Digital Equipment demonstriert Aufbruchstimmung mit neuer Arbeitsplatzrechner-Philosophie:

DEC zwängt VAX, RISC, PC in Desktop-Konzept

20.01.1989

LITTLETON - Die Initiative im Bereich des Desktop Computing hat Digital Equipment jetzt mit der jüngsten Ankündigungswelle an sich gerissen. Dabei geht der Vorstoß in zwei Richtungen: Zum einen setzt das Unternehmen neue Maßstäbe für Preis und Leistung bei Workstations, zum anderen integriert es die Personal Computer in die DEC-Welt.

Die Spannweite der neuen Produkte reicht von dem in der Vergangenheit als "Personal VAX" oder "PVAX" apostrophierten neuen Tischrechner für DECs Proprietary-Betriebssystem VMS über eine Unix-Workstation auf RISC-Basis bis hin zu einer Familie speziell für die Einbindung modifizierter PCs in DEC-Netzwerke. Dazu kommt eine umfangreiche Palette an Software für die Integration dieser drei Welten (siehe auch CW 3/88, Seite 4).

Die von der Branche mit viel Spannung erwartete "Personal VAX" mit der jetzt offiziellen Typenbezeichnung VAXstation 3100 entpuppte sich als ein eindeutig reinrassiges VMS-Produkt. Die erwartete Brücke zur PC-Welt besteht nicht etwa in einer hardwareseitig realisierten Kompatibilität, sondern in einer Software namens VAXpc, die einen AT emuliert und so nach vorausgegangener Konvertierung Daten und Software aus dieser Welt auch dem VMS-User zugänglich macht. Die Maschine leistet zirka 3 VAX-MIPS und tritt neben das weiter lieferbare Einstiegsmodell VAXstation 2000. In zwei Varianten als Modell 30 und Modell 40 erhältlich, läßt sich die Workstation mit bis zu 32 Megabyte Arbeitsspeicher und diversen Massenspeicher-Einheiten konfigurieren. Dazu gehören beispielsweise eine neuentwickelte 104-MB-Festplatte mit halber Bauhöhe oder ein ebenfalls neuentwickeltes CD-ROM-Laufwerk.

Dieser Laserdrive ermöglicht den Einsatz der Systemsoftware "Desktop VMS", einer vorkonfigurierten Sammlung von VMS-Betriebssystemdiensten, die die Installation des Betriebssystems erleichtern soll. Der Einstiegspreis für die ab April lieferbare Workstation liegt unter 20 000 Mark.

Eine weitere Neuheit stellt die für Unix und offene Netzwerkumgebungen konzipierte Workstation "DEC-station 3100" dar. DEC beschreitet mit der Maschine in mehrfacher Hinsicht Neuland: Unter Bruch mit der bisher gültigen Unternehmensphilosophie der einheitlichen, vom Low-End- bis zum Quasi-Mainframe durchgängigen VAX-Architektur, hat der Branchen-Zweite zum erstenmal eine RISC-Maschine auf den Markt gebracht.

Die neue Familie läuft nur unter Ultrix

Die DECstation-Familie läuft ausschließlich unter Ultrix, DECs Version des Betriebssystem-Standards Unix. Den Erfordernissen dieses für das Unternehmen neuen Zielmarktes - Multivendor-Netzwerkumgebungen, vorzugsweise bei Großkunden - trägt der Hersteller unter anderem durch die Aufnahme von De-Facto-Standards wie TCP/IP und NFS in die Systemsoftware Rechnung.

Der Rechner ist um den RISC-Prozessor R2000 des Herstellers MIPS Computer Systems herum aufgebaut. Mit der 14-MIPS-Maschine beansprucht Digital Equipment den Ruhm für die zur Zeit leistungsfähigste Desktop-Workstation am Markt. Dennoch ist sie mit einem Einstiegspreis von 12 000 US-Dollar für eine Konfiguration mit 8 MB Arbeitsspeicher, 15-Zoll-Monochrom-Monitor (1024 mal 864 Pixel Auflösung), SCSI- und Ethernet-Anschluß und Systemsoftware der unteren Preiskategorie in diesem Markt zuzuordnen.

