DEC hat doch ueberhaupt keine Betriebssystem-Strategie

17.06.1994

CW: Welche Bedeutung messen Sie dem Erwerb von Novells System V, Release 4, durch Sunsoft zu?

Zander: Novell und Sun haben in den vergangenen fuenf Jahren sehr unterschiedliche Strategien entwickelt. Novell scheint bei Unix erheblich weniger Engagement zu zeigen - dies gilt vor allem, seit Novell sich USL einverleibt hat. Unser Interesse war es deshalb, volle Kontrolle ueber den Sourcecode von Solaris-Unix, dessen Entwicklung sowie die in Verbindung mit seiner Vermarktung stehenden geschaeftlichen Verbindungen mit anderen Unternehmen zu gewinnen. Auf Unix basiert im wesentlichen die Zukunft von Sun Microsystems, deshalb wollten wir die volle Kontrolle ueber diese Technologie erlangen.

CW: Sie sehen Novell also nicht unbedingt als Konkurrenten auf dem Unix-Feld? Wer sind denn Ihre ernstzunehmenden Wettbewerber?

Zander: Ich sehe Novell bezueglich Unix in der Tat nicht als Konkurrenz an. Novells Strategie ist auf Netware ausgerichtet. Da streiten wir um Maerkte. Novell versucht naemlich, Netware nicht nur als Netz-Betriebssystem, sondern auch als Applikations-Server zu vermarkten. Aber mit diesem Vorhaben werden sie Probleme bekommen. Netware ist doch - zumindest meiner Meinung nach - nicht mit der Intention entworfen worden, ein Aequivalent zu Solaris oder HP-UX oder AIX zu sein. Nein, ich glaube nicht, dass Novell sein Herz an Unix haengt. Ich glaube noch nicht einmal, dass Novell ueberhaupt versteht, was die Essenz von Unix ist. Netware und dessen Multiprozessor-Unterstuetzung - das ist deren Strategie. Und damit werden Solaris und Solarnet konkurrieren.

CW: Und die anderen Wettbewerber?

Zander: Da waere etwa NT zu nennen. Aber ich hatte eigentlich erwartet, dass Microsoft mit NT wesentlich mehr Bedeutung haben und ein erheblich staerkerer Konkurrent sein wuerde. Schlecht ist allerdings, dass Microsoft bestimmt mit erheblich mehr Wucht wieder antreten wird. Die geben so schnell nicht auf. Andererseits haben wir gute Technologie zu bieten - man wird also sehen. Ich will es mal so ausdruecken: In der Bundesliga der Softwarebranche spielen heute noch rund fuenf Unternehmen mit: natuerlich Microsoft, das die Kontrolle ueber die eigene Technologie besitzt; Novell hat den Daumen auf Netware, IBM das Sagen bei OS/2, Apple bei Mac- Systemen, und wir kontrollieren jetzt Solaris-Unix.

CW: Was ist denn mit Digital Equipment? Die haben die Absicht geaeussert, im Unix-Segment mit OSF/1 die Fuehrung uebernehmen zu wollen.

Zander: Entschuldigen Sie bitte - haben Sie gerade DEC gesagt? Die haben doch nur Probleme und dafuer keine Betriebssystem-Strategie. Die machen in Ultrix und OSF/1, die unterstuetzen VMS und bieten NT an - die machen doch alles. Also, ich achte gar nicht mehr auf DEC. Unsere Konkurrenten, das sind auf der Hardwareseite Hewlett- Packard und IBM. Hier treten wir gegen HP-UX und AIX an. Im Intel- Rechnerbereich sehe ich kleinere Unternehmen wie SCO und andere. Bezueglich der Software gibt es fuer uns nur die Wettbewerber Microsoft und Novell. Aber DEC - die sehe ich ueberhaupt nicht.

CW: Immerhin hat DEC schon lange eine 64-Bit-Architektur.

Zander: Aber wer will denn heute schon 64-Bit-Maschinen. Die Anwender haben ganz andere Probleme: Sie wollen Qualitaet, Mobilitaet, Sicherungsverfahren, Applikationen, Multiprozessor- Unterstuetzung und die Moeglichkeit, alle ihre Rechnersysteme miteinander kommunizieren zu lassen. Natuerlich wird 64 Bit ein Thema werden, genauso wie objektorientierte Architekturen, Workgroup-Konzepte oder Anwender, die ueber Multimedia-faehige Anwendungen miteinander arbeiten. Das ist nur eine Frage der Zeit.

CW: Vor dem Hintergrund des COSE/OSF-Zusammenschlusses gesehen: Kann man davon ausgehen, dass es ein gemeinsames Unix geben wird?

Zander: Ja und nein. Es wird nach wie vor verschiedene Unix- Implementationen geben. Aber unsere Aufgabe wird sein, fuer die verschiedenen Varianten nicht zu unterschiedliche Rahmenwerke und Schnittstellen zur Verfuegung zu stellen. Ausserdem werden wir uns auf die Entwicklung von Dingen wie DCE, ONC und eine gemeinsame Benutzeroberflaeche konzentrieren.

*Ed Zander ist President von Sunsoft. Das Gespraech fuehrte Gerald Wee, Suedostasien-Korrespondent der COMPUTERWORLD.