Ausländische Konkurrenten sehr erwünscht:

Datenverarbeitung in der arabischen Region

10.04.1981

Der Nahe Osten ist einer der interessantesten Computermärkte der Welt aber auch undurchsichtig und heiß umkämpft. Trotz der beherrschenden Stellung einiger multinationaler Konzerne versprechen die kommenden Jahre bei hektischer Marktentwicklung einige Überraschungen vor allem durch Konkurrenz aus Japan und Europa. Dabei sind Überraschungen weniger im Großrechnerbereich zu erwarten als vielmehr auf dem Sektor der Kleinrechner und Peripheriegeräte. Schon heute betragt der Kleinrechneranteil dort etwa 30 Prozent des gesamten EDV-Marktes.

Die ersten Rechner in der arabischen Region wurden Anfang der 50er Jahre bei der Verwaltung des Suez-Kanals in Ägypten installiert. Seither wird die Kanalbehörde mit den modernsten Rechenanlagen ausgestattet. In den Ölländern verfugen Behörden, ÖIfirmen und Banken ebenfalls über modernste Rechner.

Noch im Jahre 1974 bescheinigte das "Massachussetts Institut of Technology" (MIT) in einer Analyse über den Stand der Datenverarbeitung in der Welt den arabischen Ländern erhebliche Zurückhaltung bei der Anwendung der Computertechnologie. Auf der vom MIT entwickelten Siebenstufen Skala belegten die arabischen Länder die zwei untersten Stufen "Initial" beziehungsweise "Initial to Basic". Nur der Libanon wurde seinerzeit als "Basic" eingestuft.

Seit einigen Jahren zeichnet sich auf dem arabischen Markt eine unverkennbare Trendwende ab. Im Dezember 1978 schrieb B. O. Szuprowicz, Präsident des "21st Century Research" im Fachmagazin Datamation: "Von allen Weltregionen verzeichnen die arabischen Länder den größten Zuwachs an Computer-lmporten, obwohl die Importe im vom Krieg erschütterten Libanon um 83 Prozent zurückgegangen sind. Syrien hat seine Importe mehr als verdoppelt."

Zwei Jahre später, im Januar 1981, schrieb Szuprowicz in derselben Publikation:

"Schon wieder zeigt der Nahe Osten die größte Zuwachsrate an Computertechnologie. Besonders hohe Importquoten verzeichnen solche arabischen Länder, die mit Petrodollars überschwemmt sind und über keine nationale technische Industrie verfugen. Irak und Saudi-Arabien zahlen 1978 zu den drei Ländern mit dem höchsten Importzuwachs an Computertechnologie in der Welt." Tabelle 1 zeigt das Importvolumen in vier arabischen Ländern.

Nach J. Colgatesone bei Itel hat sich der arabische DV-Markt immer noch nicht so entwickelt, wie allgemein erwartet. Viele Länder warteten den Ausgang der ägyptisch-israelischen Verhandlungen sowie die Entwicklung auf dem Mini- und Mikrocomputersektor ab. Im letzten Jahr haben kuweitische Geschäftsleute Gespräche mit US-Unternehmen wie Texas Instruments und Digital Equipment Corp. (DEC) mit dem Ziel aufgenommen, Kuweit und die übrigen Golfstaaten mit modernen Kleinrechnernauszustatten. Diese Gespräche deuten auf eine Belebung des DV-Marktes in der Golfregion hin, trotz der Unsicherheiten, die durch die Revolution in Iran und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Irak und Iran verursacht wurden.

Wenige Konzerne

Traditionsgemäß wird der arabische DV-Markt von wenigen multinationalen Konzernen beherrscht. IBM führt mit etwa 50 Prozent Markanteil (wertmäßig sogar bis zu 70 Prozent). Weitere Marktführer sind Cll-Honeywell Bull, NCR, ICL und DEC. Die Aufnahmekapazität und die günstigen Vertriebsbedingungen in der arabischen Region locken immer neue Anbieter und Software-Häuser an. So sind allein in Saudi-Arabien 35 der 50 größten DV-Anbieter mit Niederlassungen vertreten .

Die arabischen Fachleute erwarten in nächster Zukunft eine weitere Belebung der Konkurrenzverhältnisse durch japanische Anbieter, die sich offenbar auf eine Großoffensive im Nahen Osten vorbereiten. Die Japaner werden sich jedoch allem Anschein nach auf Kleinrechner, (IBM-kompatible) Endgeräte und auf Datenerfassungsgeräte konzentrieren.

