Degradiert DDP den DV-Leiter zum Gralshüter der Technik?

06.03.1981

Für Walter Stahlschmidt (Astra Chemicals GmbH) ist der Trend eindeutig: "Durch Distributed Processing (DDP) werden die derzeitigen Kompetenzen des DV-Leiters immer mehr eingeschränkt." Mit den neuen Kommunikations- und Informationstechniken kämen jedoch neue Verantwortungsbereiche hinzu, die diesen Kompetenzverlust mehr als wettmachen. Wer sich nicht schon heute mit den neuen DV-Betriebsformen befasse, verdeutlicht Stahlschmidt, werde in der Rangordnung der Unternehmenshierarchie einmal "als Gralshüter der Technik einen der unteren Plätze einnehmen". DV-Manager Dr. Bernd Oswald von der Wacker Chemie in München ist indessen überzeugt, daß die DDP-Konzeption generell eine starke Zentralfunktion erfordere, die die Planung, Steuerung und Kontrolle aller strategischen Maßnahmen durchführe. Die vordergründige Vermutung, daß die DDP-Realisierung zu Lasten der zentralen DV gehe, sei grundsätzlich falsch.

Wolfgang Balke

DV-Leiter, Berufsgenossenschaft der Straßen-, U-Bahnen und Eisenbahnen, Hamburg (Siemens 7.52l. BS2000)

Distributed Processing trägt weniger dazu bei, die Kompetenzen des DV-Leiters einzuschränken, als sie vielmehr zu erweitern. Diesen Standpunkt vertrete ich aufgrund folgender Überlegungen: Die heutigen Aufgaben des DV-Leiters liegen unter anderem in der Konzeption eines Gesamtsystems unter Zuhilfenahme der EDV. Die Verwirklichung kann man nur von einer zentralen Stelle aus realisieren, denn Planung, Organisation, Realisation und Kontrolle lassen sich nicht auf den Anwender einzelner Subsysteme übertragen. Die Folge wäre eine Vielzahl von Insellösungen. Diese mögen zwar in sich geschlossen sein und einigermaßen funktionieren, aber die Schnittstellen zu anderen Fachabteilungen wären nur unzureichend oder gar nicht vorhanden, weil der Gesamtüberblick fehlt.

Wir DV-Leute versuchen heute durch Einsatz von Datenbanken die Datenredundanz möglichst zu vermeiden. Die Datenbank-Planung kann jedoch nur von einer zentralen Stelle aus geschehen, die weiß, wo und wann welche Daten anfallen. Es sollte eine ablauforientierte Datenorganisation vorhanden sein und keine programmorientierte Datenorganisation. Ebenso ist eine zentrale Programmentwicklung für die Projektarbeit sinnvoller, als wenn dies verteilt geschieht. Auch bei der Programmpflege und Wartung sowie bei der Standardisierung, die ich aufgrund der hohen Personal- und Software-Kosten für eminent wichtig halte, sprechen diese Punkte eine klare Sprache. Man bedenke weiterhin die Pflege des Anwenderhandbuches oder die Programmdokumentation. Im Falle einer Revision muß hier der DV-Leiter Rede und Antwort stehen und nicht die Fachabteilung.

Zusätzlich müssen die DV-Kosten berücksichtigt werden: Die System-Software wird nur einmal benötigt ebenso wie die Anwender-Software. Zwar sind die Kosten für Wartung und Pflege der Hardware bei einem Großsystem günstiger als bei kleinen Systemen, aber der Vorteil der kleinen Systeme liegt darin, daß sie in ihrer Arbeitsweise autark sind. Das heißt, daß sie im Falle eines Ausfalles des Hauptrechners unabhängig weiterarbeiten können.

Das personelle Problem - hier drückt uns DV-Leuten derzeit am meisten der Schuh - kann im Falle einer zentralen DV gezielter und effektiver angegangen werden. Bei der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter kann aufgrund festgelegter Kriterien ein einheitlicher Weg beschnitten werden, der durch Hardware-Mix und verschiedene Betriebssysteme nur unnütz erschwert würde.

Ich meine, daß sowohl Wartungsverträge als auch sonstige vertragliche Dinge weiterhin über den Tisch des EDV-Leiters laufen müssen. In den Bereichen Verantwortung und Sicherheit wird es künftig verstärkt zu einem Zwiespalt zwischen EDV und Fachabteilung kommen. Jeder wird versuchen, dem anderen den Schwarzen Peter anzuhängen. Diese Problematik kann man nicht dem Personal der Fachabteilung überlassen. Das Werkzeug EDV soll in seiner Dienstleistungsfunktion nur von einer zentralen Stelle aus eingesetzt, verwaltet und verantwortet werden, auch wenn eine verteilte Verarbeitung erfolgt.

