Datenverarbeitung in der Rechtspraxis\

16.11.1979

Überforderte Anwälte, überforderte Richter

Juristische Auseinandersetzungen im Bereich der Datenverarbeitung sind für den Anwender etwas Besonderes, egal ob außergerichtlich oder gar gerichtlich. Die Besonderheiten liegen nicht im gewöhnlich hohen Streitwert mit entsprechenden Kosten. Dieses ist der Anwender aus seinen üblichen Geschäften gewohnt.

Ungewohnt ist, daß der Anwender sich in rechtlicher Hinsicht in der Regel isoliert fühlt. Solange er mit dem Hersteller außergerichtlich verhandelt, sieht er sich - will er einen Rechtsstreit vermeiden - oftmals veranlaßt, aus folgenden Gründen einen faulen Kompromiß zu schließen. Letzterer ist ein Spiegelbild der beiderseits im Rahmen der Verhandlungen aufgebotenen Mittel und Argumente. Die Positionen der Verhandelnden sind insoweit jedoch in der Regel vorgegeben:

Der Hersteller trumpft auf mit einem Aufgebot von erstklassigen Fachleuten, die sich interdisziplinär ergänzen. In dem Verhandlungsgremium befindet sich neben Kaufleuten und Technikern ein Jurist des Herstellers, der in der Datenverarbeitungstechnik zu Hause ist und sich in den speziellen maßgeblich von ihr bestimmten Rechtsproblemen auskennt. Wenn der Jurist nicht ganz schlecht ist, wird er alsbald den Gang der Verhandlung bestimmen. Ist er gut, wird er

Wortführer sein, es sei denn, die Taktik oder das angestrebte Verhandlungsziel gebieten etwas anderes.

Demgegenüber ist der Anwender auf Juristen angewiesen, die tagtäglich etwas ganz anderes tun, als Datenverarbeitungsprobleme zu lösen. In der Regel ist der EDV-Fall ihre erste Bekanntschaft mit der, Datenverarbeitung. Da Rechtsanwälte häufig auf unbekannten Rechtsgebieten tätig werden müssen, akzeptieren sie auch Mandate aus diesem Bereich und versuchen anhand der Fälle, die schon vom Streitwert her interessant sind, sich in die Materie einzuarbeiten. Leider sind diesen gelegentlichen Anstrengungen von vornherein Grenzen gesetzt, die in der Natur der Sache im Klartext, der Technik - begründet sind.

Die rechtliche Einordnung setzt nämlich detailliertes Wissen von datenverarbeitungstechnischen Abläufen und Zusammenhängen voraus.

Das Verhandlungsergebnis ist somit vorprogrammiert. Selbst wenn der Anwender im Einzelfall in seiner subjektiven Wertung der Dinge meint, der Hersteller habe sich im Rahmen des Vergleichsgespräches kulant verhalten, ist er dennoch ohne dieses zu wissen, denn seine Wertung handelt mit unbekannten Größen - oft der Verlierer. Ganz sicher ist den Herstellern nicht der Vorwurf des Übervorteilens zu machen. Jeder nimmt seine Interessen so gut wahr, wie er kann. Dieses ist jedermanns gutes Recht.

Geht es zu Gericht, ist die Position des Anwenders noch schlechter. Dabei spielt der Gerichtsstand des Herstellers, der standardmäßig vereinbart ist, eine gewisse Rolle, denn der Hersteller kann sich aufgrund dessen seines ständig für ihn tätigen Prozeßanwalts bedienen. Entscheidend ist aber, daß auch die Gerichte - selbst die Kammern für Handelssachen - in Datenverarbeitungsprozessen völlig unerfahren sind, in der Regel auch über die Technik nicht einmal das Mindestwissen vorhanden ist, das jedoch erforderlich ist, um den Vortrag des Anwenders und seine Gewichtigkeit einzuordnen. Während der Hersteller nur Miet- oder Kaufvertrag vorzulegen hat, um seinen Vortrag schlüssig zu machen, muß der Anwender, um den gleichen Erfolg zu bewirken, weit ausholen, um den behaupteten Mangel der Leistung oder gar die Falschberatung nachzuweisen. Mangel und Falschberatung sind relativ, da sie sich am Vertrags- beziehungsweise Pflichtgemäßen orientieren. Die Gegenüberstellung des Geschuldeten und tatsächlich Geleisteten ist schwierig genug. Der Vortrag muß verständlich sein (für den Laien!), dennoch substantiiert und vollständig, um einem vom Gericht bestellten Sachverständigen genügend Anhaltspunkte zu geben, ferner um prozessuale Nachteile (Zurückweisung wegen Unschlüssigkeit, Verspätung etc.) zu vermeiden. Die richtige Prozeßführung gelingt jedoch nur, wenn zwischen dem Anwender und seinem Vertreter in technischer Hinsicht ein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeit gegeben ist. Hieran kranken die meisten Prozesse. Erfahrungsgemäß wird der relevante Sachverhalt nicht vollständig von der Partei vorgegeben, sondern muß gemeinsam erarbeitet werden. Was im einzelnen erheblich ist oder unerheblich, erfragt und vertieft werden muß oder als unbeachtlich oder gar schädlich wegzulassen ist, bestimmt die einschlägige Rechtsnorm, die oft schwer genug zu finden ist und zudem für die spröden Datenverarbeitungsprobleme "gangbar" zu machen ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch stammt immerhin aus dem 19. Jahrhundert. Der damalige Computer war ein Rechentisch mit Rechensteinchen, ein sogenannter Abacus!

Oft wissen Gerichte nicht einmal etwas mit den Begriffen Hardware und Software anzufangen. Unbekannt sind auch die Funktionen der, einzelnen Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage. Weitläufig ist auch unbekannt, wie ein Rechenprogramm entsteht und was es beinhaltet. Geradezu unvorstellbar ist aber die Auswirkung von Mängeln der Anlage oder des Programms auf den Betriebsablauf auf die Organisation des Anwenders.

Fortsetzung folgt