Völlig unsicher verhalten sich hingegen viele europäische Hersteller. Schüchterne Versuche deutscher Firmen haben den Durchbruch im Nahen Osten wie in Irak, Jordanien, Libanon bisher nicht erreicht. Insbesondere fällt es vielen deutschen Managern schwer, sich auf das Geschäftsgebaren in den arabischen Ländern einzustellen.

In den arabischen Ländern erwartet man jedoch, daß sich weitere europäische Hersteller auf ihre Märkte begeben. Inzwischen übersteigen die arabischen DV-lmporte aus den westlichen Industrieländern bei weitem die des gesamten Comecon-Blocks. Das Fernbleiben großer europäischer Hersteller von diesem nahegelegenen und lukrativen Markt ist für viele Kenner der DV-Szene nur eine Frage der Zeit, zumal der wieder aufgenommene Europäisch-Arabische Dialog (EAD) der Zusammenarbeit zwischen beiden Regionen im technologischen und wissenschaftlichen Bereich neue Impulse geben wird. Im Rahmen des E AD ist unter anderem die Errichtung eines gemeinsamen Technologie-Transfer-Zentrums (TTZ) geplant.

Die arabischen Anwender begrüßen jeden Konkurrenten der marktbeherrschenden Multis. Sie versprechen sich davon bessere Verhandlungspositionen und größere Geräteauswahl. In diesem Sinne richtet sich eine Empfehlung der "Arab League Educational, Cultural and Scientific Organisation (ALECSO) an alle arabischen Staaten, sich für die Ansiedlung neuer DV-Anbieter einzusetzen und damit für gesunde Wettbewerbsverhältnisse zu sorgen.

In einem Alecso-Bericht von Januar 1978 wird der arabische DV-Markt folgendermaßen charakterisiert:

- Großes Interesse der Hersteller an den reichen Ölländern als vielversprechendem Markt für Hard- und Software sowie sonstigen Diensten.

- Unausgewogenes Verhältnis zwischen dem starken Verkaufsdruck seitens der Multis und der bürokratischen Entscheidungsfindung der Anwender, denen es an Know-how und Erfahrung fehlt.

- Fehlen von Produktionsstätten und Mangel an subsidiären Ausbildungs- und Trainingszentren sowie der erforderlichen technischen Unterstützung in der Region.

- Leichte Durchdringung des Marktes mit einem Minimum an Aufwand und Initiative.

- Fehlen finanzieller Mittel bei den meisten Nicht-Ölländern.

In allen Ländern der Region werden DV-Systeme in der Regel allein aufgrund technischer Überlegungen angeschafft; aufgabengerechte Lösungen sind dabei die Ausnahme. Die Folgen sind meist:

- geringe Wirtschaftlichkeit der DV-Systeme,

- DV-Überkapazitäten,

- geringe Auslastung der Systeme (Tabelle 2),

- Verwendung komplexer Datenbanksysteme für einfache Aufgaben, deren Erledigung dadurch eher erschwert wird,

Aufbau komplexer Kommunikationsnetze, die durch die gestellten Aufgaben nicht gerechtfertigt sind.

Die Anbieter ihrerseits orientieren sich bei ihren Vorschlägen allein an der ökonomischen und politischen Machbarkeit, nicht aber an der Notwendigkeit und Eignung der Systeme. Dies spiegelt sich in den Ablösezeiten der Systeme in den verschiedenen Ländern wider. In einem Extremfall wurde eine große Installation in einem Golfstaat innerhalb von sieben Jahren dreimal total und achtmal zu einem großen Teil erneuert. In Ägypten hingegen beträgt die Ablösezeit durchschnittlich acht bis zehn Jahre. Dort sind wiederum noch "Großrechner" im Einsatz, die längst durch leistungsfähigere und wirtschaftlichere Minis abgelöst werden könnten.

Vielfach setzen die Anbieter gerade in zahlungsschwachen Ländern besonders harte Zahlungsbedingungen durch. So werden bei Mietverträgen nicht selten Vorauszahlungen in Höhe von 20 bis 25 Monatsmieten verlangt. Die Verhandlungsposition der Anwender wird dadurch geschwächt, daß DV-Systeme auf Leasing-Basis in der ganzen Region nicht angeboten werden.

