Anwenderbericht Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe:

DDP-System rechnet Kosten und Leistungen

13.03.1981

KARLSRUHE - Die Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe ist das zentrale Institut für die gesamte praktische und wissenschaftliche Versuchs- und Forschungsarbeit auf dem Gebiete des Wasser-, des Erd- und Grundbaues und für die Entwicklung auf einschlägigen Gebieten der Technik. Darüber hinaus sind ihr die Aufgaben einer Datenverarbeitungszentrale der bundeseigenen sechs Wasser- und Schiffahrtsdirektionen übertragen.

Im Rahmen der Unterhaltung der Wasserstraßen sind die Anforderungen an die Effizienz der Verwaltung und damit an die Wirtschaftlichkeit des Unterhaltungs- und Betriebsdienstes ständig gewachsen. Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung begegnet diesen Anforderungen nicht nur durch Einsatz verbesserter Technik bei den Wasserfahrzeugen und Geraten, sondern auch durch Anwendung modernster Planungs- und Steuerungsmethoden, die auf einer umfassenden Kosten- und Leistungsrechnung fußen. Diese Rechnung hat daher nicht nur die erzielten Leistungen und anfallenden Kosten des Betriebes zu quantifizieren, sie soll zusätzlich die einzelnen leistungs- und kostenverursachenden Faktoren und deren Wirkung offenlegen.

Zweck der Kosten- und Leistungsrechnung ist es, eine möglichst informative Daten- und Methodenbasis für Vor- und Nachkalkulationen zu liefern, wobei sich das Kalkulationsmodell an Ziel- und Programmplanung sowie an der Erfolgskontrolle orientiert. Da der Naßbaggerbetrieb vom Ausgabenvolumen her der bedeutendste Bereich des WSV-, Unterhaltungs- und Betriebsdienstes ist, begann die Computerunterstützung mit "Distributed Processing"-Systemen MDS 21/20 schwerpunktmäßig in diesem Bereich. Für dieses DV-Verfahren steht als Background-DV-Kapazität der Datenverarbeitungszentrale in Karlsruhe ein Siemens-Rechner 7.760 zur Verfügung. Diese Anlage wird mit dem Betriebssystem BS2000 gefahren, dessen wesentliche Merkmale virtuelle Speichertechnik, Zeitscheibentechnik, vollintegrierte Dialogmöglichkeit sowie gleichzeitiger Teilnehmer- und Teilhaberbetrieb neben Batchverarbeitung sind. Zur Verwaltung von großen Datenmengen wird das Data Base Managementsystem Adabas eingesetzt. Kleinere Datenmengen bis 40 000 Datensätze können mit dem interaktiven formularorientierten Datenbank-System Fidas vorgehalten und ausgewertet werden.

Immer stärker führen nicht automatisierte Routinevorgänge zumindest in der Diskussion der DV-Experten zu einem negativen Image für ein Unternehmen oder eine Behörde. Befaßt man sich konkret mit der Realisierung einer umfassenden Datenverarbeitung, so stehen bekannte, aber dennoch ungelöste Probleme vor einem. Eines der Hauptprobleme leitet sich im Kern aus der Diskrepanz zwischen dem enormen Tempo der DV-technischen Entwicklung und der erforderlichen Länge des praxisangemessenen Realisierungszeitraums ab. Bei einem im klassischen Sinne geplanten DV-Vorhaben mit einer Entwicklungszeit von etwa drei bis vier Jahren wäre mindestens dieser Zeitraum im Hinblick auf die stattfindende DV-technische Entwicklung gesichert vorauszusehen. Konkret wären meßbare Aussagen über die Leistungsfähigkeit und Kosten, zum Beispiel von DFÜ-Netzen, Zentralprozessoren, Datenbanksystemen, Teleprocessing-Monitoren, RJE-Stationen etc. erforderlich, mit Sicherheit ein Unterfangen mit äußerst risikobehafteten Aussagen. Darüber hinaus ist in fast allen Fällen für einen derartigen Realisierungszeitraum mit einer bedeutsamen Veränderung der Aufgabe zu rechnen.

"Lernendes System"

Die kurz skizzierte Denkrichtung sollte prägende Auswirkungen auf die DV-technische und damit auch auf die gesamte Konzeption des DV-Vorhabens haben. Es sind daher im Sinne von mathematischen Randbedingungen die Punkte "Minimierung der Implementationszeit" und "Maximierung der DV-technischen Flexibilität" nicht nur verbal zu beachten, sondern zu verwirklichen. Salopp formuliert und sicherlich auch etwas überspitzt, könnte die These aufgestellt werden: Beginne zu realisieren, bevor die optimale Konzeption bekannt ist.

