Data-Warehouse/Wie kommt die Milch ins Kühlregal?

Data-Warehouse versorgt Frischdienst mit neuesten Infos

02.04.1999
Was hat die Milchflasche im Kühlregal - täglich frisch, und das deutschlandweit - mit Data-Warehousing zu tun? Diese Form der Datenhaltung ist im Rechenzentrum der Frischdienstzentrale (FRZ), Hannover, angesagt, wenn es darum geht, deren riesige Datenmengen aus Warenwirtschafts-, Logistik- und Vertriebssystemen zu speichern und für den Abruf zur Verfügung zu stellen. Verteilte ältere und neuere Systemkomponenten mußten unter einen Hut gebracht werden. Diana Schmidt* und Ingrid Britz-Avenkamp* berichten.

Das zu bearbeitende Datenvolumen beträgt wöchentlich zirka 5,5 Millionen Positionen, alle kühlbedürftige Waren betreffend, die von den zirka 30 000 Kunden der Partner aus Einzelhandel und Lebensmittelketten täglich geordert werden. Im übertragenen Sinn bedeutet dieses Auftragsvolumen, daß die über 1000 firmeneigenen Lkws mehr als eine Million Packstücke täglich zwischen Produzenten, Lagern und Handel befördern - von Joghurt über Milch in Flaschen bis hin zur Tiefkühlpizza.

Jedes dieser kommissionierten Packstücke durchläuft virtuell das hannöversche Rechenzentrum. Es verbindet Produzenten, Zentral- und Regionallager sowie Lieferanten und Zweigstellen der Handelsniederlassungen miteinander. Die vernetzte Datenhaltungs-Infrastruktur schließt die Warenkette vom Hersteller bis zum Endverbraucher.

Pro Kunde werden alle durch Auftragserfassung entstehenden Daten mengen- sowie wertbezogen gespeichert und anschließend wahlweise wöchentlich oder monatlich ins Data-Warehouse überführt und aktualisiert. Kernanwendung ist die im Rechenzentrum der Frischdienstzentrale (FRZ) eigens entwickelte Software "Profil 2000S"; sie ist für Belange der Warenbeschaffung, Bestands- und Auftragshaltung maßgeschneidert. Anhand von Standardreports weiß beispielsweise das Unternehmen Schöller jederzeit, wann wohin wie viele Packungen Eis von welcher Sorte geliefert wurden, wo der Absatz blüht und wo er stagniert. Singuläre Ausgangsdaten werden so in zusammenhängende, vertriebs- und umsatzrelevante Informationen verwandelt.

Ziel der Datenhaltung ist zum einen, den reibungslosen logistischen Vertrieb zu gewährleisten, damit die empfindliche Ware nicht verdirbt. Zum anderen werden die ablesbaren Informationen den über ganz Deutschland verteilten Kunden des FRZ wie in einem Warenhaus präsentiert. Das "Sortiment" ist auf branchen- und unternehmensspezifische Anforderungen zugeschnitten. Es liefert Absatz- und Umsatzzahlen, Marktanteile, Trends und Wettbewerbsvergleiche von und für Produzenten und Handel. Die Geschäftsleitungen der dem FRZ angeschlossenen Unternehmen verfügen damit über eine differenzierte Entscheidungsbasis.

Bereits Anfang der 90er Jahre beschloß man in Hannover, die damals nur begrenzt aktualisierbaren Lieferantenstatistiken durch Einsatz modernerer IT-Methoden zu ersetzen. Die Verfahrens- und Datenstrukturen sollten vereinheitlicht und online abrufbar werden. Die vorher eingesetzten, meist geschlossenen monolithischen Mainframe-Anwendungen waren zu unflexibel für eine sinnvolle Weiterentwicklung in Richtung Data-Warehouse. In einem ersten Schritt zur Einrichtung eines Sesam-basierten Data-Warehouse wurde 1993 gemeinsam mit Siemens-Experten ein offenes Konzept für eine neue Statistikdatenbank erstellt.

"Unsere Datenhaltungssysteme sollten einfach auswertbar, flexibel, sehr leistungsfähig und ausfallsicher sein und eine gute Performance bieten", erinnert sich Michael Schubert, Gruppenleiter Leitstelle, Abteilung Produktion beim FRZ. "Ein besonderes Augenmerk haben wir auf die Auswertbarkeit und das Jahr-2000-Problem gelegt. Außerdem sollte 24-Stunden-Betrieb möglich sein, und zwar an 365 Tagen im Jahr. Daß wir uns bei der großen Zahl der beteiligten Unternehmen nur schrittweise zu diesem Ziel vorarbeiten konnten, war von Anfang an klar, schließlich wollten wir den Umstellungsaufwand so gering wie möglich halten."

Im Frühjahr 1991 hatte das FRZ, damals noch zusammen mit Siemens-Nixdorf, ein Konzept entwickelt, um die vorhandenen Fortschreibungssysteme anhand individueller Anwendervorgaben periodisch in ein Data-Warehouse zu überführen. Die artikelrelevanten Daten sollten aufbereitet in einer Statistikdatenbank abgespeichert werden, um sie analysieren, interpretieren und nutzen zu können. Eine weitere Anforderung von seiten des Rechenzentrums bestand darin, die bisher verteilten Datenbanken unter einer gemeinsamen Oberfläche miteinander zu verbinden, also in einer Integration auf Anwendungsebene.