Bessere Anlagennutzung

Neben dem rapiden Zuwachs an Rechnerkapazitäten zeichnet sich in den arabischen Ländern ein deutlicher Trend zur besseren Nutzung der DV-Technik ab. Viele Anwender, die sich bislang mit den angebotenen Standardsystemen zufriedengaben, gehen dazu über, ihre Anforderungen und Sonderwünsche vor allem an die Software zu artikulieren und in Zusammenarbeit mit den Herstellern und Software-Häusern durch Anpassung der Systeme und Neuentwicklungen zu befriedigen. Einige Länder wie Algerien und Ägypten sind bemüht, nationale Experten für die Wartung der Systeme sowie für die Anpassung und Erstellung von Anwendungssoftware auszubilden. Damit versuchen diese Länder eine Teilautonomie zu erreichen.

Die arabischen Länder lösen sich allmählich von den veralteten DV-Techniken und -Verfahren (zentralisierte, lochkartenorientierte Stapelverarbeitung) und wenden sich modernen Verfahren zu. So wurde im Irak ein Rechnerverbundnetz auf der Basis von 21 über das ganze Land verteilten. Kleinrechnern aufgebaut. Auch in Kuweit wird ein landesweiter Rechnerverbund, der ursprünglich für Stapelverarbeitung eingesetzt war, auf Dialogbetrieb umgerüstet.

Neben den traditionellen Anwendungen im kommerziellen Bereich werden zunehmend neue Anwendungsgebiete erschlossen. So wurden in Saudi-Arabien bereits mehrere Krankenhauser mit Rechnern ausgestattet. In Ägypten wird die Wettervorhersage auf der Basis eines mathematischen Modellrechners ermittelt und die Fluggesellschaft Egyptair hat vor kurzem ein weltweites Flugbuchungssystem eingeführt. Auch die bekannte Zeitung Al-Ahram, die ihre Dienste weit über die Landesgrenzen hinweg anbietet, verwendet seit Jahren DV- und Mikrofilmtechnik im Archiv und zur Unterstützung von Planungs- und Managementaufgaben.

Unter allen arabischen Ländern dürfte jedoch Algerien das umfangreichste und anspruchsvollste Fünf-Jahres-Programm aufgestellt haben, das einen breiten DV-Einsatz im Gesundheits- und im Bildungswesen vorsieht. Der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal ist eines der größten Probleme der DV-Anwendung in der arabischen Region. Hinzu kommt, daß die Einheimischen wenig gefördert und praktisch nicht als vollwertig angesehen werden. Die Ausbildung arabischer Fachleute ist in erster Linie technisch orientiert und meist auf die Produkte jeweils eines Herstellers ausgerichtet. Eine große Zahl gut ausgebildeter und trainierter Experten in den arabischen Ländern mit höherem Bildungsniveau wird von den reichen ÖIstaaten angelockt beziehungsweise abgeworben. So betragt der Anteil der ausländischen Systemanalytiker in Kuweit 88 Prozent und in Saudi-Arabien sogar 94 Prozent. Selbst im Managementbereich erreicht der Anteil der Ausländer 63 bzw. 53 Prozent.

Besondere Schwierigkeiten bereitet immer wieder die Verwendung der, arabischen Sprache in Datenverarbeitung und Datenübertragung. Erst in den letzten Jahren bemühen sich die arabischen Länder ernsthaft, ihre Schriftzeichen zu standardisieren und damit den Anschluß an die internationalen Standards zu finden. Das unter Mitarbeit des "Intergovernmental Bureau for Informatics" (IBI) mit Sitz in Rom gegründete "Comitee on Arabic in Informatics" (Coarin) hat auf einen gemeinsamen Vorschlag von Irak und Marokko hin und in Anlehnung an die a ASCII- und EBCDIC-Codes den 7-Bit-Code Codar-U als Empfehlung herausgegeben. Inzwischen wird die Normwürdigkeit des vorgeschlagenen Codes von den arabischen Ländern bescheinigt. Anfang 1980 nahm "Service de la Normalisation Industrielle Marocaine" (Snima) Gespräche mit ISO TC 97 mit dem Ziel auf, Codar-U als internationalen Standard zu verabschieden. Die Norm soll einen Terminologieteil entsprechend ISO-2382/IV und einen Codeteil entsprechend ISO-646 (arabische Version) enthalten.