Hohe Preise und geringe Nachfrage lassen Carrier zögern

Dem ATM-Highway fehlen die Auffahrten

27.03.1998

Bisher verbreitet der junge Markt für ATM-Dienst-leistungen noch wenig Glanz. Lediglich die Deutsche Telekom bietet mit "T-Net-ATM" ein bundesweites Angebot, das Firmenangaben zufolge derzeit 42 Einwahlknoten und etwa 400 installierte Switches aufweist. Andere TK-Anbieter tun sich hingegen schwer und warten ab. Als Gründe nennen sie die fehlende eigene Infrastruktur, die hohen Preise für Mietleitungen sowie die geringe Nachfrage bei den Kunden.

Arcor beispielsweise umschreibt auf seiner Web-Site sein ATM-Engagement als einen Service, "der sich in der Planung und/oder in der Pilotphase befindet und in naher Zukunft" angeboten wird. Bei Otelo heißt es, daß man mit der eigenen Produktstrategie vor allem Privatkunden ansprechen will, während ATM sich an Großkunden wende. Die Viag Intercom bietet Migrationsmöglichkeiten von X.25 über Frame Relay auf ATM, aber es bestehe laut Reinhard Scheiler, zuständig für die Fachpresse in der Münchener Zentrale, kaum Nachfrage. Bis zum Jahr 2000 will der Carrier rund 4,6 Milliarden Mark in den Ausbau der eigenen Infrastruktur investieren, "ATM steht dabei nicht im Focus". Deutlicher gibt Wilfried Röttgers, Regional Manager Deutschland und Österreich bei Equant, die heutige Marktsituation wieder. Für ihn sei ATM seiner Zeit voraus. In den vergangenen zehn Monaten habe er immer wieder einmal Anfragen von Kunden gehabt, die glaubten, ihren Bandbreitenbedarf mit ATM decken zu müssen. "Wenn man jedoch einmal deren tatsächliche Bedürfnisse unter die Lupe nimmt, dann brauchen 99 Prozent noch gar kein ATM." Selbst bei High-speed-Frame-Relay mit 35 Mbit/s (E3) und 52 Mbit/s (HSSI) gebe es heute eine Auslastung von lediglich 20 bis 30 Prozent. Das ATM-Angebot der Telekom mit 34 Mbit/s und mehr, sei deshalb für andere Carrier und Corporate Networks überdimensioniert. Tatsächlich benötigen Unternehmen, so Röttgers, gegenwärtig Bandbreiten zwischen zwei und zehn Mbit/s. Da außerdem das Netz nicht 24 Stunden am Tag voll genutzt wird, lägen schätzungsweise 50 Prozent der Kapazitäten brach.

Ein weiteres Hindernis für den Markterfolg von ATM im WAN ist der fehlende direkte Zugang an ein Backbone außerhalb der Zentren. Dies führt dazu, daß Kunden den Anschluß über X.25 oder Frame Relay realisieren müßten. Jede Abweichung von der Homogenität bei den Netz-Anschlüssen kann jedoch Probleme verursachen. Will eine Bank beispielsweise in Echtzeit weltweit am Börsenmarkt agieren, dann würde der Datentransfer durch eine langsamere X.25-Zwischenstrecke auf unzumutbare Weise gedrosselt.

Auch die Mietpreise für die Strecken der Telekom sind für den Equant-Vertreter zu hoch. Das Unternehmen unterhält keine eigene Infrastruktur in Deutschland und müßte für einen bundesweiten ATM-Service ein teures, vermaschtes Netz mieten. Schon eine ATM-Auslandsverbindung zwischen Deutschland und Paris kostet etwa 200000 Mark an Grundmiete, mit Frame Relay wäre es eine fünfstellige Summe. Der Carrier hat sich unter diesen Umständen entschieden, vorerst keine nationalen ATM-Dienste einzuführen, sondern statt dessen das eigene internationale Backbone, das einen Knoten in Frankfurt am Main unterhält, für internationale Services anzubieten.

Anwender monieren zu hohe ATM-Kosten

Ähnlich ist die Situation beim Mitbewerber Worldcom, der zur Zeit sein paneuropäisches Netz ausbaut und ebenfalls deutsche Kunden über die Main-Metropole weltweit verbinden möchte. Noch in diesem Jahr sollen auf einer redundanten Synchroner-Digitalen-Hierarchie-(SDH-)Architektur ATM-Dienste mit bis zu 25 Mbit/s Bandbreite zur Verfügung stehen. Auch Analysten wie Wilfried Windeler, Manager Technik bei Andersen Consulting, monieren die hohe Kosten. Es sei daher kein Wunder, daß es 155-Mbit-Strecken bisher nur in privaten Netzen gebe, denn eine Mietleitung wäre "exorbitant teuer." Selbst für spezielle High-speed-Anwendungen sei ATM derzeit wirtschaftlich schwer zu rechtfertigen. Trotzdem erwartet der Analyst für die kommenden Jahre ein größeres Angebot an Leitungskapazitäten, was eine Senkung der Mietpreise verursachen könnte.

