Großanwender ändern Organisationsstruktur

Datenerfassung: Zurück zum Batch?

23.04.1982

Von Wolf Webers

Auch im EDV-Bereich gibt es Leute ,die Mode machen, und solche, die sie kaufen. Gleich, was es kostet. Man muß nur dabeisein. Von den "DV-Poppern" heben sich diejenigen Spezialisten ab, die bereits Ende der fünfziger Jahre mit einem Karton Lochkarten unterm Arm im Rechenzentrum eines Computerherstellers den Grundstein für eine bahnbrechende DV-Organisation legten - vor der im Unternehmen heute noch profitiert wird.

Am Anfang dieser Entwicklung stand die Datenerfassung. Zunächst mit Hilfe der Lochkarte, produziert mit Handlochern, elektromagnetischen Lochern und in der Folge mit elektronisch gesteuerten Lochern und Prüfern. Letztere brachten bereits bis zu 50 Prozent mehr Leistung durch Wegfall mechanischer Technologie.

Anfang der siebziger Jahre hatten sich die ersten Anwender der neu auf den Markt gekommenen "Datensammelsysteme mit angeschlossenen Bildschirmplätzen" zu früh der Hoffnung hingegeben, daß hinfort die eingegebenen Daten im gleichen Arbeitsgang durch Sichtkontrolle am Bildschirm geprüft werden könnten. Und somit der zweite Arbeitsgang der Tastaturprüfung entfallen würde.

Nach zwei Stunden am Bildschirm nimmt die Fehlerquote zu

Viele Jahre vorher, ehe sich die Gewerkschaften dieser Probleme angenommen hatten, erkannten die gewiefteren Pragmatiker unter den DV-Organisatoren, daß bereits nach zwei bis drei Stunden konzentrierter Tätigkeit am Bildschirm die Leistungsfähigkeit der Datentypistinnen einerseits ab -, die Fehlerquote andererseits jeweils logarithmisch zunahm. Gewerbliche Datenerfassungsbetriebe waren die ersten, die diesen Unfug kurzfristig abgestellt haben und die erfaßten Daten wieder wie früher per Tastatur prüfen ließen. Nicht zuletzt wegen steigender Reklamationen der Kundschaft und entsprechender Auswirkungen auf die Ergebnisspalte der Jahresbilanz.

Die Erklärung für dieses Phänomen menschlicher Reaktionen trug der Hauspsychologe des Landesbesoldungsamtes Wien, Dr. Leitgeb, vor den Teilnehmern des ersten europäischen Kongresses der damaligen

"Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lochkartenfachleute e. V., ADL" und "Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Lochkartenfachleute e. V., ADV" bereits 1962 in Wien vor.

Das Ablesen von Daten vom Beleg und die nachfolgende Eintastung auf Datenerfassungsgeräten beanspruche nur das motorische Nervensystem des Menschen, nicht jedoch die Hauptfunktionen des Gehirns.

Lesen und Umsetzen des Gelesenen auf einer Tastatur sei ausschließlich ein "mechanischer Vorgang" innerhalb des menschlichen Nervensystems, der durch Übung erlernt und damit zu außerordentlichen Leistungen gesteigert werden könne. Dieser mechanische Vorgang würde nur dann unterbrochen, wenn "logischkombinative" Entscheidungen verlangt werden.

Erst fehlende oder als nicht zulässig erkannte Daten würden diesen mechanischen Vorgang unterbrechen, weil damit die Hauptfunktionen des Gehirns durch den "logisch-kombinative Eingriff" in Anspruch genommen und damit die Routine des motorischen Ablaufs zwischen Erkennen und aktiver Tätigkeit unterbrochen werde.

Bildschirmdialog nicht um jeden Preis

Damit wäre auch, so der damalige Lehrbeauftragte der Universität Wien, das Phänomen zu erklären, warum Datentypistinnen sich während der Tätigkeit der Datenerfassung mit Kolleginnen ungestört unterhalten würden, ohne daß dadurch die quantitative und qualitative Leistung reduziert wird.

Der Referent wies darüber hinaus nach, daß der Lesevorgang von Daten vom Beleg und damit die Geschwindigkeit der Datenerfassung durch Vordrucke, die Wörter optisch in Einzelbuchstaben "zerhacken", den Vorgang der Datenerfassung erheblich behindern und verlangsamen; zum Beispiel " H/U/B/E/R/M/A/N/N "gegenüber "Hubermann". Dies begründete der Psychologe mit der Tatsache, daß die derzeit lebende Generation im Gegensatz zu früheren Generationen im Lesen von ganzen Wörtern, nicht einzelner Buchstaben, geschult ist. Wobei auch das Lesen von Worten mit Großbuchstaben den motorischen Erkennungsprozeß zusätzlich behindern würde.

Der Denkanstoß aus dieser wissenschaftlichen Erkenntnis dürfte heute mehr denn je aktuell sein. Der Dialog mit dem Computer "um jeden Preis", wie er heute mit Euphorie und Fortschrittsglauben vorangetrieben wird, übergeht in den meisten Fällen die physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Menschen. Vielmehr hat sich der Mensch den Gesetzmäßigkeiten des Computer-Dialogs anzupassen.

Betriebswirtschaftlich gesehen wird jedoch ein Optimum an Leistung und Erfolg nur dann erreicht, wenn die Leistung des Menschen mit der Technologie in allen Bereichen optimal integriert wird.

Im konkreten Fall der Datenerfassung heißt dies: Die Umstellung von "serieller" Datenerfassung (Batch) auf Computer-Dialog kann ein Vielfacher der Kosten im Vergleich zum bisherigen Leistungsergebnis zur Folge haben.

Es gibt heute Unternehmen, die bereits mehr als drei Prozent ihres Umsatzes für diese Experimente berappen.

Der "Plankosten-Papst" Plaut glossierte derartige betriebswirtschaftliche Fehlentwicklungen bereits Anfang der sechziger Jahre treffend: "Es gibt drei Arten, ein Unternehmen zu ruinieren, die angenehmste mit Frauen, die sportlichste mit Pferden, die sicherste mit EDV".

Nicht nur Großunternehmen stellen heute ihre Dialog-Buchhaltung bereits wieder auf Batch-Versionen um. Auch im Bereich der Finanzverwaltung des Freistaates Bayern wird derzeit die Oranisationsstruktur geändert. Nach den neuen Richtlinien soll ein Sachbearbeiter des Freistaates nicht mehr als zehn Prozent seiner Arbeitszeit am Bildschirm mit der Eingabe von "Massen-Daten" verbringen. Diese Daten werden künftig wieder durch Datentypistinnen über intelligente Datensammelsysteme "seriell" erfaßt - selbstverständlich mit Plausibilitätskontrollen, Nummernprüfsystemen und anderen Kontrollroutinen.

*Wolf Weber ist Unternehmensberater in München.