Datenbanken aus heimischen Landen

23.11.1984

Dr. Gert Wüstenhoff, Leiter der Informationsdienste Heinrich Mack Nachfolger und Pfizer Deutschland, Illertissen

Der Gastkommentar von Dietrich Jennrich (COMPUTERWOCHE, Nr. 29 vom 13. Juni 1984) bedarf meiner Meinung nach einer Ergänzung aus der Perspektive des Informationsvermittlers.

Er beklagt zu Recht den Aufbau eines riesigen Informationsmonopols in den USA, angeboten in Datenbanken, die von jedem Punkt der Welt aus erreichbar sind. Je weiter der Vorsprung wächst, desto sinnloser erscheint es, mit europäischen Eigenentwicklungen dem fahrenden Zug hinterherzulaufen. Der Grad unserer Abhängigkeit von diesem Monopol ist heute schon beängstigend.

Deutsche Daten für USA

Tatsächlich produzieren die europäischen Länder aber soviel eigenständige und hauptsächlich für sie selber nützliche Informationen, daß der Aufbau eigener Datenbanken immer noch ökonomisch, überlebensfähig und zeitgerecht wäre. Gleichzeitig könnte man den Amerikanern etwas anbieten, an dem sie interessiert sind. Das Joint-venture zwischen Chemical Abstracts Service und dem Fachinformationszentrum 4 mit Direktverbindung der beiden Computer in Columbus und Karlsruhe und Gemeinsamer Nutzung der auf beiden Seiten des großen Teichs angebotenen Datenbanken beweist: Die Amerikaner greifen durchaus zu, wenn sie zur Abwechslung einmal etwas aus Europa bekommen können.

Doch wie steht es nun mit der Nutzung der vielen Datenbanken? Die Behauptung, deutsche Unternehmen nutzen die bestehenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nur mit großer Zurückhaltung, stimmt mit Sicherheit nicht. Zu den regelmäßigen Nutzern der weltweit angebotenen Datenbanken gehören Vertreter nahezu aller Ebenen unserer Volkswirtschaft, etwa die chemisch-pharmazeutische Industrie, Elektro- und Maschinenbau-Branche, Computer-Hersteller wie Flugzeugbau-Industrie. Ferner sind dabei die öffentliche Hand zusammen mit Bundeswehr, Bundestag, Universitätsbibliotheken und Kliniken; nicht zu vergessen die Max-Planck-Gesellschaft.

Auch Freiberufler wie Patentanwälte nutzen das Angebot und natürlich die Information Broker. Verlage und Zeitungen sollten vielleicht diese keineswegs vollständige Aufzählung abschließen.

An den Universitäten Konstanz und an der TU in Berlin haben Akademiker inzwischen die Möglichkeit zum Aufbaustudium in den Informationswissenschaften mit Zielrichtung Einsatz in der Informationsindustrie. Einige der erwähnten Industriezweige, wie die chemisch-pharmazeutische Industrie waren an der Entwicklung von Informationssystemen maßgeblich beteiligt. Ohne diese Vorleistung wäre beispielsweise die Patentinformation nicht auf ihrem hohen Entwicklungsstand.

DBs bieten zu wenig

Der Verdienst der Amerikaner liegt daher - wie so oft - eher im Entdecken von Marktchancen und deren konsequenter Nutzung trotz des schwer kalkulierbaren Risikos. Dabei entstand der völlig neue Industriezweig der Informations-Großhändler (Host, database spinner, database vendor). Die Entwicklung leistungsfähiger Dialogsprachen zum Recherchieren in den Datenbanken schaffte die Voraussetzungen für das rasante Weiterwachsen. Das ging natürlich nicht ohne die parallele Installation privater Telekommunikationsnetze .

In Deutschland wurde zur gleichen Zeit ebenfalls an dem Konzept des Datenbank-Anbieters gebastelt, aber eben "mit Hilfe" von interministeriellen Ausschüssen, Planfeststellungsverfahren, Aufsichtsgremien, Rechnungshöfen und - last but by far not least - des Fernmeldemonopolisten.

Daß dabei überhaupt etwas herausgekommen ist, spricht für die Zähigkeit der Beteiligten - inklusive der frustrierten Online-Nutzer der ersten Stunde. Die Aussicht, sich als Datenbankhersteller bei ohnehin hohem Geschäftsrisiko in die Abhängigkeit staatlicher Hosts begeben zu müssen, hat deutschen Datenbanken sicherlich nicht sehr geholfen. Daher sind Anbieter wie das DIMDI auch heute noch gezwungen, als rein deutsche, staatliche Einrichtung amerikanische Produkte zu vertreiben.

