Projekt-Management/Großprojekt: 150 000 Teilnehmer im Endausbau

Datenaustausch im Team und übergreifend koordiniert

02.08.1996

Gemäß den Vorgaben des Bundesministeriums für Gesundheit wird im Sozialgesetzbuch angeordnet, daß die Krankenkassen (KK) zukünftig Abrechnungen von Leistungserbringern (LE) nur dann vergüten, wenn die Abrechnungsdaten im gesetzlich zugelassenen Umfang maschinenlesbar oder über maschinell auswertbare Medien übermittelt wurden.

Basierend auf den Anforderungen und Inhalten der Datenübermittlung, wurden zwischen den Kommunikationspartnern in den Spitzenverbänden Verträge geschlossen, deren "Technische Anlagen" die Rahmenbedingungen festlegen (Organisation, Technik, Termine, Dateidefinitionen, Sicherheitsaspekte) sie sind die Basis für die Umsetzung der gemeinsam getroffenen Entscheidungen.

Die Gruppen der Leistungserbringer stellen den Kostenträgern (Krankenkassen) jährlich über zwei Milliarden Einzelrechnungen aus. Damit kann dieses Projekt zu den derzeit größten Datenaustausch- beziehungsweise Datenübermittlungsvorhaben in der Bundesrepublik gerechnet werden.

Die Dimension dieses Projekts stellt teilweise völlig neue Anforderungen an Projekt-Management, Organisation und Datenverarbeitung. Die seit Jahren eingeführten Kommunikationswege für den papierbasierten Rechnungsversand müssen verlassen und elektronische Verarbeitungsmethoden eingeführt werden. Alle Kassenarten haben vor, die Kommunikation mit den Leistungserbringern durch Datenfernübertragung zu optimieren. Nach einer Übergangszeit soll der Anteil von Papierlieferungen auf ein Minimum reduziert werden. Eine umfangreiche und arbeitsintensive Aufgabenstellung für alle Beteiligten.

Die Krankenkassen arbeiten in ihren Verbandsstrukturen in drei Projektgruppen an der Aufgabenstellung: der AOK-Bundesverband, der VdAK/AEV als Verband der Ersatzkassen sowie als Kooperationsgemeinschaft die Verbände der Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Landwirtschaftlichen Krankenkassen und die Bundesknappschaft. Anfang 1995 wurde diese Kooperationsgemeinschaft (kurz Dale-Koop) zur gemeinschaftlichen Umsetzung der Aufgabenstellung gegründet. Redundante Arbeiten werden minimiert und eine wesentliche Entlastung durch Verteilung auf Mitarbeiter der vier Verbände erreicht. Eine Kooperation in diesem Umfang wird innerhalb der GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) erstmalig durchgeführt. Die ersten Erfahrungswerte nach einer 15monatigen Zusammenarbeit werden von den Beteiligten als positiv und erfolgreich eingeschätzt.

Die Datenlieferungen können sowohl einseitig (Ärzte, Zahnärzte, Apotheken) als auch bidirektional (stationäre Einrichtungen, sonstige Leistungserbringer etc.) über unterschiedliche Kommunikationswege erfolgen. Die Gruppe der AOKs nutzt die vorhandenen Rechenzentren. Das Debis Systemhaus wird für den VdAK/ AEV und die Dale-Koop im Auftrag eine zentrale Datenträgerannahmestelle und ein Clearingcenter (DFÜ-Annahme und - Abgabestelle) betreiben. Große Datenmengen, die bilateral mit Abrechnungsstellen der LEs ausgetauscht werden, können zudem ohne Zwischenschaltung von Debis übergeben werden.

Der Datenaustausch umfaßt personenbezogene Daten, die hochsensibel zu behandeln sind. Die Grundstruktur für die Datenlieferungen sieht von den Partnern angepaßte Edifact-Formate (Electronic Data Interchange für Administration, Commerce and Technology) vor. Alle Daten werden nach der Vorgabe eines gemeinsam abgestimmten Sicherheitskonzepts verschlüsselt, das auch die elektronische Unterschrift eindeutig festlegt, und so übergeben. Die eigentliche Datenlieferung besteht aus einer verschlüsselten Nutzdaten- sowie einer unverschlüsselten Auftragsdatei mit den relevanten Empfänger- und Absenderinformationen.

Die Aufgabe des Systemhauses als zwischengeschalteter Dienstleister begrenzt sich auf die reinen Postfunktionen sowie die Führung der Betriebsstatistiken. Eine Einsicht in die Nutzdaten ist dem Dienstleister nicht gestattet und wird auch durch die Verschlüsselung verhindert.

