Datenverarbeiter hoffen auf Einführung der 40-Stunden-Woche

24.02.1984

Desinteressiert bis skeptisch stehen die Datenverarbeiter der vieldiskutierten Einführung der 35-Stunden-Woche gegenüber. Eine Arbeitszeitverkürzung hält Dieter Purkart, DV-Berater der Apollo GmbH, lediglich im Operating oder in der Datenerfassung für denkbar. Peter Lange-Hellwig, Geschäftsführer des VDRZ, geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn ist die Einführung der 35-Stunden-Woche in den gewerblichen Service-Rechenzentren bei überwiegend gleitender Arbeitszeit, Schichtbetrieb und im Bedarfsfall Sonn- und Feiertagsarbeit kein Thema. Resümiert Apollo-Berater Purkart: "Der größte Teil der in der DV Tätigen wird von der Umstellung auf die 35-Stunden-Woche im gleichen Maße unberührt bleiben, wie auch die Vorteile der 40-Stunden-Woche an ihnen vorübergegangen sind."

Günther Fischer DV-Leiter, Laudenbach

Obwohl die Gewerkschaften die 35-Stunden-Woche zum Reizthema machen wollen, sind viele Arbeitnehmer, auch die von der sogenannten Basis, bemerkenswert desinteressiert. Es scheint, als ob die arbeitenden Menschen die Unmöglichkeit des Unterfangens zum jetzigen Zeitpunkt spüren. Für jeden, der von seiner Hände oder seines Geistes Arbeit lebt, ist "mehr Brot" mit den Begriffen "mehr Arbeit", "Überstunden" oder "mehr Verantwortung" verbunden. Will man es bequemer haben, muß man sich zunächst einmal mehr anstrengen.

Auch ist die Gewerkschaftslogik, kürzere Arbeitszeit bringe mehr Arbeitsplätze, für die meisten Arbeitnehmer kaum einleuchtend. Zu sehr fürchten die Arbeitsplatz "besitzer", mit dieser Begriffsbildung wollen die Funktionäre wohl Gewissensbildung betreiben, daß hiermit nur ein neuer Umverteilungsplan ausprobiert werden soll.

Die skeptische und desinteressierte Stimmungslage der Arbeitnehmer wird von interessierter Seite wohl als emotionale Schieflage abgetan, die es mit werblichen Mitteln umzubiegen gilt. Auch die wirtschaftliche Undurchführbarkeit angesichts des hohen deutschen Arbeitskostenniveaus wird wohl als kapitalistische Desinformation in Abrede gestellt werden. Wie aber sieht es mit der Realisierung im technisch-organisatorischen Bereich in der DV aus?

Ich habe mir lange überlegt, wie und ob ich die 35-Stunden-Woche in meinem Ressort einführen könnte. Zu ihm gehören die Bereiche Datenverarbeitung, Direktwerbetechnik und Kundenbetreuung; es umfaßt also ein recht breites Spektrum von Arbeitsarten. Meine sonst recht fleißige Phantasie hat mich allerdings bei dieser Frage im Stich gelassen.

Es wäre jedoch vorstellbar, daß die 35-Wochen-Stunden-ldee in ausgesprochenen Schmutz- und Schwitzberufen eher Sinn macht, und man dort auch bereit ist, größere Anstrengungen zu machen, um Sachwiderstände zu überwinden.

Wahrscheinlich sind sinnvoller Arbeitsschutz und Rationalisierung populärer, als die bloße Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Denn schließlich macht es wenig Unterschied ob man 35 oder 40 Stunden am lauten und heißen Schmiedewerk schuftet.

Ganz unabhängig von diesen Überlegungen scheint es, daß das 35-Wochenstunden-Theater in dieser Form ein Mißerfolg wird. Denn die gewerkschaftliche Strategie ist werblich nicht sehr geschickt aufgezogen, nicht nur mit Seitenblick auf die Plakatgestaltung. Auch die Tatsache, daß die .Aktion an den wahren Bedürfnissen der gewerkschaftlichen Basis, den arbeitenden Menschen, vorbeizieht, wird sich auswirken.

