Ratgeber Video-Conferencing (Teil 1)

Dem Konferenzteilnehmer am PC ins Auge blicken

20.09.1996

"Konnichiwa - guten Tag Herr Deutschländer!" Einen Mausklick später erscheint Diplomingenieur Matthias Lohmann live auf dem PC- Monitor seines Kollegen beim TÜV Rheinland in Köln. Der gebürtige Sachse meldet sich über ein "Proshare"-System des Chip-Giganten Intel aus dem japanischen Yokohama. So hörte sich vor nicht allzulanger Zeit Public Relations bei der Deutschen Telekom an. Seit Herbst 1995 arbeitet der TÜV Rheinland laut Pressemitteilung des ehemaligen Bonner Postunternehmens erfolgreich mit der von Telekom und Intel entwickelten Software, die mit Hilfe von ISDN und einer Video-Erweiterungskarte im PC die direkte Kommunikation auf der Datenautobahn ermöglicht.

In seiner Funktion als international agierendes Dienstleistungsunternehmen bürgt der TÜV Rheinland aufgrund seiner Sicherheitszertifikate auch für die Qualität importierter Produkte - wobei die Palette vom medizinischen Einweghandschuh bis zur Mikrowelle reicht. Der globale Austausch von Dateien und Informationen ist also geradezu zwingend erforderlich: Faxen, Telefonieren, bloßer Filetransfer und aufwendige Interkontinental- Reisen waren bei diesem Unterfangen lange Zeit mehr als problematisch, heißt es. Als "Videokonferenzpionier" der Telekom in Fernost kann TÜV-Ingenieur Lohmann nun aber mit seinem Kollegen Thomas Deutschländer in der deutschen Zentrale nach Bedarf ein Meeting von PC zu PC anberaumen - mit der Möglichkeit des Sichtkontaktes, des direkten Dialogs und der gemeinsamen Bearbeitung von (Windows)-Dateien.

Bis zur Videokonferenz nach Nippon war es indes ein langer Weg, den es durchaus lohnt, noch einmal zu rekapitulieren. Wer erinnert sich beispielsweise noch an das Vermittelnde Breitbandnetz (VBN) der Telekom, über das in den 80er Jahren die ersten Pioniere samt TV-Sender-würdiger und demzufolge entsprechend aufwendiger Studiotechnik in das Videokonferenzzeitalter geschickt wurden? Oder an das seinerzeit ausgesprochen ehrgeizige "Medkom"-Projekt, mit dem der deutschen Schulmedizin durch Videokommunikation eine Art multimedialer Flankenschutz gegeben werden sollte?

Aus den 140 Mbit/s ehemaliger VBN-Zeiten sind bekanntlich im Regelfall 128 Kbit/s (zwei ISDN-B-Kanäle) geworden - eine, wenn man so will, Abrüstung, die zwar mit dazu beitrug, daß so manches Prestigeobjekt (siehe "Medkom") heimlich, still und leise beerdigt wurde, andererseits aber erst die Bedingungen dafür schaffte, daß heute in Sachen Videokonferenz immer noch - oder erst recht - von einem sich abzeichnenden Boom gesprochen werden kann. "Ein Markt explodiert", bekundet etwa Werner Kuhnert, Geschäftsführer der deutschen Picturetel GmbH, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, was aus der Sicht seines Unternehmens sogar stimmen mag. Die US- Company ist mit einem Umsatz von knapp 350 Millionen Dollar (1995), mehr als 40000 ausgelieferten Systemen und einem weltweiten Anteil von 51 Prozent der führende Anbieter (siehe Grafik) in einem Markt, der Analysten zufolge seine besten Zeiten noch vor sich hat.

So dürfte sich nach Ansicht der Gartner Group der Weltmarkt, der 1995 ein Volumen von rund 750 Millionen Dollar umfaßte, bis Ende 1997 auf 7,5 Milliarden Dollar verzehnfachen die Auguren von Personal Technology Research prognostizieren für das zukunftsträchtige Segment des Desktop-Videoconferencings eine weltweite Steigerung der Lieferzahlen von 30000 Systemen (1995) auf zwei Millionen Einheiten zur Jahrtausendwende. Nicht ganz zu dieser Euphorie paßt indes die Tatsache, daß solche Prognosen zwar seit Jahren durch die Branche geistern, ohne bis dato jedoch richtig Realität geworden zu sein.

Halten wir uns daher, insbesondere, was den hiesigen Markt angeht, an die Fakten und diese wiederum haben viel mit der vorhin erwähnten Kooperation zwischen Telekom und Intel zu tun. Als nämlich beide Unternehmen im Frühjahr 1994 gemeinsam die Videokonferenz-Lösung "Proshare" präsentierten, sorgte dies durchaus für einen gewissen Aha-Effekt. Während die Mannen um Intel-Chef Andy Grove in erster Linie auf einen neuen Markt und ein neues Image setzten, rafften die Bonner sich damals gerade auf, die Bedeutung und eigentliche Leistungsfähigkeit ihres ISDN- Netzes zu erkennen und entsprechend zu vermarkten.

