Eine halbe Million Arbeitslose und 1,8 Millionen Kurzarbeiter

DDR-Umschulung: Es hapert noch an der Koordination

23.11.1990

MÜNCHEN (CW) - Die Menschen in West und Ost wollten die schnelle Einheit Deutschlands - schneller als die Politiker zu hoffen wagten, geschweige denn Ökonomen diese Einheit zielgerichtet vorbereiten konnten. Schockartig wurde die DDR-Wirtschaft auf harter DM-Basis dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt.

Fast eine halbe Million Arbeitslose und nahezu 1,8 Millionen Kurzarbeiter, letztere zu fast 90 Prozent von Arbeitslosigkeit bedroht, signalisieren akuten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf in der ehemaligen DDR. Für den östlichen Teil der Republik gibt es vielfältige Hilfeleistungen, doch von Koordination ist wenig zu spüren.

Außerdem sind starke Zweifel angebracht, ob die bisherigen Maßnahmen und Organisationsformen den anstehenden Problemen gerecht werden.

Sechs Schwachstellen sind evident:

1. Umschulung wofür?

Alle Welt im Westen redet davon, daß Strukturwandel und Umschulung für die DDR-Wirtschaft notwendig sind. Aber auf die erwartungsvolle Frage der "Ossis", welche Ziele und Inhalte die Umschulung haben soll, gibt niemand eine klare Antwort. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit - sie ist der Hauptfinanzier der Hilfsmaßnahmen - beißt sich lieber die Zunge ab, als Perspektiven aufzuzeigen. Noch "keine ausreichende Datenbasis für eine wissenschaftlich fundierte Analyse" lautet die entsprechende Auskunft. Als wenn es gegenwärtig darauf ankommt!

2. Fehlentscheidung DDR-Kurzarbeitergeld

"Qualifizieren statt Entlassen" ist die Parole. Eine Kombination aus befristetem Kündigungsschutz, Kurzarbeitergeld und Umschulung sollte den Strukturwandel voranbringen. Die DDR-Praxis sieht anders aus. Das Hinausschieben der unausweichlichen Entlassungen sowie Kurzarbeit ohne jede Qualifizierung sind überall erkennbar. Man wartet und wartet. ..

3. Selbständigkeit ist kein Qualifizierungsziel!

"Viele selbständige Unternehmer statt befehlsausübender Arbeitnehmer" verkündet Bundeswirtschaftsminister Haussmann als Zielsetzung. Doch für das AFG (Arbeitsförderungsgesetz) ist Selbständigkeit kein Umschulungsziel. Dabei wäre es naheliegend, von Arbeitslosigkeit bedrohte Industriearbeiter auch zu (selbständigen) Handwerkern umzuschulen.

4. Klientel- und Kastendenken!

Zig Millionen Mark sind für Qualifizierungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR verfügbar. Und fein säuberlich wird aufgeteilt:

- Der Bundesminister für Wirtschaft gibt Mittel an IHK's und HWK's. "Mittelstandsförderung" ist die Devise.

- Der Bundesminister für Arbeit bedient die Bildungswerke der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften zu etwa gleichen Teilen.

- Die (alten) Bundesländer finanzieren Stoßtruppunternehmen heimischer Bildungsträger in denjenigen neuen Bundesländern, mit denen "Patenschaften" eingegangen wurden.

Es stellt sich die Frage, ob mangelnde Kooperation (zum Beispiel bei investiven Maßnahmen) nicht wichtige Synergie-Effekte und einen effizienten Einsatz der Mittel verhindert.

Zudem findet in der Praxis offenbar nur selten eine intensive Zusammenarbeit zwischen westlichen und östlichen Bildungsträgern statt. Es könnten ja noch "Betonköpfe" und "alte Seilschaften" in den Betriebsberufsschulen und Betriebsakademien die Umschulung auf und in die Marktwirtschaft "sabotieren" wollen.

5. Überbetrieblich contra betrieblich

Das Zusammenbrechen der in den Betrieben vorhandenen beruflichen Bildungskapazitäten muß verhindert werden. Die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen sollen so betriebsnah wie möglich erfolgen. Darin sind sich alle einig.

