Marketing-relevante Daten täglich frisch

Data-Warehouse-Zugriff via Web spart Zeit und Geld

06.06.1997

Mobiltelefone und Nutzungsverträge für Funknetze verkaufen sich fast von selbst. Das gilt für Schweden in noch höherem Maße als für Deutschland. Wozu also brauchen die Anbieter ein ausgefeiltes Marketing? Die Antwort ist simpel: Junge, schnellwachsende Märkte ziehen zahlreiche Mitbewerber an, die mit Hilfe aggressiver Preispolitik oder kundennaher Dienstleistungen in den Revieren der Platzhirsche weiden.

Die Telia A.B. könnte sich eine Weile auf ihren Lorbeeren ausruhen. In Schweden beherrscht sie den Markt für analoge Mobilfunkverbindungen nahezu vollständig und das Geschäft mit den digitalen GSM-Netzen immerhin noch zu mehr als 50 Prozent. Allein im Mobilnetzbereich erzielte sie mit 1300 Mitarbeitern im vergangenen Jahr einen Umsatz von umgerechnet einer Milliarde Mark. Aber das Unternehmen will seine Marktposition weiter ausbauen, was angesichts des wachsenden Volumens und Mitbewerbs immer schwieriger wird.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Telia-Mitarbeiter in Marketing und Vertrieb zwei Aufgaben erfüllen: neue Kunden gewinnen und die vorhandenen halten. Dazu ist es notwendig, möglichst viel über die Wünsche und Vorlieben der potentiellen wie der existierenden Klientel zu wissen.

Da trifft es sich gut, daß Telia schon vor zweieinhalb Jahren damit begonnen hat, ein Data-Warehouse einzurichten, das "Business Operational Support System" (Boss). Das Hardwarefundament bildet ein HP-9000-Server von Hewlett-Packard mit einer Speicherkapazität von 100 GB, während das Informationsauswertungs-System "SAS base" von SAS Institute die Softwaregrundlage darstellt.

Boss vereint neun unterschiedliche Subsysteme - darunter je eines für Subskriptionsverträge, Netzverkehrsdaten und Bestellvorgänge sowie die Kundendatenbank mit nahezu zwei Millionen Einträgen. Das Warehouse nimmt auf, was immer die kundennahen Mitarbeiter über die Objekte ihrer Begierde in Erfahrung bringen können - angefangen von statistischen Daten über Informationen zur Netzverfügbarkeit bis zu Beschwerden und Anregungen.

Besonderes Augenmerk richten die Telia-Verkäufer und -Marketiers auf die Daten, die sie aus den regelmäßigen Befragungen abtrünniger Kunden erhalten. Die Gründe, weshalb ein Handy-Besitzer den Netzbetreiber wechselt, liefern wertvolle Hinweise darauf, wo sich die Schwachstellen im aktuellen Angebot befinden und mit welchen Aktionen die Kundenbasis gehalten werden kann.

Nacht für Nacht werden die gespeicherten Daten im Batch-Verfahren aktualisiert. Das sind jeweils fünf bis sechs Millionen Einträge beziehungsweise durchschnittlich 300 Mbit pro Tag. Telia speichert all diese Daten mindestens drei Monate, damit die Benutzer im Zweifelsfall auf Einzeleinträge zurückgreifen können.

Länger im Zugriff bleiben die Informationen, die die Telia-Mitarbeiter zusammentragen haben, um "frequently asked questions" (immer wieder gestellte Fragen) zu beantworten. Für bestimmte Benutzergruppen werden außerdem Standard-Reports erstellt und via E-Mail verschickt.

Die vorgefertigten wie individuellen Auswertungen sollen den Verantwortlichen helfen, wettbewerbsrelevante Entscheidungen zu treffen, beispielsweise wo Überkapazitäten abgebaut werden können und wo das Netz erweitert werden muß oder welche Tarifgestaltung den Bedürfnissen der Kunden entgegenkommt und zugleich den Profit des Carriers mehrt. Mittlerweile wird das System von nahezu jeder Abteilung genutzt: vorrangig von Vertrieb und Marketing, aber auch vom Controlling und von der strategischen Planung.

