Ratgeber Video-Conferencing (Teil 3 und Schluß)

Dem Konferenzteilnehmer am PC ins Auge blicken

04.10.1996

Zu Beginn noch ein letztes Anwendungsbeispiel: Seit gut zwei Jahren setzt die SAP AG ihre rund 300 "Proshare"-Desktop-Systeme und Raumkonferenz-Anlagen von Picturetel zur internen Kommunikation, bei der Kundenberatung als Remotes Service-Tool sowie für Mitarbeiter-Informationsveranstaltungen in den Geschäftsstellen ein.

Für die DV-Planer des Walldorfer Software-Unternehmens waren dabei auf der Desktop-Ebene vor allem die Features zum Application- Sharing, die Skalierbarkeit und letztlich auch die LAN-Fähigkeit des Intel-Produkts ausschlaggebend. Letzteres wird aber, so die offzielle Lesart in Walldorf, aus "Netzlastgründen" nicht überstrapaziert.

Fazit in Walldorf: Wer mit der Anschaffung von Videokonferenzsystemen für die interne wie externe Telekooperation liebäugelt, sollte laut SAP auf jeden Fall auf ein einheitliches Produktumfeld - sprich: auf einen Hersteller - setzen.

So weit, so schlecht - Probleme also, die man nicht nur aus dem Bereich des Video-Conferencings kennt. Was also tun? Zunächst auf Standards setzen. In der letzten CW-Ausgabe berichteten wir über den langen, steinigen Weg zu der weltweit akzeptierten H.320-Norm. Nicht einfacher war die Entwicklung hin zum mittlerweile verabschiedeten T.120-Standard, der die Datenkonferenz von Desktop-PC zu Desktop-PC spezifiziert und dessen "Durchbruch" Ende vergangenen Jahres erst möglich wurde, als eine etwas überraschende Entwicklungs-Allianz zwischen Picturetel und Software-Gigant Microsoft das von Intel dominierte PCWG (Personal Conferencing Work Group)-Lager quasi an den Verhandlungstisch zwang.

Doch genug der "hohen Politik". Was bedeuten die Normen H.320 und T.120 in der täglichen Praxis konkret? Der H.320-Standard (parallel dazu gibt es noch den H.324-Standard für analoge Netze) regelt die "bildseitige" Datenaufbereitung im ISDN-Netz, wobei Codierung und Decodierung (Komprimierung) der sehr viel Bandbreite beanspruchenden Videosignale mittels eines sogenannten Codecs (H.261-Norm) funktionieren.

Dieser dient dabei gleichzeitig als Interface zwischen dem Videokonferenzsystem und dem Netz. Darüber sollen die Daten transportiert werden. Prinzipiell gilt: Je höher die Komprimierung, desto schlechter die Bildqualität.

Um die verschiedenen Möglichkeiten der Komprimierung von Videosignalen auf eine einheitliche Basis zu stellen beziehungsweise den Datenaustausch zwischen Systemen unterschiedlicher Hersteller zu ermöglichen, wurde bereits 1990 von der ITU (damals noch CCITT) die H.320-Norm entwickelt.

Ein Großteil der heutigen Codecs unterstützt diesen Standard oder läßt sich nachträglich um die betreffenden Spezifikationen erweitern. Die Norm selbst unterstützt die weltweit verschiedenen Videoformate wie PAL oder NTSC - bei einer Bandbreite von 64 Kbit/s bis 2 Mbit/s.

Wer also möchte, daß sich sein System mit dem eines anderen Herstellers im Video- und Audio-bereich verständigen kann, muß unbedingt auf H.320-Kompatibilität Wert legen. "H.320-konform" gilt dabei hierzulande mittlerweile als "State of the art". Besagtes Ettikett ist Markenzeichen des Telecom Test Centre in Stuttgart, seines Zeichens eine unabhängige, kommerzielle Organisation, die Videokonferenz-Equipment nach den Kriterien des vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation initiierten "Arbeitskreises Bildkommunikation" auf Herz und Nieren prüft (siehe Abbildung).

Nicht weniger beachtenswert ist die Kompatibilität von Systemem zum T.120-Standard, jedenfalls dann, wenn neben der klassischen Videokonferenz auch das Application-Sharing - die sogenannte Datenkonferenz (simultane Bearbeitung von Windows-Dateien) - zum Einsatz kommen soll. Der T.120-Standard regelt unter anderem das für die Telearbeit so wichtige Multipoint-Conferencing (was im Videobereich bei der H.320 seit jeher möglich war) also die Möglichkeit, nicht nur Punkt-zu-Punkt, sondern in Konferenz zu kommunizieren - mit allen Features einer Datenkonferenz. Es ist also möglich, an original Windows-Dateien Änderungen vorzunehmen (Joint Editing) oder auch seinen Konferenzpartner nur auf bestimmte Aspekte hinzuweisen (Joint Viewing). Die jeweilige Applikation respektive Datenbank sollte dabei in der Regel lediglich auf einem Konferenz-PC installiert werden müssen gleichzeitig ist darauf zu achten, daß sich durch gezielte, softwaregesteuerte Mausvergabe der früher oft lästige "Mauskrieg" vermeiden läßt.