Die Datenlieferungen werden durch zentrale Stellen (Bundesverbände oder Krankenkassenzentralen) in einer DAV (Datenannahme- und Verteilstelle) angenommen, geprüft und weiterverteilt beziehungsweise abgegeben. Hier unterscheiden sich die technischen Ausprägungen der realisierenden Gruppen auf seiten der Krankenkassen. Die nachfolgenden Ausprägungen sind beispielhaft für die Dale-Koop ausgeführt. Die Prüfungen auf seiten der Krankenkassen werden in vier Kategorien eingeteilt:

Prüfstufe eins: technische Prüfungen in der DAV

- technische Prüfung auf Kommunikationsberechtigung, Vollständigkeit und fehlerfreie Datendarstellung bei der Annahme, Entschlüsselung.

Prüfstufe zwei: generelle Vorprüfung

- allgemeine Prüfung, wie Datum, numerische/nicht numerische Felder, Satzlängen, Feldlängen, Summen.

Prüfstufe drei: vertragstechnische Vorprüfungen

- Prüfung auf formale Einhaltung der Verträge, der technischen Anlagen und ergänzenden Regelungen (zum Beispiel pro Region oder Leistungserbringer oder LE-Rechenzentrum)

- ergänzende Prüfung mittels logischer Parameter, gegebenenfalls kassenindividuell, zum Beispiel bei einem stationären Behandlungsfall: Abteilungs-, Basis-, teilstationärer Pflegesatz und Sonderentgelt.

Prüfstufe vier: leistungsrechtliche Anspruchsprüfung in den Kassen

- Abgleich mit dem kassenindividuellen Leistungsanspruchsverfahren in jeder Kasse inklusive Fehlerbehandlung.

Die Prüfstufen eins bis drei werden dabei in den DAVs (Datenannahme- und -verteilstellen) der Bundesverbände durchlaufen, die Prüfstufe vier in den einzelnen Kassen.

Den Prüfstufen drei und vier wird allgemein die größte Bedeutung zugemessen. Hier lassen sich die Vorteile eines elektronischen Datenaustauschs im Gegensatz zur bisherigen Lieferung der Daten auf Papier effektiv nutzen. Die ankommenden Datenlieferungen werden in Prüfstufe drei maschinell mit den in den Vertragsverhandlungen zwischen Kostenträger und Leistungserbringern ausgehandelten Basisdaten (wie Verrechnungssätzen, Kostenpauschalen etc.) abgeglichen. Diese Basisdaten werden allgemein als Informationsstrukturdaten bezeichnet. Ihre Haltung erfolgt in komplexen Datenbanken. Entsprechend ihrer regionalen und zeitraumbezogenen Gültigkeit müssen sie gegen die relevanten Einzeldaten der Datenlieferung geprüft werden. Die Informationsstrukturdaten sind heute größtenteils nur auf Papierbasis verfügbar und müssen von den Krankenkassen oder externen Anbietern elektronisch bereitgestellt und permanent aktualisiert werden. Das ist sicherlich eine der größten und arbeitsintensivsten Aufgaben innerhalb des Gesamtprojekts.

Die Prüfstufe vier kann einzig auf den Systemen der zuständigen Krankenkassen durchlaufen werden. Nur hier werden alle fallbezogenen Daten beziehungsweise die Mitgliederbestände vorgehalten.

Der Zusammenschluß von vier Verbänden in der Kooperation erfordert die Berücksichtigung der unterschiedlichen Systembedingungen in den einzelnen Verbänden und Krankenkassen. Hier arbeiten verbandsindividuelle Anwendungen auf Basis unterschiedlicher Hardware (IBM, SNI etc.) und Betriebssysteme (MVS, BS-2000, Sinix etc.), die komplexe Krankenkassenanwendungen unterstützen. Die Annahme und Verarbeitung der Daten aus dem Datenaustausch müssen nahtlos integriert werden. Die Aufgabe, die unterschiedlichen Systemwelten zu integrieren, wurde durch die neutrale Konzeption einer eigenständigen Systemplattform für den Datenaustausch als Vorschaltrechner der individuellen Krankenkassensysteme umgesetzt. Alle Verbände der Arbeitsgemeinschaft setzen demnach bis zu der Schnittstelle "individuelles Krankenkassensystem" die gleiche Hard- und Software ein.

Auf Basis eines Gesamtkonzepts werden zur Umsetzung der Aufgabe in jedem Krankenkassenverband drei Funktionseinheiten eingerichtet:

- eine Uni-DAV als zentrale Datenannahmestelle zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse, als zentrale Prüfstelle der Datenlieferung sowie als interne Verteilstelle zur Weiterleitung der Daten innerhalb des KK-Verbunds

- eine Mini-DAV als nachgeschaltete Datenannahmestelle zum Empfang und zur Weiterleitung der Datenlieferungen von/an Uni-DAV und von/an Krankenkassenrechenzentrum sowie

- eine Kopfstelle als zentrale Stelle zur Aufnahme, Aufbereitung und Verteilung von Basisprüfdaten (Informationsstrukturdaten).

Die Funktionseinheiten sind logische Modelle, die sich physikalisch getrennt auf unterschiedlichen Systemen oder auf einem System (Verband und Kasse in einem Gebäude) einsetzen lassen.