Wilhelm Hechel

Information Systems Manager EDP, Panavia Aircraft GmbH, München

(IBM 4331 , IBM /34, Rechnerverbund mit IBM 3033)

Werden durch "Distributed Dataprocessing" die Kompetenzen des DV-Leiters eingeschränkt ? Diese Frage ist nur unter Berücksichtigung der betrieblichen und organisatorischen Randbedingungen zu beantworten. Zunächst aber generell zum Thema "Distributed Dataprocessing". Ich bin überzeugt, daß die Dezentralisierung der Datenverarbeitung weiter fortschreitet.

Mit zunehmender Preiswürdigkeit und steigender Leistungsfähigkeit der Hard- und Softwarekomponenten eines DV-Systems nimmt auch die Neigung zu, die Anwendungsentwicklung und den Betrieb der Anwendungen in die Fachabteilungen zu überführen. Diese Entwicklungstendenz trägt zur Steigerung der Akzeptanz von Anwendungspaketen im jeweiligen Fachbereich bei. Ich glaube, daß dies für eine Reihe von Aufgaben die wirtschaftlichste Lösung ist.

Ich weiß aus eigener Erfahrung (nicht aus meiner derzeitigen Tätigkeit), daß es zu kritischen, wenn nicht gar zu chaotischen Verhältnissen kommen kann, wenn die Dezentralisierung ohne klare Planung und ohne ein akzeptables Informationsverarbeitungskonzept abläuft. Neben diesen Festlegungen ist seitens der DV-Abteilung sehr darauf zu achten, daß ihr Einfluß und ihre Akzeptanz - und damit auch Einfluß und Akzeptanz des DV-Managements - im Fachbereich nicht durch eine Entfremdung vom fachlichen Tagesgeschäft sinkt oder ganz verlorengeht.

Diese Gefahr kann wohl auch nicht ohne Änderung in der Struktur im DV-Bereich gebannt werden. Eine der wesentlichen Änderungen in diesem Zusammenhang ist sicherlich der Aufbau einer entsprechend qualifizierten Stelle, die mit "Organisationsentwicklung" zu beschreiben wäre. Ich meine jedoch, daß im Zuge der Dezentralisierung die Aufgaben für den EDV-Bereich immer anspruchsvoller werden und die DV-Verantwortlichen neuen Herausforderungen entgegengehen.

Dies resultiert aus folgenden Schwerpunkten:

- Überführung der EDV vom reinen Servicebetrieb zum Information-Management eines Unternehmens.

- Erarbeitung, Abstimmung und Verfolgung eines Informationsverarbeitungs-Konzeptes inklusive der Definition der einzusetzenden Mittel (Schlagwort: "Was soll wie gemacht werden, - zentral/ dezentral/sinnvolle Synthese beider Arbeitsvarianten -").

- Aufbau, Durchsetzung und Schulung eines Systementwicklungskonzeptes, mit dem Ziel, die Informationsverarbeitung transparent zu machen. Durch Nutzung entsprechender Tools wie Informationsvernetzungspläne, Datenkataloge etc. und mit Aufnahme aller Systeme und Daten des Unternehmens, läßt sich die Entwicklung "im Griff behalten".

- Aufbau einer kurz-, mittel- und langfristigen Organisationsplanung.

- Mitwirkung, teilweise auch Federführung, bei der Durchführung von Anwendungsprojekten.

- Insbesondere aber Wahrnehmung der Integrations- und Koordinationsfunktion bei der Gestaltung von Informationsflüssen als ehrlicher, neutraler Partner der Fachbereiche.

-Ich glaube, daß bei der Aufzählung der obigen Aufgabenschwerpunkte nicht der Eindruck entstehen kann, daß durch eine verteilte Intelligenz oder wie man "Distributed Processing" auch immer nennen mag, die Stellung der EDV geschwächt sein wird. Sicherlich ist dies auch von der Stärke und Integrationsfähigkeit des DV-Managers abhängig. Reichen dessen Fähigkeiten nicht aus, um die Informationsabläufe und die eingesetzten EDV-Systeme zu stabilisieren und zu integrieren, kann die Informationsverarbeitung eines Unternehmens in die Katastrophe geführt werden.