Worauf ist sonst noch zu achten? Zum Beispiel auf die Wahl der richtigen Bandbreite. Als "Einstiegsdroge" für den Desktop-Bereich gilt gemeinhin der ISDN-Basisanschluß mit einer für die Videokonferenz möglichen Kopplung der beiden B-Kanäle zu 128 Kbit/s. Wer dieses Szenario allerdings einmal in der Praxis erlebt hat, wird abwinken (müssen) - deutlich zu geringe Audio- und Videoqualität! Erst recht für den Betrieb von Studios und "Rollabouts". Alternativen: 384 Kbit/s respektive ein ISDN- Primärmultiplexanschluß mit bis zu 30 B-Kanälen. Noch eine andere Faustregel: Ein ISDN-B-Kanal reicht für die PC-gestützte Bildtelefonie, zwei B-Kanäle sind Voraussetzung für eine Datenkonferenz, sechs B-Kanäle eignen sich als High-end- Infrastruktur für große Studios.

Last, but not least geht es natürlich auch um den guten Ton. Nichts ist schlimmer als eine schlechte Audioqualität - die, wenn man so will, Todsünde schlechthin, die man bei einer Videokonferenz begehen kann. Trotz der Verbreitung von Soundkarten in vielen PCs wird oft auf die Digitalisierung und Codierung über spezielle "Sound-Bausteine" auf der ISDN-Karte zurückgegriffen. Was, wie es in einer Analyse der "Funkschau" heißt, zwar den PC- Bus entlastet, andererseits aber mit ein Grund dafür ist, daß die Karten mindestens einen Interrupt und einen Adreßbereich belegen - Probleme bei der Suche nach zusätzlichen Interrupts im (PC)- Zeitalter von CD-ROM- und Scanner-Laufwerken, Soundkarten und sonstigem Schnickschnack also durchaus entstehen können. Ausweg: Bei zumindest kleinen Installationen auf qualitativ gute Add-ons wie Raummikrofon und auf den PC-Monitor aufsteckbare Kameras achten.

Was sind nun aber die Zukunftstrends, auf die die mit Windows- Rechner, Euro-ISDN-Anschluß und in der Regel 16 oder neuerdings vielfach schon 32 MB RAM ausgestatteten Videokonferenz-Pioniere achten müssen? Videokonferenz im LAN zum Beispiel, mit einem proprietären TCP/IP-, IPX/SPX-, Netbios- oder Appletalk-Stack samt Netzkarte im PC. Hier wartet, trotz im Markt bereits verfügbarer Lösungen, die Branche noch auf die neuen Standards H.322 und H.323. Und natürlich auf die Videokonferenz im Internet Marktführer Picturetel und Internet-Shooting-Star Netscape arbeiten, so seit längerem kursierende Gerüchte, an einer Web- basierten Videokonferenz-Software. Fest steht indes, daß Microsoft entsprechende Features auf der Basis von Intels "Proshare" in das nächste Release von Windows 95 integrieren wird. Und glaubt man Picturetel nahestehenden Insidern, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Videokonferenz portabel wird als mobile Lösung, mit der man jeden Fernseher zum Videokonferenz-Terminal umrüsten kann. Warten wir es ab. Genauso wie die Prognose einiger Marktforscher, daß das Video-Conferencing den Internet-Boom schon im Weihnachtsgeschäft 1996 ablösen wird.

Studie

Wer sich eingehender über das Thema informieren möchte, für den bietet sich die erst vor kurzem erschienene Studie "VideoConferencing" von KLC Consulting an. Die auf Netzwerk- und Kommunikations-Lösungen spezialisierten Berater liefern mit der Untersuchung eine Art Einmaleins der Videokonferenztechnik sowie eine relativ umfangreiche Marktübersicht, was für Gespräche mit Herstellern und Investitonsentscheidungen sicherlich hilfreich sein dürfte. (Informationen: KLC Consulting, Telefon 06003/92154).

Service

Wer sich nicht durch Investitionen und langwierige Installationen binden mag, dem hilft in Sachen Videokonferenz unter Umständen die Frankfurter Mobile Video Communication Service GmbH (Movicom) weiter. Das Unternehmen ist die Dachorganisation eines bundesweiten Partnernetzes für Videokonferenz-Dienstleistungen und bietet seine bislang in Deutschland "erhältliche" Vermittlung von Videokonferenzstudios mittlerweile weltweit in über 52 Ländern an. Das Angebot von Movicom umfaßt neben der internationalen Studiovermittlung auch Videokonferenz-Schulungen, Just-in-time- Miete entsprechender Systeme sowie Beratungsservices für die Ausstattung von Konferenzräumen und die Durchführung von Events unter Einbeziehung von Videokonferenzen.

(Informationen: Movicom GmbH, Telefon 069/96 36 63 77).