In der Bundesrepublik wird der Preis mit knapp 30 000 Mark zwar nicht so spektakulär niedrig ausfallen wie in den USA, aber ein neuer Preiskrieg im Workstation-Markt dürfte damit bereits programmiert sein. DEC will mit seiner RISC-Maschine schließlich gegen weit teurere Modelle, etwa Sun Microelectronics' RISC-Flaggschiff Sun 4/260, antreten.

Den erneuten Versuch eines Einstieges in die PC-Welt riskiert der Mini-Marktführer mit der Vorstellung einer Familie von AT-kompatiblen 16- und 32-Bit-Maschinen. Diese werden vom amerikanischen PC-Hersteller Tandy nach DEC-Spezifikationen gefertigt und enthalten neben den in dieser Klasse üblichen. Ausstattungsdetails auch Besonderheiten wie Ethernet-Adapter und SCSI-Schnittstellen. Vorläufig vertreibt DEC seine neuen PCs allerdings nur in den USA und in Kanada. Für die europäischen Versionen müsse erst noch ein Produzent gesucht werden, erklärte ein Sprecher des Unternehmens.

Die Brücke, die diese drei unterschiedlichen Welten - VMS, Unix/Ultrix und MS-DOS - miteinander verbindet, ist das Softwareprodukt DECwindows. Diese grafische Anwendungsplattform besteht aus der mittlerweile von der Open Software Foundation (OSF) übernommenen Benutzerschnittstelle XUI, dem Netzwerkprotokoll und der X-Server-Software.

DECwindows erlaubt die gemeinsame Nutzung von Daten, Anwendungen und Rechenleistung in miteinander vernetzten VMS- und Ultrix-Umgebungen. Die dazugehörige PC-Version ist zur Zeit noch nicht völlig fertiggestellt, dürfte aber in den nächsten Monaten auf den Markt kommen.

DECwindows, das in der neuen Ultrix-Version sowie in der mit den neuen Vaxstations ausgelieferten VMS-Version Desktop VMS enthalten ist, stellt außer einer konsistenten grafischen Benutzerführung eine Reihe von Diensten zur Verfügung. Dazu zählen Electronic Mail, Uhr, Kalender, ein Zeichenprogramm und eine Notizblock-Funktion sowie ein Terminal-Emulator und eine Postscript-Preview-Software.

Diese Anwendungsumgebung, für die bereits eine große Anzahl von Softwareherstellern (allein rund 50 in der BRD und 15 in der Schweiz) ihre Unterstützung zugesagt haben, wird ergänzt durch eine - zur Zeit noch nicht völlig fertiggestellte - PC-Emulation für VMS-Maschinen. Das Programm VAXpc emuliert einen AT mit Herculesgrafik, einer dynamisch konfigurierbaren Festplatte und einem Diskettenlaufwerk. Die genannten Softwarebausteine erlauben dem User in einer heterogenen Umgebung aus VMS-, Unix- und MS DOS-Maschinen den transparenten Zugriff auf Daten, Ressourcen und Anwendungen aller drei Welten.

Erste Reaktionen aus der Branche liegen bereits vor. So kündigte beispielsweise Sun Microsystems, dessen derzeitiges RISC-Topmodell 4/260 von DEC bei der Präsentation in einem Vergleich mit der DECstation 3100 deutlich abgefallen war, für die nächsten Monate eine neue Maschine an. Wie Helmut Krings, der Geschäftsführer der deutschen Sun GmbH, mitteilte, soll sie bei einer Leistung von 12 bis 15 MIPS zu einem Preis von zirka 10 000 Dollar zu haben sein. Krings: "Der Preiskrieg wird schon kommen, aber davor haben wir keine Angst. "Hewlett Packard hatte bereits in der vorangegangenen Woche Preissenkungen in Höhe von 35 Prozent für seine HP 340-Workstations bekanntgegeben.