Auch im Ostblock gibt es ein Technologiegefälle West-Ost:

DDR Konzeption setzt sich im RGW durch

06.02.1981

Von zwei divergierenden Strategien, die Technologiediskrepanz in der Computerproduktion zum Westen zu verringern, setzt sich innerhalb des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) das Konzept der DDR gegenüber Polen und Ungarn durch. Diese Konzeption ist stärker von Lizenzen und damit von Devisen unabhängig und entspricht mehr der politischen Abgrenzung in dem gegenwärtig frostigen Klima zwischen Ost und West. Gleichzeitig baut die DDR mit dieser Technologiepolitik ihre allgemeine politische Position im RGW stärker aus.

Der hohe politische Stellenwert, den die DDR-Führung immer wieder den Spezialisierungsabkommen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) über die Computerproduktion beimißt, läßt sich daran ablesen, wie stark und in welcher Weise das Thema in den Publikationen behandelt wird. Diese große politische Bedeutung dieser Abkommen für die DDR läßt sich an der 34. Ratstagung in Juni letzten Jahres aufweisen.

Diese Tagung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe erhielt ein besonderes politisches Gewicht durch die Anwesenheit der Ministerpräsidenten und diente der Koordinierung der Volkswirtschaftspläne für die kommende Fünfjahresplanperiode 1). Dort wurden die auf den Tagungen der Jahre 78 und 79 konkretisierten Kooperationskonzeptionen fortsetzend weitere Abkommen zum Ausbau und zur Vertiefung der Kooperation und Spezialisierung im RGW beschlossen 2). Hatte schon Alexej Kossygin in seiner Rede auf dieser Tagung einen Vertrag der RGW-Staaten über die Kooperation und Spezialisierung bei der Entwicklung und Produktion der Mittel der Rechentechnik als eines der größten Abkommen dieser Ratstagung bezeichnet, so wurde diese Passage redaktionell im ND verstärkt, indem in die auszugsweise Wiedergabe der Rede Kossygins die Zwischenüberschrift "Mikroelektronik muß großen Effekt bringen eingefügt wurde. In der Computerfachzeitschrift der DDR feierte wenig später Helmut Pieper von der Staatlichen Prüfkommission diese Unterzeichnung des mehrseitigen Spezialisierungsabkommens sogar als Höhepunkt in der Zusammenarbeit der sozialistischen Länder 4). Warum hebt die DDR dieses Abkommen publizistisch so heraus?

Zur Beantwortung dieser indirekten Frage nach dem politischen Interesse der DDR-Führung müssen wir auf ein wesentliches Problem zu sprechen kommen, das im RGW sich in den letzten Jahren gezeigt hat. Unter den RGW-Staaten gibt es zwei grundverschiedene Strategien, um das Know-how-Defizit in der EDV gegenüber dem Westen aufzuholen. Polen, Ungarn und Rumänien kaufen westliches Know-how durch Kooperations-Lizenz- und Lieferungsverträge mit westlichen Firmen ein. Durch die Produktion von westlichen elektronischen Geräten in Lizenz wird westliches Know-how, wenn auch mit Verzögerung, transferiert. Dadurch kann beispielsweise das ungarische Computerunternehmen Videoton erfolgreich mit seinen EDV-Produkten auf westlichen Messen Fuß fassen. In diesen Ländern tritt natürlich das Problem auf, mit knappen und damit teueren Devisen zunächst einkaufen zu müssen. Eine solche Strategie des Know-how-Transfers durch Kooperation mit westlichen Firmen setzt zudem ein entspanntes politisches West-Ost-Klima voraus.