Die Arbeitgeber als Gegenseite sollten sich angesichts der gewerkschaftlichen Ungeschicklichkeit aber nicht in] falscher Sicherheit wiegen, sondern mit unternehmerischer Kreativität und Flexibilität handeln. Denn die Gewerkschaften haben schon oft bewiesen, daß sie lernfähig sind und gerade für soziale Prozesse gilt die alte Weisheit: "Steter Tropfen höhlt den Stein"

Peter Lange-Hellwig Geschäftsführer VDRZ Verband Deutscher Rechenzentren e. V., Hannover

Der Verband Deutscher Rechenzentren hat anläßlich seiner Jahrestagung 1983 dem Thema "35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" breiten Raum gegeben.

Das für Automationsfragen zuständige DGB-Vorstandsmitglied Siegfried Bleicher führte in einem Grundsatzreferat aus daß die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eine unabdingbare Forderung aller Gewerkschaften in der Bundesrepublik darstellt. Vordergründig argumentiert die Gewerkschaft damit, daß mit dieser Maßnahme neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Rechnerisch ist dies auch nachvollziehbar, denn auf jeden achten Arbeitsplatz käme ein neunter, zusätzlicher. So weit, so gut. Nur, es geht nicht nur um die 35-Stunden-Woche, sondern auch um den vollen Lohnausgleich. Läßt man die gleiche rechnerische Logik wie oben gelten, müßte der neunte zusätzliche Mitarbeiter unentgeltlich arbeiten, soll das Ganze nicht teurer werden.

Ist aber die Teuerung einkalkuliert, hätte man gleich mehr Geld fordern können. Das Ganze ist also im wesentlichen ein Politikum, das in den Bereich der Tarifauseinandersetzungen gehört und nicht in die Diskussion mit betriebswirtschaftlicher Relevanz.

In den gewerblichen Service-Rechenzentren war die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich - sieht man von Ausnahmen ab - bisher kein Thema. Die Mitarbeiter identifizieren sich in hohem Maße mit den Unternehmenszielen. In einem durchaus harten Wettbewerb entscheidet auf dem Gebiet des DV-Service, also RZ-Leistung und DV-Beratung, das Leistungsprinzip. Wollte man die Meßlatte des öffentlichen Dienstes mit mehr oder weniger festgefahrenen Strukturen, mittelmäßigem Einkommen und relativ sicheren Arbeitsplätzen an die Branche der Service-Rechenzentren anlegen, würden diese heute nicht mehr existieren. Ein Großteil der Mitarbeiter ist Unternehmens- oder ergebnisbeteiligt. Dies erklärt den hohen Grad an "corporate identity", aber auch ebenso die hohen Freiheitsgrade, die RZ-Mitarbeiter im Unternehmen auszeichnen. Know-how, Leistungsbereitschaft und Engagement auf der einen Seite, leistungsgerechte, überdurchschnittliche Verdienste und Freiheitsgrade auf der anderen Seite charakterisieren das Arbeitsklima im Service-Rechenzentrum. Durch die enge, oft persönliche Verzahnung mit den marktabhängigen, wettbewerbsorientierten Unternehmenszielen verwischen sich im RZ-Dienstleistungsunternehmen mehr und mehr überkommene Begriffe wie Arbeitgeber- und Arbeitnehmermotivation.

Auch von der Betriebsabwicklung im Service-Rechenzentrum bei überwiegend gleitender Arbeitszeit, Schichtbetrieb und im Bedarfsfalle Sonn und Feiertagsarbeit dürfte die Einführung der 35-Stunden-Woche kein Thema sein.

Möglicherweise ist die Frage im Zusammenhang mit der 35-Stunden-Woche gar nicht so abwegig, was wohl passieren würde, wenn die vielgeschmähten mittelständischen Unternehmer sich auf die gleiche Arbeitszeit zurückziehen würden. Im DV-Service-Bereich würde dies den Niedergang der Branche bedeuten. Erfolgreiche Arbeit kann durchaus Freude bereiten, und das Geldverdienen auch.

Dieter Purkart DV-Berater, Apollo GmbH, EDV- und Uternehmensberatung, München

Arbeitszeitverkürzung und ein Ausgleich der verlorenen Produktionszeit pro Arbeitskraft durch Einsatz zusätzlicher Mitarbeiter wird nur bei den Funktionen möglich sein, die hauptsächlich operativen Charakter haben, bei denen eine zeitliche Aufgabenstellung am ehesten möglich ist.

