Dem Kunden einen Schritt voraus

09.01.2007
Von Oliver Schottek 
Leider nutzen viele Unternehmen im deutschen Einzelhandel ihre Kundendaten eindimensional. Die Folge: Angebote werden wie gewohnt per Gießkanne verteilt. Dynamic Clustering verspricht Besserung.

Wir kennen sie alle, die obligatorische Frage an der Kasse: "Haben Sie eine Kundenkarte?" Kundenkarten sind die angesagten Instrumente im heutigen Kundenbeziehungs-Management - auf Neudeutsch: Customer Relationship Management. Die lästigen Fragen an der Kassenzone wären einfacher zu ertragen, wenn die gesammelten Daten wenigstens so genutzt würden, dass man als Kunde im richtigen Moment das richtige Angebot bekommt. Das heißt, das Unternehmen lernt mehr über seinen Kunden, dessen Vorlieben und generiert daraus zielgerichtete Ansprachen, die in unserer heutigen informationsüberfluteten Zeit Balsam auf die Konsumentenseele bedeuteten. Die Methode Dynamic Clustering berücksichtigt evolutionäre Veränderungen im Kundenverhalten und schärft die Genauigkeit der Kundensegmentierung und somit die Angebote, mit denen das Marketing den Kunden kontaktiert. Entscheidend für die Umsetzung eines solchen Kundenkartenprogramms ist das Design. Wie ist der gefühlte Mehrwert des Karteninhabers? Fühlt sich der Kartenkunde bevorzugt behandelt? Sieht er für sich klare Vorteile durch seine Kundenkarte?

Die Geister, die ich rief ...

Bei der Einführung der Kundenkarte stehen sehr oft die sogenannten Bon-Daten auf dem Wunschzettel. Das bedeutet: Das Unternehmen möchte in der Informationstiefe bis auf die Ebene von Kassenbelegen heruntergehen. Zusätzlich zur Frequenz des Kunden und seines kumulierten Umsatzes ist dokumentiert, welchen Artikel der Kunde wann in welcher Kombination mit anderen Käufen erworben hat. Eigentlich ein El Dorado für Marktforscher und Marketing-Spezialisten. Doch die Masse an Daten wird unterschätzt: Bei 50 Einkäufen im Jahr mit zehn bis 20 Artikel pro Einkauf - und das Ganze teilweise bei Millionen von Kundenkarten - kommt schnell ein gewaltiges Datenvolumen zusammen.

Grundsätzlich ist der Ansatz hin zu Bon-Daten klar zu befürworten. Allerdings sind Werkzeuge erforderlich, die den Durchblick im Datendschungel gewährleisten. In diesem Zusammenhang sind Schlagworte wie Data Warehause, Data Mining und Predictive Analytics zu nennen. Doch die Tools alleine nützen wenig. Das Gold liegt aber in dem Wissen über die Kunden, und da kommt das Unternehmen um die detaillierte Analyse der gesammelten Daten nicht herum.

Die grobe Einteilung nach dem Motto "Single-Haushalt und Familie mit Kindern" ist noch die leichtere Übung. Schwierig wird es, wenn es tiefer geht. Beispielsweise stellt man sich bei Baumarktkunden die Frage, wieso der eine Kunde nur in zwei bis drei verschiedenen Warengruppen kauft, während der andere die komplette Palette der Artikel durchexerziert. Beide Kunden haben aber interessanterweise in etwa den gleichen Jahresumsatz. Da stellen sich verschiedene Fragen: Ist der Lebenszyklus der beiden Kunden gleich? Welcher Kundentyp ist das? Ist es ein Nachbarschaftshelfer (so wird in Baumarktkreisen die Zielgruppe der professionellen Schwarzarbeiter genannt) oder eher ein Häuslebauer (ein so genannter Projektkunde)?

Historische Kundendaten aus unternehmenseigenen Datenbanken werden in der Regel in einer kumulierten Draufsicht ausgewertet. Man schaut, welche Artikel der Kunde gekauft hat. Es wird nicht beachtet, welche Käufe auf vorausgegangene Anschaffungen folgten. Somit wird der Ablauf des Prozesses komplett ignoriert. Verändert sich das Konsumentenverhalten in der Zwischenzeit, wird dies nicht berücksichtigt. Wiederum werden Chancen für gezielte Kampagnen nicht genutzt und weiter Budget mit der alten Kalibrierung verpulvert.