Ein Beispiel dafür ist die Kommissionierung beim Frischdienstpartner und Großhändler Alli in Hannover, einem Lieferanten für Tiefkühl- und Frischprodukte. In dessen Lagerhaltung sorgt eine automatische Sortieranlage für die Beförderung von der Warenannahme bis zur Auslieferung: Die von den Alli-Kunden getätigten Bestellungen werden nach Einzelposten auseinanderdividiert und nach Artikeln sortiert. So erhalten beispielsweise Milchflaschen ein spezifisches Kommissionierungsetikett und landen auf dem Förderband. Dann werden sie zusammen mit den anderen Produkten wieder auftragsweise gebündelt, ökonomisch gepackt und zum jeweiligen Lkw-Container verfrachtet. Optoelektronische Identifikation sorgt dafür, daß das Packstück vollautomatisch vom Lager zum Zielcontainer wandert.

"Um unseren Kunden die Data-Warehouse-Anwendungen benutzerfreundlich bereitstellen zu können, haben wir ein neues Client-Server-Umfeld realisiert", erklärt Michael Schubert zur Einführung des neuen Standards beim FRZ. "Mit der Migration auf das Datenbanksystem Sesam/SQL, Version 2 steht uns der volle SQL-Schnittstellen-Umfang zur Verfügung."

Für die Anwender bringt das eine angenehme Vereinfachung mit sich: Konnten bisher Datenbankabfragen nur in der Programmiersprache Cobol getätigt werden, so lassen sie sich jetzt aus den Standardanwendungen heraus frei formulieren. Der Anwender braucht keine speziellen Datenbankkenntnisse mehr, um auf bestimmte Inhalte zugreifen zu können. Das geht so weit, daß sich Daten auf Basis von Tabellen- und Feldauswahlen selektieren und anzeigen oder auch direkt in den PC importieren lassen. Auch aus einer Microsoft-Excel-Oberfläche heraus kann der Daten-Transfer angestoßen werden. Ein weiteres Plus: Mit dem produktiven Einsatz des neuen Client-Server-Umfelds mit vollem SQL-Umfang ist das FRZ auch für die Zeit nach dem Jahr 2000 gerüstet.

Die Basis bilden zwei speziell auf den Data-Warehouse-Betrieb zugeschnittene Datenbank-Hosts. Dabei handelt es sich um zwei Siemens-Großrechner vom Typ H130 mit Betriebssystem BS2000/ OSD, die im FRZ stehen. Umgestellt wird sukzessive. Zunächst wurden die beiden Datenbank-Hosts vorübergehend mit einem älteren und neueren Datenbanksystem parallel auf einer Anlage gefahren.

Ferner kommen 15 RISC-basierte RM-Unix-Server sowie drei Intel-basierte Primergy-Server zum Einsatz, die ebenfalls im FRZ stehen. Die heterogene Client-Server-Architektur der Frischdienstzentrale insgesamt besteht aus mehr als 100 Servern und über 2000 angeschlossenen Clients, die verteilt bei den Kunden stehen. Die größere der beiden Datenbanken verarbeitet bereits täglich zirka fünf Millionen Datenbankanfragen.

Die bestehenden Anwendungen können ohne Änderungen auf Basis der Sesam/SQL-Schnittstelle weiterlaufen und sind auch mit den neuen Tabellen ablauffähig. Der Mischbetrieb zwischen alter und neuer Welt erhält also grünes Licht. Es entsteht auf den verteilten Systemen ein riesiger Datenpool, auf den die FRZ-Kunden jederzeit zugreifen können - mit oder ohne neueste IT-Ausrüstung.

Geplant ist, die bisherigen Standardreports zu einem dialogorientierten Auskunftsystem im Internet auszubauen. Dabei soll das Data-Warehouse als Vorsystem zur Datenverdichtung dienen. "Der Übergang von der alten in die neue Datenwelt bietet immense Möglichkeiten wie beispielsweise die intuitive Navigation im WWW. Durch die direkte Online-Nutzung könnten Hersteller und Händler das Data-Warehouse-Sortiment vom Schreibtisch aus nutzen. Alles, was sie dazu brauchen, ist ein PC und ein Internet-Browser", resümiert Schubert.

ANGEKLICKT

Weniger um die Migration aus einer alten in eine neue DV-Welt ging es im Rechenzentrum der Frischdienstzentrale, Hannover, als vielmehr darum, einer heterogenen Systemlandschaft eine gemeinsame Anwendungsoberfläche zu verpassen. Hintergrund war die Einführung eines Data-Warehouse, das Mitarbeitern und Kunden rund um die Uhr Informationen zur Verfügung stellen sollte. Die Internet-Anbindung steht bevor.

Das RZ

der Frischdienstzentrale, Hannover, betreut als Dienstleister deren IT-Infrastruktur. Es bietet Beratung, Organisation und Software-Entwicklung. Über 80 Mitarbeiter kümmern sich um die Partner sowie um deren mehr als 35000 Kunden in Deutschland und Europa. Bestückt ist es mit zwei Siemens-BS2000-Großrechnern, insgesamt zirka 100 Servern und 2000 Clients.

Das Unternehmen

Die Frischdienstzentrale ist ein in Hannover ansässiger Distributorenzusammenschluß eigenständiger Unternehmen auf dem Gebiet kühlbedürftiger Lebensmittel. Partner sind vier eigenständige, regionale Distributoren in Essen, Solingen, Stuttgart und Hannover, die den Handel täglich flächendeckend beliefern.

Es gibt deutschlandweit zirka 50 Lager, die von mehr als tausend Lkws angefahren werden. Die wesentlichen Geschäftsfelder im Verbund mit Partnern sind:

- komplette Bestell- und Lieferabwicklung inklusive Lagerhaltung

- flächendeckende Logistikleistung mit Frischegarantie,

- täglich über 30000 Aufträge aus 35000 bundesweit verteilten Lebensmittelfilialen und Einzelhandelsgeschäften sowie

- Tankstellen-Shops.

*Diana Schmidt und Ingrid Britz-Avenkamp sind freie Journalistinnen in München.