Die Realität der Förderpraxis sieht anders aus. Die investiven Hilfen des Bundeswirtschaftsministeriums konzentrieren sich auf die Ausstattung überbetrieblicher Einrichtungen, insbesondere für das Handwerk. Sinnvoller wäre die Modernisierung der beruflichen Bildungseinrichtungen Überall dort, wo es für die Lösung der Arbeitsmarktprobleme hilfreich ist.

6. Neue Ausbildungsberufe

Unverständlich ist die Regelung, ab sofort die westdeutschen Ausbildungsberufe mit

ihren Ausbildungsordnungen zur Pflicht in den neuen Bundesländern zu machen. Wofür es im Westen mehrjährige Übergangsfristen gibt, soll in den maroden DDR-Betrieben ab sofort geschehen! Das Ergebnis einer solchen technischen und finanziellen Überforderung ist nicht eine moderne Berufsausbildung, sondern nur der Verlust weiterer betrieblicher Ausbildungsplätze. Das Problem "Konkurs-Lehrlinge" sollte eigentlich reichen.

Man sollte schnell aus den Fehlern lernen und Mißstände beseitigen. Dann besteht eine echte Chance, wirkungsvoll und erfolgreich den erforderlichen Strukturwandel mit Hilfe von Umschulung zielgerichtet in Gang zu setzen.

Dafür sind vorrangig drei Korrekturen notwendig:

1. Ziele setzen

Die Arbeitsmarktforschung ist aufgerufen, präziser als bisher anzugeben, welche Richtung aus ihrer Sicht der wirtschaftliche Strukturwandel und damit auch der Umschulungsprozeß in der ehemaligen DDR nehmen soll. Jeder weiß, daß solche Zielsetzungen die Gefahr des Irrtums einschließen. Aber es ist viel besser, sich jetzt zu 30 Prozent zu irren, als die Wirtschaft in den neuen Bundesländern zu 100 Prozent mit diesem Problem allein zu lassen.

2. Arbeitsförderung ändern

So schnell wie möglich muß die DDR-spezifische Variante des Kurzarbeitergeldes beendet werden. Sie verhindert die notwendige, wenn auch vielfach schmerzliche Umstrukturierung auf dem Arbeitsmarkt. Statt dessen wäre es sinnvoll, Umschulung und öffentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur zu kombinieren. Um im Fachjargon zu bleiben: Die Kombination von ABM (Arbeitsbeschaffung) und FuU (Fortbildung und Umschulung), gefördert nach AFG (Arbeitsförderungsgesetz).

Bis dahin sind die Arbeitsämter gefordert, konsequent von ihrer Kompetenz Gebrauch zu machen, für Kurzarbeiter Umschulungsmaßnahmen einzuleiten und bei Verweigerung dieser Maßnahmen das Kurzarbeitergeld zu streichen.

3. Kooperation verstärken

Gefragt ist mehr Abstimmung und mehr Zusammenarbeit:

- Die Spitzenverbände der Wirtschaft sollten sich auf eine gemeinsame Konzeption für die Qualifizierung und Umschulung in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Arbeit verständigen.

- Die Bildungsträger vor Ort und die Arbeitsämter sollten bei der Umsetzung dieser Ziele zusammenarbeiten und die vorhandenen Einrichtungen von in den Prozeß integrieren. Überall wo es sinnvoll ist, sollten auch die Finanzierungsmöglichkeiten aus verschiedenen "Töpfen" kombiniert werden können.

In der Bundesrepublik entscheidet der Markt darüber, welcher Bildungsträger mit seinem Angebot zum Zuge kommt. Diese Regel kann für die ehemalige DDR beute noch nicht gelten, denn dort gilt es, schnell mit einem zu kleinen Angebot einer viel zu großen Nachfrage gerecht zu werden.

"Task Force" ist angesagt um soziale Spannungen zu vermeiden. Außerdem würden Milliarden Mark zum Fenster hinausgeworfen, wenn die Kurzarbeit nur unzureichend mit Qualifizierungsmaßnahmen gekoppelt ist. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

trachtet den Entwurf deshalb als ungerecht, weil die bisher geltenden Sonderrechte von BT,

Mercury sowie Cable & Wireless mit dem neuen Recht außer Kraft gesetzt werden sollen.