Dagegen distanziert sich die DDR von diesem- Konzept, denn "ein ´Nachforschen´ der Ergebnisse anderer bringt uns nicht vorwärts, da in diesem Fall ein Rückstand von vornherein unvermeidlich ist" 5). Die DDR grenzt sich dabei vom Westen ab. Sie strebt eine selbständige EDV-Entwicklung an, in der sie vom Westen nicht in direkter Weise durch Import von Geräteteilen und durch Lizenzproduktion abhängig ist. Wegen ihrer begrenzten Kapazität konzentriert sie sich darauf, nur bei ausgewählten Erzeugnissen an die Weltspitze zu gelangen. Um aber dennoch ein breites Produktionsspektrum ohne Westimporte zur Verfügung zu haben, gehört zu dieser Strategie der DDR notwendig die arbeitsteilige Kooperation im RGW, das heißt, die gesamte Kapazität soll im RGW so koordiniert werden, daß sie optimal genutzt werden kann ohne Verlust durch Parallelproduktion 6).

Das Interesse der DDR an der arbeitsteiligen Integration des RGW wegen dieser Grundstrategie wird in seiner Realisierung durch mehrere Faktoren begünstigt: Die Strategie der DDR paßt sich im Gegensatz zu der Polens und Ungarns in die gesamte politische und ökonomische Orientierung der Volkswirtschaftspläne der RGW-Staaten ein. Außerdem wird die Konzeption der DDR durch das gegenwärtig abkühlende West-Ost-Verhältis begünstigt. Erinnern wir uns an das Gerangel um die Computerlieferung für die Olympischen spiele in Moskau. Welches starke Gewicht diesem Faktor in der DDR beigemessen wird, verdeutlicht die für die Fachzeitschrift "/datenverarbeitung" ungewöhnlich scharfe politische Aussage dieses Spezialisierungabkommens:

"Gleichzeitig wird mit dem Abschluß des Abkommens erneut demonstriert, daß die sozialistischen Länder durch ihr planvolles Zusammenwirken in der Lage sind, den Störversuchen der Carter-Administration stabile ökonomische Fakten entgegenzusetzen 7)."

Technologiegefälle West-Ost

Es gibt nicht nur ein weltweites Technologiegefälle West-Ost, sondern auch innerhalb des RGW existiert ein solches Gefälle. Dies wirkt sich für die Konzeption der DDR ebenfalls günstig aus, denn die DDR besitzt wegen ihres EDV-Know-hows eine technische Vormachtstellung in der Wirtschaftsgemeinschaft. Das führt dazu, daß sie, die übrigen RGW-Staaten übergehend, sich Vorabsprachen mit der UdSSR leisten kann. So beriet kurz vor der RGW-Tagung eine paritätische Regierungskommission aus der DDR und der UdSSR in Moskau über Fragen der Spezialisierung und Kooperation auf dem Gebiet Elektrotechnik und Elektronik 8) .

Die DDR konnte unter diesen sie begünstigenden Vorzeichen auf der RGW-Tagung ihre Konzeption offensichtlich durchsetzen. So wurden klare Export- und Importbedingungen innerhalb des RGW festgelegt. Für die DDR bedeutet dies, daß sie von der Großrechnerserie Eser 9) Anlagen mit kleiner Leistung aus Rumänien und der CSSR importieren wird. Dagegen werden bis auf das russische Modell EC 1035 keine Anlagen mit mittlerer Leistung importiert, sondern auf das eigene DDR-Produkt EC 1055 zurückgegriffen. Die DDR muß an Großrechnern die EC 1060 aus der UdSSR einkaufen.

Natürlich muß die DDR auch für sie unangenehme Kompromißlösungen akzeptieren. So ist die DDR verpflichtet, kurzfristig Rechner aus der Reihe 1 des Systems der Kleinrechner (SKR) zu importieren, was sich aus einem 1977 zwischen den Akademien der Wissenschaften sozialistischer Länder vereinbarten und von den Regierungen der beteiligten Staaten bestätigten multilateralen Programm zur Automatisierung wissenschaftlicher Forschung ergibt. Und dies, obwohl des Modelle des SKR mit der zur Zeit in Produktion der DDR befindlichen aber nicht im RGW integrierten Rechnerfamilie Robotron 4000 völlig inkompatibel sind, also ein Austausch mit einem viel zu großen Aufwand verbunden ist. Die DDR hatte sich sinnvollerweise für die Reihe 1 des SKR nicht engagiert, weil eine Umstellung in Anbetracht der vorhandenen Programmkapazität der Software und der dann wieder zu erstellenden und umzuschreibenden Programme zu teuer ist 10).