Unterstellt man, daß die Informationsgewinnung, -verarbeitung und -verteilung heute weitgehend als zusätzlicher betrieblicher Produktionsfaktor betrachtet wird, dann ist verständlich, daß von seiten der Unternehmen die Beherrschung und Kontrolle der Informationsverarbeitung sowie der Informationsabläufe sehr hoch bewertet wird. Daß damit auch die Bewertung der Funktion des Information-Managers oder EDV-Leiters und seiner Mannschaft mit zunehmender Bedeutung eines Informationsverarbeitungs-Konzeptes Hand in Hand geht, ist für mich außer Zweifel.

Walter Stahlschmidt

DV-Leiter, Astra Chemicals GmbH, Wedel/Holstein (2 X IBM /34)

Der Trend ist eindeutig: Durch Distributed Processing werden die Kompetenzen des DV-Leiters immer mehr eingeschränkt. Die Dezentralisierung der DV-Funktionen trägt dazu bei, daß sich die Verantwortungsbereiche kontinuierlich verändern. Allerdings werden durch diese Entwicklung nur Teile der DV-Verantwortung in die Fachabteilungen verlagert.

Für den DV-Leiter, der sich noch immer als Vorturner oder

erster Programmierer seiner Abteilung versteht, wird schon heute

eine Kompetenzeinschränkung sichtbar. Um seinen "Erbhof" zu behalten, muß hier manch ein Kollege bereits mit aller Macht gegen die Strömung schwimmen. Indessen fassen DV-Leiter, die sich mehr als Manager (im dynamischen Sinne des Wortes) verstehen, diese Tendenzen als eine angenehme Möglichkeit auf, weg vom Tagesgeschäft und hin zu strategischer Planung, Koordination und Kontrolle zu kommen.

In diesem Zusammenhang muß die Tatsache einbezogen werden, daß sich das Berufsbild der Datenverarbeiter in den achtziger Jahren sowieso stark wandeln wird. So wie mit der Dezentralisierung der DV-Verarbeitung Bereiche abgegeben werden, kommen mit den neuen Kommunikations- und Informationssystemen Kompetenzen hinzu, die letztendlich für den DV-Leiter mehr Macht bergen, als heute durch Dezentralisierung verlorengeht.

Den derzeitigen DV-Verantwortlichen kann man nur empfehlen, sich mit den neuen Medien vorzeitig zu beschäftigen, um von Anfang an lenkend und planend die Fäden in die Hand zu nehmen, damit der Zug nicht schon abgefahren ist, bevor sie überhaupt den Bahnhof erreichen. Die Hände jetzt in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis die Situation eine schnelle Reaktion und Entscheidung erfordert, kann für die Karriere eines DV-Leiters geradezu verhängnisvoll sein. Er würde in der Rangordnung der Unternehmenshierarchie als Gralshüter der Technik einen der unteren Plätze einnehmen.

Es gilt nicht mehr, angestammte Arbeitsgebiete zu verteidigen, sondern zukunftsorientiert die Informationsströme im Unternehmen zu kanalisieren. Neue Kommunikationstechniken müssen von den DV-Verantwortlichen beherrscht und optimal eingesetzt werden. Dadurch wird sich das Bild des DV-Mannes vom reinen Spezialisten zum Berater der Fachabteilungen wandeln, der übergreifende Probleme zu erkennen und zu lösen hat.

Dr. Bernd Oswald

Leiter der Abteilung Allgemeine Datenverarbeitung, Wacker-Chemie GmbH, München (IBM 370/148, IBM 3031, IBM 3033N - DOS/VS, VM)

Der Anwendungstrend innerhalb der DV der 80er Jahre ist gekennzeichnet durch die Organisationsform "Distributed Data Processing". Obwohl es bis heute noch keine allgemeingültige Definition dafür gibt, wird DDP in unserem Konzern wie folgt gesehen:

In jedem Unternehmen stellt heute die Organisation eine Synthese zwischen der Verteilung von zentralen und dezentralen Funktionen dar. Diese Tatsache als Forderung erhoben, muß auch an die Organisation der Datenverarbeitung als integraler Bestandteil des Unternehmens gerichtet werden. Die Forderung selbst ist nicht neu, nur war sie, wie auch die Entwicklungsgeschichte der DV zeigt, bisher nicht erfüllbar. DDP stellt somit die Synthese zwischen der zentralen und dezentralen DV dar, bei der sich die Vorteile beider Organisationsformen ergänzen und ihre Nachteile vermieden werden.