Allein die Schnittstelle zwischen einer Mini-DAV und dem nachgeschalteten KK-Informationssystem muß individuell an die technischen Rahmenbedingungen angepaßt werden.

Die Kommunikationsverbindungen werden durch die Führung der Kommunikationspartner kontrolliert und überwacht. Unberechtigte Zugriffe sind ausgeschlossen. Die Mini-DAV übernimmt zudem die Aufgabe eines Firewall-Rechners Zugriffe auf die dort gespeicherten Daten können nur aktiv von dem nachgeschalteten Krankenkassensystem gestartet werden.

Alle Funktionseinheiten lassen sich im Baukastenprinzip auf Basis eines Grundsystems durch Einsatz der unterschiedlichen Softwaremodule parametergesteuert konfigurieren und einsetzen.

Die reine Software-Entwicklung sieht allgemeingültige Module für alle Funktionseinheiten vor und wurde auf integrierte Standardkomponenten aufgesetzt (siehe Abbildung).

Nach einer Anbieterbefragung wurde der Auftrag zur Realisierung an die Anbietergemeinschaft SNI und GTI vergeben. SNI liefert die Hardwarebasis (RM-Systeme) und die Basis- sowie die Standardsoftware des speziell angepaßten EDI-Servers, der die Formate für die Prozeßsteuerung prüft. Das Softwarehaus GTI, Gesellschaft für Technologien der Informationsverarbeitung, erstellt die individuellen Softwaremodule.

Die Komplexität des Projekts hat erwartungsgemäß für einige Terminverschiebungen gesorgt teilweise waren auch technische Probleme dafür verantwortlich, beispielsweise die Umsetzung des Sicherheitskonzepts. Die nur teilweise dem korrekten Edifact- Standard entsprechenden Austauschformate wirkten sich nachteilig auf die Performance der Standard-Edifact-Konverter aus, die entsprechend anzupassen sind. Erkenntnisse für Verbesserungen aus dem Testbetrieb werden teilweise sofort durch Ändern der "Technischen Anlagen" der Verträge eingearbeitet. Das führt aber zu zeitintensiven Software-Anpassungen bei allen Beteiligten.

Der Datenaustausch mit den Leistungserbringern soll nach einer Testphase mit den einzelnen Leistungserbringergruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten (1996 bis 1997) flächendeckend eingeführt werden.

Verbände und Individuen im Projekt

Das Projekt "Datenaustausch mit Leistungserbringer" setzt bei seiner Umsetzung durch die unterschiedlichen Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung ein umfangreiches Projekt- Management voraus. Ferner sorgt die Kooperationsgemeinschaft Dale- Koop für weiteren Aufwand das gemeinsame Projekt muß auch mit individuellen Umsetzungsarbeiten korrespondieren.

Die Projektorganisation sieht Entscheidungs- und Abstimmungsgremien vor, die von den Verbänden paritätisch besetzt werden. Außerdem Arbeitsgruppen, die die Aufgabenstellungen auf Basis von Arbeitspaketen zu Ergebnissen führen. Ein umfangreicher Projektstrukturplan (PSP) bildet das Herzstück und zeigt die Komplexität und die Verzahnung der Einzelschritte. Alle Arbeiten orientieren sich an dem PSP und einem abgestimmten Vorgehensmodell auf Arbeitspaketebene.

Klassische Projekt-Management-Methoden (MS-Projekt, Win-GBS, MS- Office) bilden die Basis für die Projektarbeit. Eine klare Trennung wurde zwischen der Erstellung von Produkten beziehungsweise Ergebnissen und der Qualitätssicherung gezogen.

Ein abgestimmtes Regelwerk (Basis: Regelwerk der Arge ISKV, Essen) liefert die Basis für die anzuwendenden Standards. Die Dokumentation wird in einem Dokumentationssystem geführt, dessen Aufbau sich strikt an der Struktur des Projekts orientiert. Ein elektronisches Kommunikationssystem (ISDN-Software von Teles) verbindet Verbände und Realisierungspartner.

Abgesichert wurde der bisherige Projektverlauf durch ein flexibles Management, das Entscheidungen verbandsübergreifend herbeiführt. Besonders wichtig war der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen den Teammitgliedern, die in kritischen Momenten trägt und auch dann zu Lösungen führt.

Angeklickt

Leistungserbringer wie Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser etc. sollen in Zukunft einheitlich mit den unterschiedlichen Kostenträgern im Gesundheitswesen, im wesentlichen Krankenkassen, abrechnen, und dies elektronisch. In der Endphase der Umstellung sollen bis zu 150000 Teilnehmer das neue und dann einheitliche Verfahren auf der Basis von Edifact einsetzen. Zur Zeit läuft die Testphase an, die im kommenden Jahr beendet sein sollte. Anschließend ist vorgesehen, den einheitlichen Datenaustausch flächendeckend einzuführen.

*Diplomingenieur Harald Flex ist Unternehmensberater und Projektleiter der Kooperationsgemeinschaft Dale-Koop in Rodgau.