Diese so klar in der DDR formulierte Kritik verdeutlicht ein bekanntes Grundproblem, welches der RGW bei

seiner detaillierten und strikt verpflichtenden Planung besitzt die Diskrepanz zwischen festgelegten Planzielen und die durch schwer übersehbare Entwicklungen bedingten, unerwarteten Anforderungen, aber offensichtlich nimmt die DDR solche

Schwierigkeiten im Detail in Kauf, um über strenge Verträge eine starke Reglementierung der RGW-Staaten zu erreichen und somit ihre Konzeption durchzusetzen. Über die Durchführung dieses mehrseitigen Spezialisierungsabkommens wacht die mehrseitige Regierungskommission. Sie besitzt nicht nur eine Kontrollfunktion, sondern auch das Recht der Einflußnahme. In dem Vertag ist vorgesehen, daß in Zukunft bislang auf RGW-Ebene noch nicht arbeitsteilig produzierte rechentechnische Mittel in diese Gesamtkonzeption einbezogen werden. Das Abkommen soll noch so offen sein, daß durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt notwendige Ergänzungen und Präzisierungen ermöglicht würden. Ob wirklich genügend Flexibilität vorhanden ist, bleibt wie es als Beispiel der ineffekfive Importzwang russischer Kleinrechner dokumentiert äußerst fraglich.

Arbeitsteilung ist dort sogar prinzipiell problematisch, so eine klare Aufteilung der Kompetenzen nicht möglich ist. Das RGW-Abkommen gliedert nicht nach Problemlösungen 11), da dadurch eine Kompliziertheit in der Handhabung des Abkommens aufgetreten wäre. Im RGW spezialisiert man sich erzeugnisbezogen. Erzeugnisbezogenheit bedeutet, daß man gemäß der technischen (physikalischen) Teile einer Datenverarbeitunglage, der Hardware, gliedert. Durch diese Betonung der Hardware entsteht die Gefahr, daß die Fragen zur Software, insbesondere Programme für komplette Problemlösungen, in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist sehr fraglich, ob der RGW sich dies leisten kann, da der Mangel an Systemunterlagen und die Qualität von Programmpaketen schon vor zwei Jahren sehr massiv kritisiert wurde 12). In letzter Zeit ist man verstärkt dabei dieses Defizit abzubauen

Auf der Moskauer Eser II/SKR-Ausstellung 1979 standen gerade die Systemlösungen im Mittelpunkt des Interesses 13). Die produktbezogene Spezialisierung im RGW begründet man damit daß man auf den Trend setzt, in zunehmendem Maße Komponenten der Systemunterlagen durch gerätetechnische Lösungen zu realisieren Software wird dadurch aber sicherlich nicht total ersetzbar.

Ausgehend von dem Erzeugnisaspekt wurden die EDV-Produkte für dieses Abkommen in funktionelle Gruppen und Untergruppen gegliedert. Was unter funktionellen Gruppen zu verstehen ist, wird an den peripheren Geräten deutlich externe Speichergeräte, Geräte zur Informationsein- und -ausgabe oder Geräte zur Datenfernverarbeitung. Es ist bezeichnend, wie schwerfällig sich eine zentrale Planung auf höchster Ebene an neue Bedingungen anpassen kann, wenn bei der Vorstellung des neuen Robotron-Produktes "dezentrale Datentechnik" ein anderer Autor eine solche Einteilung als sehr problematisch bezeichnet 14). Wir müssen natürlich unterscheiden, daß die "dezentrale Datentechnik" auf Mikrorechnerbasis konstruiert ist. Dort gilt heute schon die Aussage, daß wegen des stark modularen Charakters und der weitgehenden Programmierbarkeit dieser Produktlinie eine solche Einteilung problematisch ist, während sie die klassischen Großrechner der Reiche 1 und auch noch der Reihe 2 von Eser durchaus möglich ist. Aber bei der Tendenz zur Vernetzung von denen Rechenkapazitäten, dein Trend, Großrechner mit Kleinrenchnern zu koppeln, fördert solche starre Gliederung die Inflexibilität.

