Klein- und Mittelbetriebe reflektieren nur auf Standardlösungen

DEC: Zu hoher EDV-Level überfordert den Erstanwender

21.04.1978

MÜNCHEN (de) - Eine Hochrechnung macht die ganze Branche verrückt: Bis 1985 soll Sich die Zahl der installierten Bürocomputer von derzeit zirka 66 000 auf rund 240 000 erhöhen, prognostizierte die Diebold Deutschland GmbH zur Systems '77. Um das Fell des (noch nicht erlegten) Erstanwenders streiten sich mittlerweile gut drei Dutzend Computer-Hersteller. Das Mitgliederverzeichnis des "Jagdclubs" reicht von Burroughs bis Sperry Univac. Mit von der Partie sind die Minicomputer-Produzenten, allen voran Marktführer Digital Equipment. Über DECs Rolle im Geschäft der Mittleren Datentechnik sprach Walter Lönneker, freier EDV-Fachjournalist, mit Digital-Mann Helmut Peröbner.

Helmut Peröbner, Marketing-Manager für kommerzielle Minis bei Digital Equipment, setzt verstärkt auf den Erstanwender-Markt: "Wir glauben, daß der Erstanwender-Markt einen ganz wesentlichen Teil unserer Vertriebsaktivitäten beanspruchen wird." Gleichwohl bevorzugt Peröbner eine ausgewogene Vertriebsstrategie: "Es gibt keine ausschließliche Zielgruppe, auch nicht im Hinblick auf das neue DECdata-Einzelplatzsystem D-308." Erläutert der DEC-Manager: "Wir arbeiten mit Einsatzsystemen ebenso in Kleinbetrieben wie in Großunternehmen." In Kleinbetrieben würden diese als Zentralrechner für die kommerziellen Grundaufgaben Finanzbuchhaltung, Fakturierung, Lohn und Gehalt und Lagerführung eingesetzt, in Großbetrieben vor allem dezentral - in den Fachabteilungen.

Der Boom kommerzieller Minis scheint ungebrochen. Acht von zehn Computer-Neuankündigungen gehen heute auf das Konto der Mini-Newcomer, wobei kleinere Minisysteme sowie in den Mainframe-Bereich vorstoßende "Superminis" sich offensichtlich besonderer Anwendergunst erfreuen. Dennoch: Nahezu perfekter Hardware steht ein lückenhaftes (Anwendungs-) Software-Angebot gegenüber. Überdies fehlen den meisten Minicomputer-Herstellern Vertriebsleute, die sich im kommerziellen Markt auskennen. Deshalb forciert Digital Equipment, Nummer eins auf dem Minicomputer-Weltmarkt, den Vertrieb der kommerziellen Systeme über OEM's (Original Equipment Manufacturers).

"Installieren könnten wir sicherlich einige tausend Systeme D-308", so Peröbner, "das Problem scheint uns vielmehr zu sein, die richtigen Glieder zwischen DEC und dem Anwender zu finden." Solche Zwischenglieder könnten Bürofachhändler sein, aber auch Service-Rechnerzentren oder Softwarehäuser. Zwar verfüge DEC bereits über eine ganze Reihe guter Wiederverkäufer, dennoch gäbe es noch "weiße Flecken" auf der Landkarte: "Wir müssen natürlich gewisse Mindestanforderungen an unsere OEM's stellen, da bei einem Mißerfolg nicht der OEM, sondern Digital Equipment den ,Schwarzen Peter' bekommt." Zudem schade ein schlechter OEM auch allen anderen.

DEC-OEM's verfügen in der Regel über die gesamte Produktionspalette - vom Einplatz-Terminal bis zum Multi-Terminal-System -, obwohl von der zentralen Vertriebsleitung gewisse Empfehlungen gegeben werden. So könne sich das Produktionsangebot eines OEM je nach dessen Größe und den Marktsegmenten, die er bearbeitet, auf bestimmte Rechnertypen beschränken. Peröbner: "Wir könnten uns vorstellen, in den nächsten Monaten OEM's aufzubauen, die für das DECdatasystem-308 schlüsselfertige Anwendungssoftware erstellen und die Systeme dann - ohne Modifikationen - beim Anwender installieren."

