Ein Vorbild für die ganze Branche?

Debis prescht mit neuem Dienstleistungsvertrag voran

19.11.1999
BERLIN (ag) - Die jahrelangen Diskussionen über die Modernisierung des Tarifvertrags scheinen sich für die Debis AG ausgezahlt zu haben. Die Regelung könnte in bezug auf Vergütung, Qualifizierung und Arbeitszeit für die IT-Branche eine Vorreiterrolle einnehmen.

Am Anfang sind die Informatiker hoch motiviert und nehmen gern längere Arbeitszeiten in Kauf als 35 Stunden in der Woche. Gleichzeitig ist die Dynamik der IT-Branche so groß, daß Wissen schnell veraltet und die IT-Fachleute einen hohen Qualifizierungsbedarf haben. Mit 50 fühlen sich viele IT-Profis "ausgepowert" und wollen weniger arbeiten. Dieses Szenario entwarf Bundesarbeitsminister Walter Riester in Berlin, nicht um die IT-Branche zu verteufeln, sondern um zu verdeutlichen, daß Debis mit dem neuen Dienstleistungstarifvertrag diesen Lebenszyklus berücksichtigt. Die 6000 von insgesamt über 14 000 Debis-Mitarbeitern, für die der neue Tarifvertrag seit Anfang dieses Jahres gilt, können ihre Überstunden auf Arbeitszeitkonten gutschreiben, um sie im Lauf von jeweils fünf Jahren für Qualifizierungsmaßnahmen, Blockfreizeiten oder Arbeitszeitverkürzung wieder auszugeben. Tun sie das nicht, werden die angesammelten Stunden auf die Altersteilzeit angerechnet.

Auch die Forderung nach lebenslangem Lernen versuchte Debis im neuen Vertrag zu berücksichtigen: Jeder Mitarbeiter hat neben den unternehmensspezifischen Fortbildungen einen Qualifizierungsanspruch von 25 Tagen in fünf Jahren: Den Zeitaufwand für Kurse, die den Wert des Mitarbeiters steigern, trägt zur Hälfte das Unternehmen, zur anderen Hälfte der Mitarbeiter.

Großen Handlungsbedarf hatte der IT-Dienstleister auch in Sachen Vergütung, der dritten Säule des Tarifvertrags. Dazu Herbert Schiller, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats: " Wir hatten früher 40 verschiedene Vergütungssysteme. Es kam vor, daß jemand im gleichen Alter und auf einer vergleichbaren Position zum Teil das Doppelte verdiente wie sein Kollege. So etwas schafft Intransparenz und Neid." Darum wurden tarifliche Mindestgehälter für neun Gehaltsgruppen definiert, zu denen je nach Region und Wert der Funktion ein bis zu 60prozentiger Aufschlag kommt. Das Gehalt setzt sich aus einem Fixum und einem variablen Anteil von zehn bis 15 Prozent zusammen, der vom Unternehmenserfolg und der an Zielvereinbarungen gemessenen persönlichen Leistung abhängt.

Dabei steht nicht so sehr Geld als zusätzliche Motivation, sondern der Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter im Vordergrund. "In der IT-Branche hat keiner Zeit, alle sind ständig in Projekten oder beim Kunden. Wir setzen ein Gegengewicht und fordern die Zeit zum Gespräch ein", kommentierte Karl-Heinz Stroh, Personalchef beim Debis Systemhaus in Stuttgart. Der Tarifvertrag sei darum auch als Anstoß zum Umbruch in der Unternehmenskultur zu verstehen. Bis sich dieser allerdings vollziehen wird, braucht Debis noch viel Zeit, um die Mitarbeiter zu informieren und zu überzeugen. Da zum Beispiel Zielvereinbarungen freiwillig sind, können sich Vorgesetzte und Mitarbeiter nicht immer auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Noch begreift man den neuen Tarifvertrag als Experiment, in den aber immer mehr Mitarbeiter eingebunden werden sollen. Nach einer Sperrfrist von zwei Jahren können sich auch andere Unternehmen der Branche ohne Zustimmung der Vertragsparteien dem Debis-Machwerk anschließen. Schon jetzt sind über 100 Anfragen von anderen Firmen beim Betriebsrat eingegangen.