Wenn daher die Art und Weise der Spezialisierung nicht in die Zukunft weist, sondern eine flexible Entwicklung sogar hemmen kann - wir kritisieren dabei nur die Form der Spezialisierung, also die fixierten Pläne und die starre, an der Hardware orientierte Aufteilung, und nicht die sinnvolle Idee einer arbeitsteiligen Kooperation -, dann muß für die DDR angesichts Nachteile das politische Interesse bei der Durchsetzung ihrer Entwicklungsstrategie gegenüber anderen RGW-Staaten recht groß sein.

Anmerkungen

1) DDR-Regierungsdelegation zur RGW-Tagung in Prag, in: ND 17. 6. 1980, S. 1

2) XXXIV. Tagung des RGW begann, Beratung in Prag, in: ND 18. 6. 1980,S. 1

3) Sozialismus sichert die Lösung der Grundprobleme der Völker, in: ND 19.6. 1980, S. 6

4) Helmut Pieper, Grundlinien der weiteren Zusammenarbeit im Eser, in Rechentechnik/Datenverarbeitung 9/1980, S.5. Dieser Aufsatz wird im folgenden analysiert.

5) Wolfgang Sieber, Intensivierung in Forschung und Entwicklung, in: Einheit 11/1979, S. 1143

6) Ausführlich wurden diese Integrationsschwierigkeiten der Computerindustrie im RGW von mir analysiert, in: Wissenschaften in der DDR, II. und 111. Quartalsbericht 1979

7) Helmut Pieper, a.a.O. (Anm. 4) S. 6

8) Paritätische Regierungskommission DDR UdSSR tagt in Moskau, in: ND 6. 6. 1980, S. I

9) 1969 gründete man im RGW durch einen Vertrag das "Einheitliche System der elektronischen Rechentechnik (Eser)". 1973 konnten dann die ersten Modelle der 1. Eser-Serie vorgestellt werden. Die einzelnen Modelltypen werden arbeitsteilig von jedem Land eigenverantwortlich entwickelt und produziert. Untereinander sind sie kompatibel (bis auf die ungarische Anlage EC 1010), das heißt austauschbar und kooperationsfähig. Die Rechnerserie 1 entspricht der IBM Serie 360 und Reihe 2, welche 1978 vorgestellt wurde, ist etwa mit IBM 370 vergleichbar. Entsprechend der international wachsenden Bedeutung der Klein- und Prozeßrechner wurde 1974 die Zusammenarbeit der RGW-Länder auf diesem Gebiet beschlossen und das "System der Kleinrechner (SKR)" gegründet.

10) Werner Schulze, Rechner des SKR in der Akademie-Forschung, in: Rechentechnik/Datenverarbeitung Beiheft 4/1979, S. 58 f.

11) Unter Problemlösungen sind Systeme Hard- und Software zu verstehen, die für spezielle Aufgaben geschaffen werden. Zum Beispiel das automatische Reservierungssystem der Deutschen Reichsbahn, das Datenbanksystem Robotron, das Leitungsinfommationssystem eines Ministeriums.

12) W, Gluschkow, Die Industrie der Informationsverarbeitung, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 2/1978, S. 32. Der Autor ist Direktor des Instituts für Kybernetik in Kiew, in dem 760 Wissenschaftler beschäftigt sind.

13) Dieter Buttgereit/Franz Loll, Vorschau auf die Moskauer Eser 11 SKR-Ausstellung: Im Mittelpunkt die Systemlösung, in: Rechentechnik/Datenverarbeitung 4/1979, S. S ff. Die DDR stellte dort 11 Systemlösungen vor.

14) Werner Schulze, Grundkonzeption des Erzeugnisprogramms "Dezentrale Datentechnik", in: Rechentechnik/Datenverarbeitung 9/1980, S.7.

*Bardo Diehl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.