Werden die zahlreichen EDV-Funktionen grob gruppiert, so erhält man eine Bandbreite die von der EDV-Leitung über die Systemplanung, -analyse und Organisation, über die Anwendungs- und Systemprogrammierung bis zur Arbeitsvorbereitung, zum Operating und zur Datenerfassung reicht. Die meisten dieser Tätigkeiten sind ganz oder überwiegend dispositive Tätigkeiten, bei denen eine Aufgabenverteilung auf mehrere Köpfe im Hinblick auf eine beschleunigte und qualitativ verbesserte Aufgabenerledigung nicht sinnvoll Ist: Die Durchführung einer Programmänderung wird nicht dadurch beschleunigt, daß zwei Programmierer statt einem in der Programmliste blättern; die Planung eines Arbeitsablaufs wird nicht schneller abgeschlossen, wenn drei statt zwei Personen darüber nachdenken etc. Das bedeutet aber andererseits, daß diese dispositiven Aufgaben länger dauern werden, wenn pro Aufgabenträger weniger Wochenarbeitszeit zur Verfügung steht.

Bleiben also noch die operativen Tätigkeiten: Hier ist eine Aufgabenverteilung auf mehrere Mitarbeiter grundsätzlich möglich, vorausgesetzt, der Aufgabenträger hat vorwiegend nur diese operative Aufgabe auszuführen. Und gerade das ist eigentlich nur in wenigen großen EDV-Bereichen (bezogen auf die Anzahl der Mitarbeiter) der Fall, wo für spezielle Aufgaben auch spezielle Personen eingesetzt sind. In vielen kleineren und mittleren EDV-Abteilungen müssen wenige Mitarbeiter viele EDV-Funktionen gleichzeitig ausführen (Systemanalyse und Programmierung und Operating), so daß aufgrund der darin enthaltenen dispositiven Tätigkeiten eine zeitliche Arbeitsteilung nicht durch zuführen ist.

Im Operating oder in der Datenerfassung eines EDV-Großbetriebes ist eine Arbeitszeitverkürzung pro Mitarbeiter bei einem Leistungsausgleich durch Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte theoretisch denkbar: Bereits in der Wirtschaft diskutierte Vorschläge wie zwei Arbeitsplätze auf drei Arbeitnehmer zu verteilen, damit die EDV-Anlage statt 80 Wochenstunden (2 mal 40 Stunden} dann 105 Stunden (3 mal 35 Stunden) genutzt wird", sind zumindest rechnerisch überzeugend. Zur Realisierung dieser Rechnung muß aber erst die zusätzliche Aufgabenmenge ständig vorhanden sein, um eine Mehrarbeitszeit von 25 Stunden zu rechtfertigen. Nur kurzfristiger Anfall von Mehrarbeit wird sicher auch weiterhin von denselben Mitarbeitern wie bisher durch Überstundenarbeit oder durch Verlagerung auf externe Dienstleister ausgeglichen. Wie aber soll der Bedarf an Operating- und Datenerfassungsleistungen dauerhaft gesteigert werden? Wohl kaum durch den Einsatz langsamerer Computer und damit zusammenhängend mit der Verlängerung der Laufzeiten der vorhandenen Programme, sondern schon eher durch die Übernahme von neuentwickelten Problemlösungen auf die EDV-Anlage. Die Entwicklung neuer Programme wird aber bei einer Arbeitszeitverkürzung langsamer vorankommen als bisher (siehe oben), was wiederum durch Überstunden verhindert werden wird.

Andererseits gibt es kurzfristig keine wirtschaftlich vertretbaren Möglichkeiten, die Produktivität der EDV-Maschinen so zu erhöhen, daß deren Ergebnisse bei einem 35-Stunden-Einsatz dieselben sind wie früher bei 40 Stunden: Die Verarbeitungsgeschwindigkeit einer bestehenden EDV-Anlage läßt sich nicht steigern, so daß die abgearbeitete Menge an Batch- und Dialoginformationen entsprechend kleiner ist wenn "der Strom fünf Stunden früher abgeschaltet wird". Da niemand diesen Informationsverlust so einfach hinnehmen möchte, werden die Computer weiterhin in den bisherigen Zeiträumen aktiv sein, genauso wie die Personen, die sie ..füttern; bedienen und abfragen"

Ergebnis: Der größte Teil der in der EDV Tätigen wird von der "Zeitumstellung" auf die 35-Stunden-Woche im gleichen Maße unberührt bleiben wie die Vorteile der 40-Stunden-Woche an ihm vorübergegangen sind.