HPs Betriebssystem-Mix als Schwachpunkt analysiert:

DEC konzentriert Wettbewerb auf HP

20.05.1988

PARIS (IDG) - Um dem wachsenden Konkurrenzdruck seitens Hewlett-Packard zu begegnen, hat die Digital Equipment Corp. europaweit ein Programm ins Leben gerufen, mit dem sie an den Gegner verlorene Märkte zurückerobern will.

In einem geheimen internen Papier unter dem Titel "Von HP gewinnen" beschreibt DEC dieses Programm. Die treibende Kraft dahinter ist DECs Marktbeobachtungsgruppe ECAT (European Competitive Analysis Team) im französischen Evry. Diese Gruppe versorgt alle gebietsspezifischen Marketingabteilungen im Hause Digital mit Analysen und Informationen über die Konkurrenten Hewlett-Packard, Bull und NEC. In dem erwähnten Dokument beschreibt die ECAT die Stärken und Schwächen HPs aus DECs Sicht - und wie DEC daraus einen Gewinn ziehen kann.

Dem Bericht zufolge ist HP derzeit mit seiner Position in der Industrie unzufrieden. Das Unternehmen verliere sowohl Aufträge als auch Mitarbeiter, seine Reputation lasse nach und der Umsatz stagniere, wollen die ECAT-Analysten herausgefunden haben. Allerdings glaube man bei HP auch, das Schlimmste bereits überstanden zu haben und arbeite derzeit daran, ein Comeback in die Wege zu leiten. HPs momentane Situation sei mit jener von DEC vor der Einführung der ersten VAX zu vergleichen.

Die Strategie zu einer Erholung umfaßt im wesentlichen vier Punkte: So will HP künftig mehr Gewicht auf das Peripheriegeschäft legen, die indirekten Verkaufskanäle (Händler und VARs) beleben, das kommerzielle Geschäft auf Unix trimmen und das Preis/Leistungs-Verhältnis aggressiver betonen. Der kalifornische Hersteller geht davon aus, daß es am Markt - vor allem in Europa - eine starke Tendenz zu Unix gebe. Konsequenterweise konzentriert er denn auch seine Verkaufsanstrengungen auf Unix-Produkte.

Die ersten Erfolge habe die neue Strategie im April gezeitigt, als HP neun neue Systeme mit - laut ECAT - sehr gutem Preis/Leistungs-Verhältnis auf den Markt gebracht hat. Diese Produkte seien unmittelbar gegen vergleichbare DEC-Maschinen positioniert. HP sei der Überzeugung, die RISC-Technologie werde DECs konventionelle CISC-Rechner ablösen. Auch im Echtzeitsektor und im Bereich technisch-wissenschaftlicher Datenverarbeitung sieht DEC sich einem starken Wettbewerber gegenüber.

Lediglich in zwei Bereichen des kommerziellen Marktes zeige der DEC-Rivale Schwächen: Beim Auslaufen des Modells HP 250 habe es Hewlett-Packard versäumt, einen einfachen Wachstumspfad für seine Anwender zu schaffen. Auch für Besitzer der HP 3000 gestalte sich die Migration schwierig. Aus diesem Grund stagniere die User-Basis seit einiger Zeit. Mittlerweile sind entsprechende Tools verfügbar, aber sie eignen sich nicht für jede in Frage kommende Problemstellung. DECs Marktbeobachtungs-Team hat mittels einer telefonischen Befragungsaktion bei 475 HP3000-Kunden in Frankreich herausgefunden, daß mehr als die Hälfte der angesprochenen Anwender an die Leistungsgrenzen ihres Systems stößt. Eine ähnliche Umfrage in Großbritannien hat sogar einen Wert von 59 Prozent der Anwender ergeben. Viele der Befragten sahen den Engpaß in der Entwicklung neuer Applikationen.

Hier solle nun DEC die Chance ergreifen und den HP-Usern eine Wachstumsmöglichkeit bieten, meint die Analystengruppe. Es existierten

zwar nach wie vor signifikante Unterschiede in der Selbsteinschätzung und in den Marketingstrategien der beiden Unternehmen. HP verkaufe sich über das Preis/Leistungs-Verhältnis und baue sich mit der Modellreihe Spectrum ein Image als zukunftsorientierter Problemlöser für mittlere Betriebe auf. DEC hingegen setze auf langfristige Partnerschaft und versorge seine Klientel mit ganzheitlichen DV-Konzepten auf Basis einer einzigen kompatiblen Produktfamilie.

In dem ECAT-Papier erkennt DEC die Hewlett-Packard Corp. als einen "wesentlichen Mitbewerber" an und bringt auch Respekt vor HPs technischer Stärke zum Ausdruck. Der Mangel an Kompatibilität zwischen den einzelnen Produktfamilien und der Betriebssystem-Mix aus RTE, MPE und Unix mache das Unternehmen jedoch verwundbar.

Die strategischen Probleme, denen HP sich nach Ansicht der ECAT gegenübersieht, sind Unsicherheit in der Unternehmenszielsetzung sowie enge technische Limitierungen in den Bereichen Vernetzung, Clustering und Multiprozessortechnik. Hinzu komme ein Mangel an Datenbank-Management-Tools und daß die RISC-Technologie in einer kommerziellen Umgebung noch unerprobt sei.