Rund 10000 Einheiten des weitgehend von Intel entwickelten Systems will die Telekom eigenen Angaben zufolge bis Mitte 1996 verkauft haben. Quasi im Windschatten des ISDN-Booms, genauer gesagt, der mittlerweile weit über 1,5 Millionen verkauften ISDN- Basisanschlüsse, sind derzeit aber nicht nur das Intel-System, sondern auch Lösungen anderer namhafter Hersteller wie Picturetel, Vtel, CLI und Sony zunehmend mehr gefragt.

Bei der Produkt-Klassifizierung muß grundsätzlich unterschieden werden zwischen Anbietern wie Picturetel und CLI, die weitgehend auf das Geschäft mit der klassischen Videokonferenz fokussiert sind, und Herstellern wie Intel, die aus dem Software- und Hardwarebereich kommen. Erstere bieten nach übereinstimmender Expertenmeinung die bessere Video- sowie Audioqualität und sind in jedem Fall empfehlenswert, wenn diese Features ausschlaggebend für die jeweilige Anwendung sind. Wird jedoch (auch) mehr Wert auf das immer populärere Data-Conferencing gelegt, hat Intel aus Sicht vieler Zeitgenossen die Nase vorn.

Generell gilt: Wer heute mit der Anschaffung von Videokonferenzsystemen liebäugelt, hat die Qual der Wahl - sowohl was das Equipment als auch was das mögliche Anwendungsszenario angeht. Neben den nach wie vor erhältlichen Raum- und Konferenzanlagen mit Stückpreisen bis zu 80000 Mark und darüber gibt es besagte Desktop-Systeme, die den PC mittels Kamera, Mikrofon und spezieller Videokonferenz-Software zur Kommunikationszentrale machen. Dies übrigens zu einem Preis zwischen 3500 und 5000 Mark, Tendenz: weiter fallend. Teurer wird es jedoch mit Sicherheit durch ein aufwendigeres Szenario: Wenn etwa über die herkömmliche Point-to-point-Videokonferenz (die Bild- und Tonverbindung zwischen zwei PCs, bei der im Gegensatz zur Bildtelefonie auch PC-Daten ausgetauscht werden können) zwei Konferenzräume oder mehr als zwei PC-Arbeitsplätze (Multipoint) miteinander verbunden werden sollen.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist bei einer Interpretation des Wachstums des Videokonferenz-Marktes zweierlei festhalten: Neben den geringeren Kommunikationskosten durch die Nutzung von ISDN machen sich die immer geringeren Systempreise vorteilhaft bemerkbar. Gleichzeitig tragen trotz eines sich abzeichnenden Siegeszugs des Desktop-Video-Conferencings die Gruppensysteme nach wie vor den weitaus größten Anteil zum Umsatz der Hersteller bei.

Neben technischen Kriterien und dem Systempreis gibt es aber bekanntlich noch eine Reihe "weicher" Faktoren, die, wie eingangs am Beispiel TÜV Rheinland geschildert, Unternehmen längst vor der Möglichkeit des PC-Conferencings auf ISDN-Basis dazu bewogen haben, auf die Karte Videokonferenz zu setzen. Einsparung von Reisekosten, schnellerer Ablauf von Geschäfts- und Entscheidungsprozessen, Förderung von Teamarbeit ... Die Liste der Argumente ist hinlänglich bekannt.

Ford profitiert vom Video-Conferencing

Zu den Anwendern der ersten Stunde in Deutschland gehören Ford und Siemens - zwei Firmen, die bereits seit 1981 (damals noch mit analoger Technik) Videokonferenzsysteme als Kommunikations-Tool für Abteilungen an unterschiedlichen Standorten einsetzen. Erste konkret nachvollziehbare Erfolge verbuchte man beispielsweise bei Ford, wo heutzutage primär Raumsysteme von Picturetel zum Einsatz kommen, bereits bei der Konzeption und Konstruktion des ersten Typs der Großraumlimousine "Scorpio", der Mitte der 80er Jahre in Köln und im britischen Dunton entwickelt wurde. Ergebnis des damaligen, noch auf VBN-Basis laufenden Pilotprojekts: Die Entwicklungszeit für den Wagen konnte um etwa ein Drittel verkürzt, der lange Zeit gefährdet erscheinende offizielle Auslieferungstermin gehalten werden.

Immer mehr und immer öfter finden bei den Autobauern nun aber auch Desktop-Systeme ihre Verwendung, wie Klaus Schröder, technischer Leiter Fernsprech- und Datennetze bei der Ford AG in Köln berichtet. Ursprünglich eher als zusätzliches Statussymbol für das Top-Management eingekauft, sind besagte Lösungen Schröder zufolge mittlerweile auch "fest bei den Sachbearbeitern etabliert". Das Urteil der Ford-Mitarbeiter ist positiv: Über diese Form der Telekooperation durchgeführte Besprechungen würden sich nicht nur durch eine höhere Effektivität auszeichnen, sondern gleichzeitig durch einen schnelleren und einfacheren Informationsaustausch über größere Entfernungen hinweg. Des weiteren verliefen Videokonferenzen durch entsprechend gute Vorbereitung in Regel besser und disziplinierter als herkömmliche Meetings.

