Konzept hat, sind die Betreuungs- und Verwaltungskosten eines solchen Systems niedriger - hier haben einige Unix-Derivate allerdings aufgeholt.

Trotz vieler Vorteile, die Windows NT zu bieten hat, kommt es nur teilweise an die Leistungen von Unix heran. So besitzen Unix-Systeme nach wie vor höhere Verfügbarkeiten. Auch werden hohe Hauptspeicherkapazitäten besser genutzt. Schnelle Transaktionen sind deshalb die Spezialitäten des etablierten Betriebssystems, die Microsoft-Alternative kann hier nicht mithalten.

Ab vier beziehungsweise in der neuesten Version acht parallel arbeitenden Prozessoren ist bei NT das Ende der Fahnenstange erreicht. Weitere CPUs führen bei Windows NT zu keiner Leistungssteigerung mehr. Hier ist die hohe Skalierbarkeit von Unix und dessen symmetrische Multiprozessortechnik gefragt, die es erlaubt, durch weit mehr CPUs auch mehr Power zu erreichen, wenn auch nicht immer einen linearen Zuwachs.

Da hilft auch die Clustering-Fähigkeit von Wolfpack nichts. Clustering, die Zusammenschaltung mehrerer Server zu einem Verbund zwecks Leistungssteigerung und Verbesserung der Verfügbarkeit des Gesamtsystems, ist bei Unix nichts Neues. NT unterstützt diese Technik bisher nur in Verbindung mit Wolfpack, Microsofts Cluster Server (MSCS), und das nur unzureichend.

Mit der als Bundle mit Windows NT 4.0 gelieferten Server-Software lassen sich lediglich zwei Server zu einem System koppeln. Deshalb gilt Wolfpack vor allem als Möglichkeit zur Verbesserung der Ausfallsicherheit (Failover). Dabei übernimmt bei Ausfall eines Servers der gekoppelte Server sofort dessen Arbeit. Es handelt sich also um eine reine Sicherheitsfunktion, die alleine noch keine Leistungssteigerung erbringt.

Unix dagegen kann verschiedene Prozesse auf mehrere Server verteilen und gewinnt dadurch erheblich an Datendurchsatz. Eine Verbesserung der Clustering-Fähigkeit von Windows NT ist erst ab der Wolfpack-Version 2 zu erwarten. Da bereits die erste Version bei der Markteinführung Probleme hatte, bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die zweite (in Verbindung mit Windows NT 5.0 Cairo) der Unix-Konkurrenz Paroli bieten kann.

Ein weiterer Schwerpunkt von Unix sind Weitverkehrsnetze, die problemlos in beliebiger Art und Weise verwaltet werden sollen. Gerade hier zeigt die Microsoft-Entwicklung Schwächen, denn für die Administration von NT-Netzen müssen bestimmte statische Modelle herhalten, die lediglich Kompromisse bieten.

NTs Single-Domain-Modell kennt nur zwei Hierarchiestufen. Dadurch lassen sich bei weitem nicht alle Ebenen eines komplexeren Unternehmens abbilden. Eine Ausweichmöglichkeit scheint das Trusted-Domain-Modell zu sein. Doch hier ist für jeden Standort eine eigene Domain erforderlich. Sollen mehrere unabhängige Standorte verwaltet werden, geht alsbald die Übersichtlichkeit verloren.

Das Modell ist somit nur für eine begrenzte Anzahl von maximal fünf unabhängigen, das heißt selbstadministrierten Standorten einsetzbar. Wächst ein Unternehmen darüber hinaus, ist eine Skalierung mit einigem Aufwand verbunden.

Die dritte Alternative ist das Master-Modell. Hier werden alle Benutzer und Gruppen von einer zentralen Domain aus administriert. Die Ressourcen verwaltet dagegen jede dezentrale Domain selbst. Für dieses Modell sind viele Administratoren nötig, was entsprechend die TCO in die Höhe treibt. Der Trend geht aber derzeit gerade in die Gegenrichtung, nämlich möglichst flache Unternehmensstrukturen aufzubauen.