Softwareunterstützung

In großen Datenmengen, die beispielsweise über Kundenkarten, Bon-Daten und Panel generiert wurden, können häufig Strukturen entdeckt werden, die Handelsexperten vorab nicht vermutet hätten und nach denen entsprechend auch nicht gesucht worden wäre.

Das Prinzip der verschiedenen Tools ist jeweils ähnlich: Ähnliche Kundenprofile (hinsichtlich Kaufverhalten, Response-Raten, Soziodemographie etc.) werden zu homogenen Gruppen zusammengefasst, die ein spezifisches Profil aufweisen und sich entsprechend stark von anderen Gruppen und deren typischem Profil unterscheiden. Auch wenn dies keine neuen Erkenntnisse sind, wird doch die Datenbasis hierzu immer besser, das heißt, die unrentablen Kunden können immer besser beschrieben werden.

Neben den etablierten Data-Mining-Tools präsentieren derzeit kleine visionäre Softwareanbieter so genannte SimulationsTools, die den "Blick in die Zukunft" möglich machen - Predictive Analytics. Diese Softwarelösungen können das Kaufverhalten von Kunden mit schon beinahe beunruhigender Genauigkeit (jenseits der 90 Prozent) vorhersagen. Dabei werden neben einer Vielzahl von Kundendaten externe Einflussfaktoren wie Konkurrenzverhalten, Markttrends, saisonale Aktionen und demographische Daten berücksichtigt. Ebenso werden die neuesten Erkenntnisse aus der Kundenverhaltensforschung in die Simulation einbezogen. Die verschiedenen Datenkomponenten der Einzelhandelslandschaft werden in Simulationsmodellen miteinander verknüpft, und mittels künstlicher Intelligenz wird die Modellgüte stetig verbessert.

Die Bildung von Kunden-Clustern aufgrund einer kompletten historischen Betrachtung des Kundenlebenszyklus ist beim Dynamic-Ansatz Grundvoraussetzung. Bestimmte Kunden, etwa Baumarktkäufer mit einem hohen Jahresumsatz, geben monatelang keinen Cent für Gartenartikel aus und kaufen dann plötzlich ebenso monatelang nichts anderes. Mit traditioneller Einteilung kommt man diesen Kunden nicht auf die Spur, doch mithilfe der beschriebenen Softwarelösungen zeigen sich auffällige Muster.

Vom Suchen und Finden

Auf einer Entdeckungsreise bei Artikelverkäufen findet man die Fragen - wie bei dem seltsamen Baumarktkunden - und bekommt später in der Marktforschung bei Kundeninterviews dann auch die Antworten: Ganz klar ein echter Häuslebauer - erst Innenausbau und vorerst draußen Marslandschaft. Nach einem Jahr wird dann fleißig Rasen gesät, es werden Thujabäume gepflanzt und Gartenzäune verschraubt.

Betrachtet man die Reihenfolge der Käufe, dann ergibt sich auch hier ein klares Muster: Wer zuerst Rigipsplatten, dann Raufaser, Alpina Weiß und Birkenlaminat kauft und in einer bestimmten Gegend wohnt, der gibt mit einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit zehn bis zwölf Monate später 500 bis 1500 Euro für Gartenartikel aus. Wenn das Unternehmen dieses Wissen aufgebaut hat, dann sind die abzuleitenden Maßnahmen keine große Herausforderung mehr.

Verhaltensforschung ist nötig

Dynamisch (Dynamic) bedeutet, dass der Kunde immer in seinem Verhalten ganzheitlich bis zum letzten Tag der Kundenhistorie betrachtet wird. Erst dann wird daraus die Einteilung in eine Gruppe und zu den entsprechenden Maßnahmen vollzogen. Das Unternehmen kann mit Dynamic Clustering also sozusagen in die Zukunft schauen. Durch die ganzheitliche Betrachtung des Kundenlebenszyklus ist die Abfolge von bestimmten Artikelkäufen dem jeweiligen Kundentyp zuzuordnen, und die folgenden Käufe lassen sich realistisch prognostizieren. Der Kunde wird somit genauer und authentischer klassifiziert und mit Marketing-Maßnahmen angesprochen. Das Kundenprofil durchläuft vor jeder Kampagne ein Update, und dadurch werden nur die relevanten und affinen Kunden mit einer entsprechenden Kampagne angesprochen. (ave)

*Oliver Schottek ist freier Berater und Autor in Saarbrücken.