Data-Warehousing/Das Erkennen der Zielgruppen läßt die Kasse klingeln

Datenanalyse macht aus Käufern Stammkunden

05.07.1996

Wer Marktchancen intensiv ausschöpfen will, der benötigt Informationen über seine Kunden. Und genau hier liegt das Handikap im Handel. Zwar ist der Rohstoff Daten in allen Handelsunternehmen reichlich vorhanden. Diese machen ihn jedoch nur in geringen Teilen nutzbar.

Erforderlich sind ausgefeilte Analyse-Instrumente zur Aufbereitung aussagekräftiger Informationen für die gezielte Steuerung des Geschäfts. Den Grundstock dafür bilden das Data-Warehouse und entscheidungsunterstützende Systeme.

Das Data-Warehouse enthält große Volumen an Verkaufstransaktionsdaten mit hohem Detaillierungsgrad sowohl in der Breite als auch in der Tiefe - in bezug auf Artikel, Zeit und Verkaufsgebiete. Damit lassen sich etwa Fragen, welche Produkte in welcher Filiale in welchem Zeitraum verkauft wurden, leicht beantworten.

Das können seit kurzem auch Einzelhändler: zum einen durch die elektronische Gewinnung von Daten an den elektronischen Ladenkassen, zum anderen durch die Möglichkeit der wirtschaftlichen Speicherung und Auswertung dieses enormen Datenbestands dank entsprechend mächtiger und dennoch bezahlbarer Rechenkapazitäten. Deshalb haben führende Einzelhandelsunternehmen in den USA auf Data-Warehouse gesetzt.

Nach der Zeit des Preis-Marketings

Damit läßt sich das Käuferverhalten beobachten, vorhersagen und beeinflussen. Der Kunde wird so verstärkt an das eigene Unternehmen gebunden. Das Data-Warehouse und entscheidungsunterstützende Systeme werden zu Schlüsselfaktoren für das Überleben in der Ära eines kundenspezifischen Marketings, das das anonyme Preis-Marketing abgelöst hat.

Die meisten Einzelhändler nutzen anfangs ihre Informationen zur Optimierung ihres Lieferketten-Managements. Im Vordergrund steht, das richtige Produkt am richtigen Platz zum richtigen Preis und in der richtigen Zeit anzubieten.

Der nächste Schritt besteht zumeist in der Analyse von Gruppentransaktionen (Einkaufskorbanalyse), um so zu Kundengruppenprofilen zu kommen. Diese Profile sind die Basis zum Verständnis der Dynamik der Gesamtkundschaft. Sie führen zu Antworten etwa auf folgende Fragen:

- Welches sind die profitabelsten Kunden?

- Mit welchem Kundensegment lassen sich die höchsten Bruttogewinnspannen erzielen?

- Welcher Kundentyp kauft die meisten Waren pro Ladenbesuch?

- Welcher Artikel verkauft sich pro Kundensegment am besten?

Diese strategisch wichtigen Kundeninformationen benötigt, wer das Geschäft besser verstehen und gewinnsteigernd steuern will. Damit erfolgt ein Übergang vom Lieferketten-Management zur Einkaufskorbanalyse, von der Gesamtdatenerfassung am Point of Sale (POS) zur Datenerfassung pro Einkaufskorb. In der Aufdeckung der impliziten Informationswerte über Kunden und Markt liegt letztendlich der Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg.

Konsumentengruppen identifizieren

Denn Kundenbindungsprogramme erfordern es, den Kunden im Gesamtzusammenhang zu sehen, also zu wissen, was über eine Zeitschiene bis zu 65 Wochen passiert, zum Beispiel hinsichtlich Produktauswahl, Einkaufskorbinhalt, Einkaufsvolumen und -häufigkeit. Es kommt entscheidend darauf an, den unterschiedlichen, in ihrem Konsumentenverhalten homogen reagierenden Käufergruppen, basierend auf den ermittelten Einkaufs- und Gewinnprofilen, unterschiedliche Angebote zu unterbreiten.

Ein Einkaufskorbanalyse-Programm

- mißt das kollektive Verhalten aller Kunden,

- sorgt für den Übergang von der Produktorientierung zur Kundenorientierung,

- erfordert kein Wissen über einen bestimmten Kunden und

- setzt keine neuen Datenerhebungen voraus.

Anders als bei der reinen Stammkundenanalyse mittels Kundenkarten sind die erforderlichen Daten für die Einkaufskorbanalyse vorhanden. Sämtliche Daten werden mit einbezogen. Um zu erfahren, welche Artikel zusammen gekauft werden, genügt es, die POS-Daten einfach mit einem Transaktionskennzeichen zu versehen.

Für eine große US-Drogerie- und Apothekenkette untersuchte Leveraged Solutions Inc. beispielsweise über 16 Wochen acht Millionen Einkaufskörbe. Dafür wurden 30 Lifestyle-Typen festgelegt: vom "Fotofreund" über "schönheitsbewußt" bis zu "Haustierbesitzer" und "junge Familie".