Klassische Systeme wie Unix kennen diese Problematik nicht, weshalb ihnen multinationale Unternehmen den Vorzug geben. Unix unterstützt auch die in diesem Zusammenhang sehr wichtigen Hochgeschwindigkeits-Backup-Medien, was bei NT nur teilweise der Fall ist.

Die Grenzen des Microsoft-Sprößlings

Bekannt ist auch, daß Microsofts System Schwierigkeiten bekommt, wenn gleichzeitig auf verschiedene Versionen einer Software zugegriffen wird. Entweder sinkt dann die Performance des Systems, oder es kommt zu Stabilitätsproblemen.

Als zentralem Unternehmens-Server sind Windows NT auch in der neuesten Version nicht mehr als zehn Standorte zuzumuten. Bei etwa 30 bis 50 Anwendern pro Server überwogen für die Entscheider bisher die NT-Vorteile (benutzerfreundliche Administration und niedrige Kosten). Größere Systeme werden aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin Unix vorbehalten sein. Auch Datenbank-Server mit mehr als 30 Anwendern und über einer Million Datensätzen sind erfahrungsgemäß auf Unix-Systemen besser aufgehoben als auf Microsofts NT-Servern.

Unix dagegen wird in Zukunft gegen die Kritikerstimmen zu kämpfen haben, die es als ein zergliedertes Betriebssystem mit vielen Varianten bezeichnen. Am Image haben auch die zahlreichen Standardisierungsvereinbarungen aus der X/Open-Zeit nicht viel geändert. Immerhin ist Kompatibilität nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, und die einst gravierenden Unterschiede der Unix-Oberflächen sind nicht mehr so ausgeprägt. Mehr ist aber nicht zu erwarten. Die Meldung, es gebe nun eine einheitliche Unix-Version, würde kein Unixer ernst nehmen.

Zur Herde treibt es auch die Anbieter

Die Frage, wer das Rennen machen wird, ist noch lange nicht entschieden. Derzeit haben beide Systeme auf den verschiedenen Anwendungsebenen Existenzberechtigung. Windows NT ist die ideale preiswerte Umgebung für kleine und mittlere Anwendungen (Abteilungs- und LAN-Server). Es wird Unix hier weiterhin Boden streitig machen, zumal die meisten Hard- und Softwarehersteller nicht nur NT unterstützen, sondern es gleich als strategische Plattform deklariert haben.

Unix hingegen wird aus dem Abbau der Mainframe-Architekturen mittelständischer und großer Unternehmen profitieren und hier Kapazitäten übernehmen. Es ist der Gewinner von Ablösungen im Rahmen der Jahr-2000- und Euro-Anpassungen sowohl dort, wo Maschinen ersetzt wurden, als auch dort, wo die Lösung in der Einführung von Standardsoftware bestand. Unix wird seine nicht zu übersehende Überlegenheit gegenüber Windows NT auch in Zukunft bei komplexen unternehmensweiten Umgebungen mit hoher Verfügbarkeit und 64-Bit-Verarbeitung sowie schneller Transaktionsverarbeitung ausspielen.

Angeklickt

Es ging Bill Gates von Anfang an um mehr als eine Verlängerung von Windows auf die Server oder die Ausschaltung des Netzkonkurrenten Novell. Windows NT sollte zunächst die DV-Umgebungen kleinerer Firmen für Microsoft gewinnen und stetig wachsend in den Abteilungen komplexerer Unternehmen respektablere Erfolge erringen. Auf diesem Weg mußte NT zum Vergleich mit Unix antreten. Doch dabei zeigt nicht nur dieses vermeintlich betagte Betriebssystem Schwächen, auch NT offenbart seine Grenzen, die selbst mit den angekündigten Neuerungen nicht aufgehoben sein werden.

Michael Funk ist freier Journalist in Partenheim.