Studie belegt beginnenden Nachfrageboom nach moderner DV

DDR: Rechenzentren wollen auf West-Hardware umrüsten

29.06.1990

BERLIN (CW) Die erste empirische Untersuchung über das Investitionsverhalten der DDR-Mainframe-Anwender ergab, daß kurzfristig ein Nachfrageschub in Höhe von 2,5 Milliarden Mark zu erwarten ist und bis Ende 1995 ein Hardwarebedarf von etwa fünf Milliarden Mark befriedigt werden muß.

Laut Studie, die von der Arbeitsgemeinschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR zusammen mit der Berliner Unternehmensberatung Köhler-Frost & Partner erstellt worden ist, scheint sich die überwiegende Anzahl der Befragten darüber klar zu sein, daß kurzfristig neues DV-Equipment, und zwar sowohl Hard- als auch Software in der DDR installiert werden muß. Schon allein durch die Umstrukturierung der Betriebe und ihre Ausrichtung auf die Marktwirtschaft würden neue Applikationen benötigt, und dieses in absehbarer Zeit. Die sich derzeit in, Gründung befindlichen Kapitalgesellschaften müßten zum Beispiel ihre Abschlüsse in einem Jahr vorlegen.

Das bedeute, daß die neuen Informationssysteme nicht nur kurzfristig beschafft, sondern auch ebenso schnell und produktiv eingesetzt werden müssen.

Die Kürze der Zeit läßt es nach Meinung der deutsch-deutschen Augurengruppe nicht zu, kundenspezifische Lösungen zu entwickeln, zumindest nicht für die anstehenden betriebswirtschaftlichen Probleme - Downsizing und Open Systems stünden nicht zur Debatte. Statt dessen werde der gleiche Prozeß ablaufen wie in der Bundesrepublik Deutschland: Man greift zu qualifizierter Standardsoftware. Immerhin wollen nahezu 90 Prozent der Befragten das westliche Software-Angebot wahrnehmen, wobei zirka 50 Prozent der Befragten bei der Konzeption die Hilfe Dritter benötigen.

Der überwiegende Teil der Befragten wünsche sich ein neues Informationsverarbeitungsumfeld, das durch folgende Schlüsselkriterien geprägt sei:

- leistungsstarke Mainframes und Minis,

- qualifizierte Netzwerksofware,

- Micros mit moderner Architektur,

- ein modernes Software-Entwicklungs- und Produktionsumfeld sowie

- qualifizierte Standardsoftware.

Es ist nach den Ergebnissen der Studie damit zu rechnen, daß die Umorientierung von Hard- und Software aus RGW-Staaten zu Produkten der westlichen Informationsverarbeitung zügig erfolgen wird. Aus der ebenfalls durchgeführten Bestandsaufnahme geht hervor, daß derzeit ein Hardwarepark im Wert von 6,6 Milliarden Ostmark in der DDR installiert ist, wovon nach Meinung der Befragten etwa 25 Prozent innerhalb kurzer Zeit abgelöst werden sollten.

Danach ergibt sich kurzfristig ein Bedarf in der Größenordnung von 1,5 Milliarden Mark für Hardware, 0,72 Milliarden für Software und 0,24 Milliarden Mark für Services.

Die Analysten kommen unter Einbeziehung volks- und betriebswirtschaftlicher Daten allerdings zu dem Schluß, daß der Hardwaremarkt der DDR ein Potential von etwa fünf Milliarden Mark aufweist - auch dann, wenn moderne Technik westlicher Provenienz zum Einsatz kommt. Eine entsprechende Verifizierung werde auf der Mikroseite allerdings schneller vor sich gehen als bei Mainframes.

Innerhalb von drei Jahren, so die Studie weiter, werde die gesamte RGW-Technik gegen westliche ausgetauscht sein. Das bedeute jedoch nicht, daß bis dahin das geschätzte Potential bereits ausgeschöpft sei. Der Durchdringungsgrad der Informationsverarbeitung in den neustrukturierten Betrieben, die in einem völlig neuen Wirtschaftsumfeld arbeiteten, werde vielmehr langsam steigerte so daß der Standard der Informationsverarbeitung erst in fünf Jahren dem westlichen Niveau entspreche. Deshalb sei auch die Nachfrage nach Hardware erst 1995 weitgehend befriedigt. Für den Software- und Servicemarkt erwarten die Analysten eine ähnliche Entwicklung.

Die im Zuge der Studie ebenfalls ermittelten Aufwendungen von 0,24 Milliarden Mark für Serviceleistungen werden sich voraussichtlich folgendermaßen gliedern.

-Schulung,

-betriebswirtschaftliche Beratung

-Organisationsentwicklung,

-Software-Engineering und

-Rechenzentrums-Beratung.

Insgesamt scheint den Auguren jedoch die Flut der Probleme, die die Datenverarbeitungs-Abteilungen beziehungsweise Rechenzentren in der DDR zu lösen haben, erdrückend: Bei immer mehr Rechenzentren breche die Kunden-Struktur zusammen, dies gelte insbesondere für die Betriebe des ehemaligen Kombinates Datenverarbeitung, deren RZs bis zur Wende als Betriebsrechenzentren fungierten. Weil sich auch einige andere Kombinate auflösen würden, müßten die bisher angeschlossenen Rechenzentren nunmehr selbst auf Kundenfang gehen.

Daß die Anwender, nachdem es keine staatlichen Zwänge mehr gibt, über neue Konzepte nachdenken, liege auf der Hand, denn attraktiv sei das derzeitige Angebot der Rechenzentren keineswegs. Beim Informationstransfer überwiege beispielsweise noch immer der "reitende Bote". Die RZs würden aber nur dann überleben, wenn es ihnen gelänge, ein attraktives Angebot bereitzustellen, um alte Kunden bei der Stange zu halten und neue zu akquirieren.

Der zweite Knackpunkt liegt laut Studie im Personalbereich. Demnach sind die DV-Abteilungen personell überbesetzt. Aus Gesprächen ließe sich folgern, daß

- die Software-Entwicklungsumgebung,

- die fehleranfällige Hard- und Software sowie

- das sozialistische Fürsorgeprinzip für diese Wettbewerbsnachteile verantwortlich zu machen seien. Ein dritter Punkt, der dem Wunsch nach westlicher Hardware Einschränkungen auferlege, bestehe in den geringen finanziellen Reserven der Betriebe. Auf diese und andere Probleme müssen sich westdeutsche Anbieter einstellen, wenn sie im DDR-Markt Fuß fassen wollen, betont die deutsch-deutsche Studie.

Studie "Der Markt für Mehrplatz-Systeme in der DDR" erarbeitet von der Arbeitsgemeinschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR und Köhler-Frost & Partner, Vertrieb durch IDC Deutschland GmbH, Kronberg, Telefon 0 61 93/7 09 80.