Gibt es bundesweit momentan nur das Angebot der Deutschen Telekom, sieht es in der Region schon besser aus. Dort haben City-Carrier in mehreren Ballungszentren SDH-Ringe aufgebaut, über die sie auch ATM oder Frame Relay anbieten. Ein Beispiel für die Integration von ATM-Strecken in ein Unternehmensnetz ist das Projekt zwischen der Stadtsparkasse Düsseldorf und dem Stadtnetzbetreiber ISIS Mulitmedia Net GmbH (siehe Grafik). Letzterer hatte bereits 1996 die Wartung der Netzinfrastruktur des Finanzhauses übernommen und die schmalbandigen, auf DDV-(Daten-Direktverbindung) basierenden Übertragungswege zwischen den Filialen auf das eigene Frame-Relay-Netz mit 2 Mbit/s umgestellt. Als die Hauptverwaltung des Geldinstituts aufgrund von Sanierungsarbeiten kurzfristig ausgelagert werden mußte, bekam ISIS die Auflage, die bestehenden Token-Ring-Subnetze der Hauptstelle und eines technischen Zentrums zum Ausweichquartier zu verlängern, ohne daß es zu Einschränkungen bei der Bandbreite oder der Funktionalität des Gesamtnetzes kommt. Projektleiter Thomas Donker und Stefan Vieten rieten dem Kunden daraufhin, die Anbindung über ATM zu realiseren, um auch für künftige Bandbreitenanforderungen gewappnet zu sein.

Die einzelnen Ringe in den drei Zentren sind nun an zentraler Stelle über ATM-Switches zusammengefaßt und haben über ATM-WAN-Switches eine Verbindung zum ISIS-Backbone. Um eine maximale Ausfallsicherheit des Netzes garantieren zu können, wurden außerdem redundante Dark-Fiber-Strecken mit unterschiedlichen Leitungswegen verlegt. Das Backbone bietet derzeit eine Übertragungsrate von 155 Mbit/s, während es zu Geschäftsstellen weiterhin via Frame Relay zwei Mbit/s sind. Der Datenverkehr wird sich in absehbarer Zeit erhöhen, da beispielsweise die unternehmensweite Einführung von Lotus Notes und die Einrichtung einer Server-Farm für die 80 Geschäftsstellen geplant sind. Die gesamte Konzeption dauerte etwa einen Monat, zu den Kosten und der Tarifierung wollte man sich beim Carrier nicht äußern. Bestandteil der Vereinbarungen mit der Sparkasse sind nach Aussage der Projektleiter die Garantie der Quality of Service, die Netzverwaltung über das Simple Network Management Protocol (SNMP) sowie der Einsatz von MPOA (Multiple Pro- tocol Over ATM). Letzeres beläßt dem Finanzhaus die Möglichkeit, die vorhandenen Kommunikationsprotokolle wie IP, Netbios, IPX und SNA auch künftig zu nutzen.

Wie im Beispiel des ISIS-Netzes, gestalten sich die Vereinbarungen zwischen Carrier und Kunde projektspezifisch. Die Bandbreite der Dienste reicht von Bereitstellung einer festen ATM-Verbindung ohne Signalisierung bis hin zum Komplettservice mit integriertem, standortübergreifenden ATM-Backbone, inklusive Wartung und System-Management. Sicherlich ist das Outsourcing wie im Fall der Sparkasse Düsseldorf die bequemste, aber unter Umständen auch die teuerste Lösung. Wie auch immer die Wahl aussehen mag, der Anwender wird nicht umhinkommen, die gegenwärtigen und künftigen Anforderungen seines Netzes genau zu formulieren.

Oft reicht Frame Relay oder ISDN

Vorab gilt es, die gegenwärtigen, aber auch künftigen Bandbreitenbedürfnisse zu kalkulieren. Dabei gehen Analysten und Hersteller davon aus, daß schon bald über Weitverkehrsnetze mehr Daten als Sprache transportiert werden. Treibende Kraft dahinter ist das Internet. Bisher jedoch reichen für kleinere Standorte WAN-Verbindungen über Modem, X.25 oder auch ISDN mit 64 Kbit/s. Bei größeren Standorten sind Frame Relay und ISDN die erste Wahl. Sie haben zudem den Vorteil, daß durch fest definierte Spezifikationen die spätere Migration zu ATM möglich ist. Auch Hochgeschwindigkeitsverbindungen für den reinen Datenverkehr lassen sich heute genauso gut mit Frame Relay aufbauen. Mit ADSL schließlich schickt sich eine weitere Konkurrenz an, den WAN-Markt zu betreten. Es ermöglicht die Nutzung bisheriger Kupferkabel und steigert die Datenübertragung auf sechs bis acht Mbit/s vom Carrier zum Kunden sowie auf 600 Kbit/s in der umgekehrten Richtung. ATM ist aber dennoch aufgrund seiner hohen, skalierbaren Bandbreite von zwei Mbit/s bis derzeit 622 Mbit/s, durch Dienste für die Sprach-, Video- und Datenintegration, VLAN-Funktionalität eine der wichtigsten, künftigen Übertragungsverfahren im WAN und im LAN-Backbone.

Ist die Entscheidung für die Nutzung von ATM-Diensten gefallen, muß als nächster Schritt ein "wasserdichter" Vertrag aufgesetzt werden. Zentraler Punkt ist dabei die exakte Festlegung von Diensteklassen und -qualitäten in Übereinstimmung mit den Spezifikationen des ATM-Forums (siehe Glossar). Es reicht nicht, lediglich bestimmte Bitraten zu bestellen. Ärgerlich für die Planung ist die mangelnde Kostentransparenz bei den Carriern. Selbst die Telekom veröffentlicht für T-Net ATM nur die Grund- und Anschlußgebühren. Es bleibt deshalb letztlich nicht anderes übrig, als die Einzelposten projektbezogen mit dem Anbieter auszuhandeln. Weitere Vertragspunkte sind die Zusicherung einer lückenlosen Netzüberwachung, Traffic-Management sowie Monitoring- Tools, die die getroffene Bandbreitenzusage überprüfbar machen. Der Kunde sollte sich schließlich auch gegen Systemstörungen absichern, indem er vertraglich den Anbieter je nach geforderter ATM-Dienstequalität für Fehler, Verzögerungen oder Verluste von Daten verantwortlich machen kann.