Unter DDP verstehen wir einen Komplex von DV-Knoten, die durch Übertragungsleitungen untereinander verbunden sind, so daß die Delegation von DV-Funktionen durch die zentrale Unternehmensführung durchgeführt werden kann. DDP ist die zentral kontrollierte Verteilung von Daten und Funktionen an Lokationen, an denen sie notwendig sind. DDP ist nicht: dezentralisierte Datenverarbeitung.

Auch innerhalb der Unternehmensorganisation selbst bleiben bei noch so weitgehender Funktionsverteilung immer bestimmte Funktionalbereiche unter zentraler Verantwortung, da alle Diapositiven, informativen und steuernden Funktionen ein organisatorisches Zentrum erfordern (Absatzplanung, Produktionsplanung, Forschung und Entwicklung, Finanzplanung, Personalplanung, Controlling etc.). Dies bedeutet, daß die eigentlichen, strategischen Ziele eines Unternehmens nur durch eine zentrale Planung, Steuerung und Kontrolle aller damit verbundenen Maßnahmen erreicht werden.

Auf DDP-Systeme übertragen, bedeutet dies: Die DDP-Konzeption benötigt eine starke Zentralfunktion, die die zentrale Planung, Steuerung und Kontrolle aller strategischen Maßnahmen des Informationssystems durchführt und gegenüber der Unternehmensleitung die Gesamtverantwortung trägt.

Zukünftige Applikationen beziehungsweise das Informationssystem der Unternehmung nach der DDP-Konzeption zu organisieren, ist begründet durch das sich ständig verbessernde Preis-/Leistungsverhältnis auf der einen Seite und das reale Bedürfnis der Anpassung der Struktur des Informations-Systems an die Struktur der Unternehmung. Nur dadurch wird es möglich, die Bedürfnisse der einzelnen Fachbereiche besser, schneller und wirtschaftlicher zu erfüllen. Durch die Verteilung von Funktionen wird die Komplexität des Gesamtsystems reduziert, die Verfügbarkeit erhöht und das Gesamtsystem weniger störanfällig. Die Verteilung der DV auf die Endbenutzer bedeutet eine qualitative Weiterentwicklung der DV zur Informationsverarbeitung, das heißt die Bereiche EDV, Textverarbeitung und Kommunikationsverarbeitung wachsen zusammen.

Die Realisierung des DDP-Konzeptes führt zu einer tiefgreifenden Änderung des Aufgabenverständnisses eines jeden DV-Leiters: der Entwicklung des DV-Leiters zum Informations-Manager. Wie bereits dargelegt, ist die Durchführung dieser Aufgabe nur möglich, wenn diese zentrale Instanz des Informations-Managers auch die entsprechenden Kompetenzen erhält. Das Aufgabengebiet umfaßt somit über die Aufgaben der traditionellen DV hinaus die Planung, Steuerung und Kontrolle aller mit der Verarbeitung, Zusammenführung und Verteilung von Informationen beauftragten Stellen. Dazu zählen Aufgaben wie:

- mittel- und langfristige Planung des Informationssystems in Abhängigkeit vom Unternehmensziel

Selektion und Entscheidung über die geeignete Hard- und Software

- Konzeption, Design und Kontrolle des Netzwerkes zur Kommunikation

- Standardisierung der Verfahren und Prozeduren zum Kommunikationsaustausch

- Aufbau und Kontrolle der Datenbanken und Zugriffsberechtigungen

-Entwicklung, Definition und Kontrolle der Einhaltung von Standards, Verfahrenstechniken, Netzwerkschnittstellen etc.

-Entwicklung und Pflege von bereichsübergreifenden Anwendungssystemen

- Kontrolle aller im Systemverbund eingesetzten Anwendungssysteme

- zentrale Kontrolle und Freigabe der benötigten Betriebssysteme

- Unterstützung und Koordination der Benutzer bei der Entwicklung von Anwendungssystemen.

Die vordergründige Vermutung, daß die Realisierung des DDP-Konzeptes zu Lasten der zentralen Seite geschieht, ist falsch. Im Gegenteil: Die Realisierung der "interaktiven Informationsverarbeitung im Netzverbund" stellt eine Herausforderung an jeden heutigen DV-Leiter dar.

Selbstverständlich gibt der heutige DV-Leiter bestimmte Kompetenzen im operativen Geschehen dabei auf. Er übernimmt aber andere Kompetenzen, die ihm eine ungleich größere Verantwortung für das gesamte Informationsgeschehen auferlegen.