Die Beteiligung deutscher Unternehmen, als Kunden, Hosts und seit einiger Zeit auch als Datenbankhersteller am Informationsgeschäft gestaltet sich also sehr vielfältig. Sicherlich kann man da kein Problem finden.

Mir erscheint es sinnvoller, den Grund für die noch nicht optimale Nutzung der rund 2000 verfügbaren Datenbanken durch deutsche Firmen und Endverbraucher an einer anderen Stelle zu suchen. Während das Btx-Projekt auf Dauer für jeden Bürger ein brauchbares Angebot darstellen mag, gilt dies in keiner Weise für die komplexen und ausnehmend großen wissenschaftlich/technischen Dateien, gleichgültig, wieviele Mikrocomputer jemand in seiner Bastelecke stehen hat. Unternehmen, die nicht forschen, die nicht innovativ tätig sind, die nicht auf Analysen komplizierter Marktvorgänge angewiesen oder Freiberufler, die nicht kreativ tätig sind, die nicht von aktuellen Informationen auf Zeitungsdatenbanken oder Presseagenturen leben, können und wollen dieses Angebot gar nicht nutzen. Dabei darf auch nicht vergessen werden, das bloß Spielen mit diesen Datenbanken ziemlich ins Geld gehen kann. Kleine Firmen haben vielleicht begrenzten Bedarf, müssen aber wegen der relativ hohen Einstiegskosten in das Online-Zeitalter, vor allem im Personalbereich, erst einmal passen. Diese Personalfrage ist der eigentlich kritische Punkt, da zumindest augenblicklich für die Informationsvermittlung sehr hoch qualifizierte Fachleute benötigt werden.

Für die Kleinabnehmer und Gelegenheitsnutzer gibt es jedoch professionelle Informationsvermittler, und seit einiger Zeit richten auch die Handelskammern Vermittlungsstellen ein. Letztere könnten wegen des zentralen Auftrages und der guten Zugangswege zu den Betrieben ihres Einzugsgebietes zur idealen Informationsquelle werden.

Zukunftsmusik in diesem Zusammenhang ist noch die Umwandlung der öffentlichen Bibliotheken - auch in Kleinstädten - zu Informationszentren, wo neben dem Buch das gesamte Instrumentarium der kommenden Informationsgesellschaft zur Verfügung stehen könnte: Video Ausrüstung, Bildplattenleser, Mikrofilm-Lese- und Kopiergeräte, Btx-Anschlüsse, Online-Terminals etc. Diese Entwicklung setzt aber wohl einen Generationswechsel bei den Bibliothekaren und Kommunalpolitikern voraus.

In den letzten Jahren haben sich in Europa mehr Hosts angesiedelt als in den USA, und die Informationslandschaft ist recht lebendig geworden. Allerdings leben wir weiterhin von der geborgten Information; der Wurm steckt im fehlenden Angebot hausgemachter Datenbanken. Wie ist es etwa möglich, daß trotz des riesigen Erfolges der juristischen Datenbank LEXIS in den USA und des offensichtlichen Bedarfes für solch eine Datei das deutsche JURIS-Projekt immer noch nicht online ist?

Daten und Bedingungen

Leider kann man diese Fehlentwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen, es geht nämlich das böse Wort vom kommenden und für viele schon verlorenen Informationskrieg um. Tatsächlich wird vielen von uns angst und bange bei dem Gedanken, daß man eines Tages an den Zugang zu den amerikanischen Datenbank-Fleischtöpfen andere als finanzielle Bedingungen knüpfen könne. Sobald Information einen ähnlichen Stellenwert wie Kapital und Arbeit einnimmt, liegt der Gedanke an eine politische Ausnutzung des bestehenden Informationsmonopols sehr nahe. Finanzielle Konditionen, die nahe an Erpressung grenzen, kennen wir im Umgang mit einigen für uns wichtigen Datenbankherstellern schon seit einiger Zeit. Wirklich gefährlich aber würde die Trennung der innovationsträchtigen Information für den Hausgebrauch, von der für den Export bestimmten. Vielen Fachleuten erscheint es fraglich, ob der Informationsmarkt ein freier Markt bleiben wird. Ersatz haben wir zur Zeit nicht. Der Ruf nach dem Staat ist zwecklos. Uns bleibt nur der Einsatz privaten Kapitals.

Mir erscheint die Zeit reif für ein profitables Bestreben nach Informations-Autarkie. Demnach muß es also nicht heißen "Datenbanken in weiter Ferne" sondern "Datenbanken aus heimischen Landen !"