Aus den Auswertungen war abzulesen, mit welchem Lifestyle-Typ pro Filialbesuch die höchsten Gewinne erzielt wurden - nämlich "Krankheit und ärztliche Verschreibungen". Herausgefunden wurde auch, welcher Typ bei jedem Einkauf das meiste Geld ausgibt und wer am wenigsten sowie welche Artikel die absatzstärksten waren. Der nächste Schritt ist die Suche nach Produktaffinitäten - was zum Beispiel der schönheitsbewußte Kunde am zweithäufigsten kauft. Die Erkenntnis: Er greift bevorzugt zu Glückwunschkarten, Süßigkeiten, Seifen und Zahnbürsten.

Wer diese häufig überraschenden Informationen nutzt, um sein Angebot nach Kundengruppen zu differenzieren und damit die Kundenloyalität zu fördern, wird durch höhere Gewinne, größere Volumen und eine größere Zufriedenheit der Kunden belohnt.

Schließlich zielt das "Relationship-Marketing" darauf ab, ein und demselben Kunden soviel wie möglich zu verkaufen, während das Massen-Marketing das gleiche Produkt an möglichst viele Kunden abzusetzen versucht.

Derartige Affinitätskonzepte tragen auch dazu bei, das Paradoxon zu erklären, daß Unternehmen mit diesem Programm höhere Umsätze bei zugleich höheren Bruttospannen erzielen. Die Regel, daß der Absatz steigt, wenn nur der Preis gesenkt wird, wird so widerlegt. Käufer sind bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn ihre Erwartungen stets übertroffen werden.

Erreichen läßt sich das zusätzlich dadurch, daß die besseren Kunden mit ihrem höheren Umsatz pro Einkauf und höherer Bruttospanne entsprechend belohnt werden, durch Gutscheine etwa oder Rabatte. Wichtig ist es dabei, zu wissen, wie wertvoll die besten Kunden wirklich sind.

Untersuchungen einer Lebensmittelkette belegen, daß die 20 Prozent Topkunden für 64 Prozent des Umsatzes sorgen, während die unteren 20 Prozent weniger als ein Prozent zum Umsatz beitragen. Das US-Kaufhaus Bloomingdales erwirtschaftet 75 Prozent seines Umsatzes mit 25 Prozent seiner Kunden.

Eine andere US-Kaufhauskette fand durch Data-Warehouse-Auswertungen heraus, daß zehn Prozent ihrer Kunden 40 Prozent des Umsatzes bringen, wobei ein Stammkunde einen "Lebenswert" über einen Zeitraum von 60 Jahren von 32000 Dollar hat. Bei Luxusautos beträgt er sogar 400000 Dollar.

Dadurch erhält die Kundenbindung einen hohen Stellenwert. Allgemein wird taxiert, daß es fünfmal mehr kostet, einen Neukunden zu gewinnen, als einen Stammkunden zu halten. Statistiken besagen außerdem, daß eine fünfprozentige Steigerung der Kundenbindung sich in einem 100 Prozent höheren Gewinn niederschlägt.

So nebenbei neue Kunden gewonnen

Es lohnt sich also zu verstehen, wer die Kunden sind, und sie rundum zufriedenzustellen. Denn 68 Prozent aller Kunden werden vergrault, weil sie unfreundlich behandelt oder nicht beachtet wurden. Ganze 25 Prozent wechseln zur Konkurrenz, weil sie mit der Ware unzufrieden waren oder preisgünstigere Angebote fanden.

Durch eine Verknüpfung von externen demografischen Daten im Data-Warehouse sind jedoch auch Neukunden zu gewinnen, indem das Profil der besten Kunden mit dem von Nichtkunden im Marktgebiet abgeglichen wird.

Stop & Shop in Boston machte auf diese Weise 26000 Kunden aus, die bislang nicht den Weg in ihre Läden gefunden hatten. In ihren charakteristischen Strukturen waren sie mit denen der besten Kunden zu vergleichen. Das Ergebnis: 38 Prozent Konvertierte, also fast 10000 Neukunden. Das Programm kostete 212000 Dollar und brachte Stop & Shop einen Mehrumsatz von sieben Millionen Dollar.

Eines ist klar: Der Aufbau eines Data-Warehouse allein reicht nicht aus. Worauf es ankommt, sind intelligente Ansätze, um die vorhandenen Daten sprechen zu lassen und in Kundenbindungsaktionen umzusetzen. Ebensowenig genügt es, andere Konzepte zu kopieren. Jedes Unternehmen muß aufgrund der gegebenen Informationswerte zu seiner eigenen Marktstrategie finden.

Angeklickt

"Das macht dann ..." - in diesem Moment kommt nicht nur Geld in die Kasse, auch eine Menge Daten fallen an. Doch ihre Nutzung ist hierzulande noch sehr eingeschränkt. In den USA sind Einzelhandelsunternehmen weiter. Sie haben die Informationen vom Point of Sale (POS) mit weiteren Daten über die Kunden in Data-Warehouses gesammelt und verdichtet. Ergebnisse der vieldimensionalen Analysen waren eine bessere Kundenbindung und die Erschließung neuer Käuferkreise.

*Michael Ehrensberger ist Gründer der Leveraged Solutions Inc. in Cincinati (Ohio).