Diese Erfahrungen kann man bei der Siemens AG nur zum Teil bestätigen. Darüber, wie auch über die Videokonferenz-Erfahrungen anderer Unternehmen berichtet die COMPUTERWOCHE in der nächsten Ausgabe. In Verbindung damit lesen Sie weitere Ratschläge, worauf bei der Implementierung entsprechender Systeme zu achten ist. Last, but not least werden Sie auch etwas über den Faktor erfahren, der entscheidend zum bisherigen Erfolg des Video- Conferencings beigetragen hat: die weitgehende Eingung auf gemeinsame Standards.

Videokonferrenzsysteme - Weltweiter Marktanteil 1995 in Prozent

EINER FEHLT: Statistiken sind stets verschieden interpretierbar - auch die hier vorliegende. In der abgedruckten Rangliste fehlt Intel. Begründung der Marktforscher: Dem Prozessor-Gigant fällt durch seine ausschließliche Fokussierung auf den Bereich Desktop- Videokonferenz eine Sonderrolle zu.Dickinson & Associates

Debitel verbilligt Tariffe

Geschäftskunden bietet die Debitel Kommunikationstechnik GmbH & Co. KG seit dem 1. September 1996 den günstigeren Mobilfunktarif "debitel VIPline". Debitels Fachhandelsmarke Business Telecom Services (BTS) hat analog den "BTS Viptime"-Tarif eingeführt. Entsprechend diesen Tarifen kosten Inlandsgespräche im D-Netz zu jeder Tageszeit 1,20 Mark pro Minute. Im E-Netz fallen pro Minute 99 Pfennige an. Zusätzlich hat Debitel den Monatsgrundpreis auf 49 Mark reduziert, was nach Angaben des Unternehmens einer Verbilligung um 36 Prozent entspricht (vgl. Tabelle). Vor allem für Kunden, die hauptsächlich während der Geschäftszeiten durchschnittlich länger als vier Minuten telefonieren, soll diese Neuregelung einen Vorteil bringen. Laut Debitel stehen VIPline- Kunden auch alle üblichen Serviceleistungen wie zum Beispiel sekundengenaue Abrechnung oder sämtliche Mehrwertdienste offen.

Ratgeber Video-Conferencing

1. Erstellen Sie zunächst eine Kosten-Nutzen-Analyse, die Faktoren wie Einsparung von Reisekosten, Einrichtung externer Arbeitsplätze, Mitarbeiterausbildung sowie tatsächliche Beschleunigung von Geschäftsprozessen untersucht.

2. Beachten Sie, daß bei ausschließlich interner Kommunikation andere Parameter gelten als bei der Einbeziehung externer Partner.

3. Wenn Sie auch "Data-Conferencing" betreiben wollen, ist es trotz des T.120-Standards sinnvoll, sich auf Systeme eines Herstellers zu beschränken.

4. Kommt die klassische Telearbeit zum Tragen, gilt es auch rechtliche Fragen wie Mitarbeiterstatus, Zutrittsrechte zur Wohnung und Leistungskontrolle zu klären.

5. Bereits vor einer Testinstallation sollten Sie Hersteller in bezug auf deren Produktstrategie und Support überprüfen.

6. Ferner ist zu klären, welchen Aufwand gegebenenfalls die eigene DV-Abteilung betreiben muß, um die Systeme inhouse zu warten.

7. Steht der Aufbau einer kompletten Videokonferenz-Infrastruktur fest, muß die Inanspruchnahme sogenannter Multipoint-Control- Units, die Aufstockung der Bandbreiten im Unternehmensnetz, ein verbessertes LAN- und WAN-Management sowie über Peripherie wie zusätzliche Kameras, Beleuchtung etc. nachgedacht werden.

8. Überdies ist zu bedenken, daß in einigen Unternehmen noch das nationale ISDN (1TR6) verwendet wird, immer mehr Videokonferenz- Systeme aber ausnahmslos Euro-ISDN (DSS1) unterstützen.

9. Prinzipiell gilt: Nichts ist bei einer Videokonferenz schlimmer als eine miserable Tonqualität. Eine gute "Audio-Einheit" ist daher unabdingbar.

10. Parallel dazu sollte ein geeignetes Kompressionsverfahren implementiert werden, das genügend Bandbreite für die Bildübertragung zuläßt.

11. Alle zum Einsatz kommenden Systeme im Unternehmen sollten zum "Bildtelefonie-Standard" H.320 kompatibel sein.

*Ulrich Pesch ist freier Journalist in Hallbergmoos.