Eigenen Angaben zufolge konnte die Telia durch das Warehouse die Qualität und Effizienz ihrer Entscheidungsprozesse erheblich verbessern. Zwar griff das Top-Management auch in der Vergangenheit schon auf umfangreiches Datenmaterial zurück, aber ein Haufen Daten ergibt nicht automatisch eine brauchbare Information. Die für rasche Entscheidungen notwendigen Fakten standen nicht - oder nicht rechtzeitig - zur Verfügung.

Bis zum vergangenen Jahr war das Data-Warehouse eine elitäre Angelegenheit. Das lag daran, daß Telia auf dem Desktop jedes Boss-Benutzers die SAS-Software installieren mußte. Jeder weitere Warehouse-Kunde verursachte Kosten für Nutzungsrecht und Anwenderschulung sowie für Updates und Programmpflege.

Die Lösung dieses Problems war relativ einfach: Telia beschloß, das Data-Warehouse über ein Intranet zur Verfügung zu stellen. Die technischen Schwierigkeiten erwiesen sich als marginal: Mit Hilfe der IDS Consulting A.B., Stockholm, gelang es dem Mobilfunk-Carrier, dieses Vorhaben innerhalb weniger Monate zu einem glücklichen Ende zu bringen. Die operationalen Kosten betragen umgerechnet eine Million Mark im Jahr.

Da das kürzlich vorgestellte SAS-Toolset "Intr Net" damals noch nicht zur Verfügung stand, strickten Telia und IDS die Web-Schnittstelle selbst - mit Hilfe der Programmiersprache Pearl. Zur Entwicklung der statischen wie dynamischen Web-Pages dient die Scripting-Sprache CGI. Java kommt bei Telia derzeit noch nicht zum Einsatz.

Doch überlegen Telia und IDS, ob sie sich die Intr-Net-Werkzeuge zunutze machen sollen, sobald sie in einer Produktionsversion verfügbar sind. Wie der IDS-Mitarbeiter Patrik Wikström erläutert, wäre es mit den SAS-Tools nicht mehr notwendig, bei jeder HTML-Seite gleichzeitg das SAS-System aufzurufen, was immerhin einige Sekunden Zeit koste.

Die Verbindung zwischen Warehouse und Web hat sich für Telia als Glücksgriff erwiesen. Die Anzahl der Boss-Nutzer ist schlagartig in die Höhe geschnellt: 400 statt 40 Anwender machen heute Gebrauch von dem Data-Warehouse. Und ohne nennenswerten Aufwand kann das Unternehmen noch einmal so vielen Anwendern den Zutritt in den Datenspeicher gestatten.

Dazu der für den Bereich Operator Relations zuständige Vize-Präsident Björn Erikson: "Schon bei 4000 Anwendern sparen wir sicher einige Millionen Kronen an Ausbildungszeit und Softwarekosten, die bei einer anderen Lösung angefallen wären. Außerdem können wir weitere 400 Benutzer anschließen, ohne die Kosten in die Höhe zu treiben."

Abgesehen von dem finanziellen Aspekt bietet der Web-Zugriff aber auch nicht quantifizierbare Vorteile. Sie ergeben sich vor allem aus der Möglichkeit, allen Benutzern dieselben Informationen gleichzeitig zur Verfügung zu stellen. "Wir haben jetzt alle dieselbe Entscheidungsbasis", freut sich Jan Abrahamsson, Manager für Strategische Planung. Das wiederum bedeute, daß er und seine Mitarbeiter heute erheblich schneller agieren könnten als früher.

Marktposition

Schweden weist eine ungewöhnlich hohe Mobiltelefondichte auf. Nahezu jeder dritte der acht Millionen Einwohner telefoniert bereits drahtlos, und nach Telia-Schätzungen verdoppelt sich die Zahl der Handy-Nutzer alle zwei Jahre. Die aus dem Jahre 1992 datierende Deregulierung des schwedischen Telekom-Markts führte zu verschärftem Wettbewerb - zunächst sowohl im Analog- als auch im Digitalbereich. Auf dem Analogsektor ist Telia Mobile mittlerweile konkurrenzlos, nachdem sich der einzige Mitbewerber verabschiedet hat. Auf den digitalen GSM-Netzen hält das Unternehmen einen Marktanteil von 52 Prozent. Den Rest teilen sich die Mitbewerber Comviq und Europolitan. Ein vierter Anbieter namens Tele 8 wird in Kürze die Arena betreten.