Nutznießer einer Reform wären neben den Ausländern auch zahlreiche Unternehmen mit Hauptsitz im United Kingdom. So bekundet zum Beispiel Britisch Rail starkes Interesse, mit ihrem Netz in das Sprach-Busineß einzusteigen.

British Rail sucht Geldgeber

Angaben der "Financial Times" zufolge ist die Eisenbahngesellschaft derzeit auf der Suche nach privaten Geldgebern, um die nötigen Geldmittel zwischen 200 und 400 Millionen Pfund zu beschaffen, weil das britische Gesetz der Company die Nutzung öffentlicher Gelder für solche Deals verbietet.

"Durch das Dokument der Regierung stehen uns alle Wege offen", frohlockt Peter Borer, Direktor der British Rail. Er geht von der Realisierung des Entwurfes ans und ist davon überzeugt, daß sein Unternehmen ans der Liberalisierung- Kapital schlagen wird.

Die Gesellschaft plant laut Peter Borer, sowohl lokalen Serviceanbietern als auch Betreibern von Mobilfunk- und Telepoint-Einrichtungen Dienste anzubieten.

Ambitionen, ihre freien Netz-Ressourcen zu vermarkten, hegt ebenso die britische Post. Sie will im Rahmen des Gesetzentwurfes ihre Rechte prüfen und dann erben ihre Pläne entscheiden.

Morgenluft haben auch die beiden UK-Unternehmen Racal Telecom und British Aerospace gewittert. Racal will als Betreiber von Stationen zur mobilen Kommunikation auftreten, British Aerospace hat dagegen die Satellitenkommunikation im Auge.

Die Schlachtung "heiliger Kühe"

Noch ehe die EG-Staaten auf dem Festland die von der Brüsseler Kommission zwangsverordnete TK-Liberalisierung auch nur halbwegs in die Tat umgesetzt haben, scheint Großbritannien neue revolutionäre Wege zu gehen. Während nämlich die "heiligen Kühe" Sprach- und Leitungsmonopol der kontinentalen Postgesellschaften in der EG durch die nationalen Reformgesetze weitgehend unangetastet blieben, will die Regierung Thatcher jetzt im britischen TK-Markt tabula rasa machen. In Zukunft soll es weder monopolistische Erbhöfe noch irgendwelche Beschränkungen bei der Zulassung von Anbietern geben.

Das Kuriose an der Sache ist, daß die Briten, sofern der Entwurf Anfang nächsten Jahres in ein Gesetz umgewandelt wird, eine TK-Struktur abschaffen, von der Anwender in anderen EG-Ländern vorerst noch träumen. Seit die halbstaatliche British Telecom im Telefon- und DFÜ-Geschäft 1984 Konkurrenz durch den privaten Anbieter Mercury bekommen hat, sinken nämlich die Gebühren.

Erfahrungen wie diese haben das Kabinett der Eisernen Lady bewogen, den TK-Markt jetzt völlig zu öffnen. Die Absicht, in Zukunft sowohl in- als auch ausländische Anbieter ohne Einschränkung für die Sprach-, Mobil- und Satellitenkommunikation zuzulassen, ist aus Sicht der Anwender goldrichtig. Viele Serviceanbieter werden jedenfalls nicht nur zu billigeren Gebühren, sondern auch zu mehr Angeboten führen.

Des einen Freud, des anderen Leid. Während British Telecom und Mercury wenig Begeisterung zeigen, reiben sich die amerikanischen Telefongesellschaften und die British Rail schon genüßlich die Hände. Sie wittern im TK-Geschäft mehr als nur ein lukratives Zubrot. Man darf also gespannt sein, wie sich die Dinge auf der Insel entwickeln. Soviel steht jedoch schon heute fest: Der User kann nur profitieren, und deshalb lautet der Ratschlag an die Regierungen der anderen EG-Staaten: Zur Nachahmung empfohlen. pg