An die entsprechende Lösung tastet man sich kontinuierlich heran. Im Kern wird bei einer solchen Realisierungsform nach der Methode eines "lernenden Systems" vorgegangen. Allerdings muß vorausgesetzt sein, daß ein annähernd problemadäquates Soft- und Hardwarepotential zur Verfügung steht, also heutzutage im wesentlichen endbenutzerorientierte dialogfähige Systeme, denn nur dann wird der Optimierungsprozeß von den betroffenen Anwendern (Sachbearbeitern in den Fachabteilungen und Außenstellen) vorangetrieben. Die unmittelbar "präsentierbaren" Verbesserungen zum Ist-Zustand und die tatsächliche Einbeziehung der Endbenutzer in das DV-Vorhaben führen im Regelfall zu einem erheblichen Motivationsschub und in dessen Folge zu Innovationen, die mit der klassischen Methode der Systemanalyse durch externe DV-Experten in dem gleichen Zeitraum kaum erreichbar wären.

Als Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsanalyse der marktgängigen, verfügbaren, intelligenten Datenerfassungsgeräte unter besonderer Bewertung der aufgezeigten Kriterien, Flexibilität und Ausbaumöglichkeit ("Lernfähigkeit") wurden zwei Systeme MDS 21/20 mit je einer Zentraleinheit, einem Diskettenlaufwerk und einem Arbeitsplatz kurzfristig angemietet. Vier Wochen nach Vertragsabschluß wurden die ersten Daten am Bildschirm von Sachbearbeitern erfaßt, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Berührung mit der Datenverarbeitung hatten. Mit Hilfe der MDS-Systemsoftware FDE (Formatierte Datenerfassung) konnten durch Parameterfixierungen benutzerfreundliche Bildschirm-Erfassungsmasken programmiert werden, die das bisher beim manuellen Verfahren verwendete Belegmaterial hervorragend abbildeten. Die erfaßten Daten wurden zunächst per Diskettenkonvertierung auf Magnetband in eine Fidas-Datei auf dem Zentralrechner geladen und dort mit einem zugehörigen Reportgenerator zu mannigfaltigen Bilanzen, Checklisten, Einsatzberichten etc. verarbeitet. Nach wenigen Wochen waren die Sachbearbeiter mit den Systemleistungen so vertraut, daß von ihnen Modifikationsvorschläge ausgingen und somit der erste Optimierungsschritt gestartet werden konnte.

Echte "Distributed Processing"-Lösung

Die Systeme MDS 21/20 wurden um jeweils einen Drucker und um ein zweites Diskettenlaufwerk ergänzt, so daß einfache Protokolle und Sicherungsläufe direkt von den Sachbearbeitern initiiert werden können. Das in der Wasser- und Schiffahrtsdirektion West in Münster installierte System wurde zu einer "Remote Job Entry"-Station erweitert, die mit der Siemens-Anlage in Karlsruhe über einen Wählanschluß gekoppelt ist. Der Datentransfer (2400 Baud) erfolgt mit der Siemens-Leitungsprozedur MSV2.

Synchron mit der qualitativen und quantitativen Ausweitung des zu erfassenden Datenmaterials stiegen auch die Projektanforderungen an den Automationsgrad "vor Ort". Da das Know-how im Umgang mit dem System bei den Anwendern stetig mitgewachsen war und die Modifikationen von ihnen selbst angeregt und mitgetragen wurden, konnte eine echte "Distributed Processing"-Lösung erfolgversprechend in Angriff genommen werden.

Kombination mit einer zentralen Datenbank

Die MDS 21/20-Terminals wurden auf das System MDS 21/40 umgerüstet, und zusätzlich wurde auch die höhere Programmiersprache Mobol (Mohawk Business Oriented Language) eingesetzt. Die eingegebenen Daten werden direkt vor Ort aufbereitet, zusammengefaßt und ausgewertet. Als Stapelstationen korrespondieren die Systeme mit dem Siemens-Rechner und nutzen dort die zentrale Adabas-Datenbank, die hauptsächlich von der Zentralstelle für Schiffs- und Maschinentechnik der WSV in Hamburg per Dialogterminal gepflegt wird.

Das Einsetzen von flexiblen, ausbaufähigen, endbenutzerorientierten "Offline/Online"-Terminals hat sich bewährt. Heute werden auf den mittlerweile vier MDS-Systemen Programme gefahren, die beim Projektstart sich noch gar nicht abzeichneten.

Beispielsweise völlig unbekannt war zu Projektbeginn, welche Bedeutung für die Gesamtbeurteilung von Eimerkettenbaggern das Verhältnis der Hauptnutzungszeit zur Nebennutzungszeit hat. Derzeit werden diese Merkmale auf dem MDS-Terminal des Wasser- und Schiffahrtsamtes in Mannheim für ihre eingesetzten Bagger erfaßt und ausgewertet. Es ist nicht auszuschließen, daß sich nach einigen Rechnungsperioden zeigt, daß dieser Quotient für die Baggergemeinschaft Süd (fachspezifische Arbeitsgemeinschaft von Wasser- und Schiffahrtsämtern des süddeutschen Raums) keine relevanten Informationen mehr bietet. Das "lernende System" wird aufgrund der DV-technischen Flexibilität dann sicherlich in der Lage sein, die bedeutsamen Kennwerte unmittelbar "vor Ort" in Kombination mit einer zentralen Datenbank zu verarbeiten.

Hinrich Bonin ist Mitarbeiter der Bundesanstalt für Wasserbau, Fachgruppe DV, Karlsruhe.