Mit Hilfe dieser "Turnkey Systems" soll in erster Linie der Markt der über l00 000 Erstanwender erschlossen werden. Dennoch sieht Peröbner zusätzliche Anwendungsgebiete: "Durch die Ausbaumöglichkeit zu einem Online-System kann das DECdatasystem-308 auch als Remote-Batch-Terminal eingesetzt werden." Zudem sei der Mini durch die Programmiersprachen Fortran und Basic auch im technisch-wissenschaftlichen Grenzbereich, so in Entwicklungabteilungen von Großbetrieben oder in Klein- und Mittelbetrieben mit eigener Produktion, ein brauchbares DV-Hilfsmittel. In der zweiten Hälfte dieses Jahres will DEC darüber hinaus mit der Textverarbeitung auf diesem System beginnen, so daß es später durchaus als Einplatz Einzwecksystem für Textverarbeitung in der Fachabteilung eines Großunternehmens arbeiten kann.

Besondere Aufmerksamkeit müsse, so Peröbner, dem Problem der Software-Entwicklung gewidmet werden. Viele DEC-Wiederverkäufer hätten zwar bereits Anwendungssoftware-Pakete entwickelt und diese auch mit Erfolg implementiert, einen organisierten Software-Pool gebe es freilich bisher nicht.

Dies liegt nach den Worten von Peröbner vor allem daran, daß die meisten DEC-OEM's "vertikal" arbeiten: Sie sind auf ein bestimmtes Marktsegment spezialisiert - beispielsweise auf eine Branche wie Verlage und Druckereien - und bearbeiten darin den gesamten bundesdeutschen Markt. Solche "vertikalen OEM's" hätten kaum Bedarf an Standard-Paketen für Lohn und Gehalt, Finanzbuchhaltung oder Lagerführung.

Je nach Anwenderbetrieb und installiertem Computersystem ergäben sich unterschiedliche Anforderungen an die Software. Hinsichtlich Standardsoftware können vier verschiedene Anwenderebenen unterschieden werden. Differenziert Peröbner: "Auf der untersten Ebene befindet sich der Erstanwender; auf diesem Anwenderlevel bestehen keine EDV-Kenntnisse, es ist kein EDV-Personal vorhanden, und es besteht in der Regel auch kein Interesse, EDV-Know-how zu erwerben."

Auf der Ebene der EDV-Erstanwender könne außerhalb von Standard-Applikationen kaum etwas installiert werden. Es sei dies der ideale Markt für Turnkey-Systeme, die alle relevanten kaufmännischen Aufgaben abdecken. Auf der zweiten Ebene befänden sich Klein- und Mittelbetriebe, die bereits erste Erfahrungen mit der EDV gesammelt haben, beispielsweise durch externe Datenverarbeitung oder durch eine Magnetkonten-Anlage.

Betriebe dieses Anwenderlevels hätten ebenfalls Bedarf an Standardprogrammen, gleichzeitig entstehe aber ein Bedarf an individuellen Problemlösungen. Peröbner: "Anwender dieses Genres sind in der Regel nicht bereit, selber zu programmieren, sondern suchen die Zusammenarbeit mit einem Software- oder Systemhaus für die Individualprogrammierung." Auf der dritten Anwenderebene - Betriebe ab etwa 100 Millionen Mark Jahresumsatz - seien primär Spezialaufgaben zu lösen.

Diese Unternehmen lagerten nicht selten ihre Standardaufgaben (Lohn und Gehalt, Finanzbuchhaltung, Statistiken) in ein Rechenzentrum aus:

"Branchen- und betriebsindividuelle Aufgaben werden in der Regel im Haus programmiert."

"Wir verstehen uns als 'Steigbügelhalter' für Anwender, die auf ein Dialogsystem

umsteigen wollen", beschreibt Peröbner die wichtigste DEC-Zielgruppe. Und obwohl DEC-Minis eigentlich in Konkurrenz zu Batchsystemen stünden, begrüße er diesen Wettbewerb:

"Langfristig scheint es notwendig zu sein, noch mehr Mainframes zu haben als heute."

Das sei so ähnlich, als würde man fragen: "Braucht man überhaupt noch einen Vorstand, wenn man genügend Verkäufer, Disponenten oder Buchhalter hat?" Die Antwort darauf laute selbstverständlich "Ja". Peröbner abschließend: "Man braucht einfach eine zentrale Führung; allein deshalb, weil das von der Peripherie kommende Datenvolumen im Rahmen von Distributed Processing-Konzepten noch erheblich zunehmen wird."