IT in Versicherungen/Den Kunden kennenlernen

Data-Mining soll der Kfz-Haftpflicht helfen

02.07.1999
Im vergangenen Jahr verzeichneten die Versicherungen einen Rekordverlust in der Kfz-Haftpflicht. Als Folge davon steigen die Haftpflichtprämien um voraussichtlich fünf bis sieben Prozent. Data-Mining könnte den Assekuranzen jedoch helfen, das Marktpotential besser auszuloten, Marie-Louise Schütt*.

Auf knapp vier Milliarden Mark schätzt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Berlin, das Kfz-Haftpflichts-Defizit des vergangenen Jahres. Das sei das höchste seit mehr als 50 Jahren. Zu den Gründen zählt ein verändertes Kundenverhalten. Die Kunden sind preisbewußter und kritischer geworden. Entspricht der Service und das Angebot nicht seinen Erwartungen, verläßt der Kunde das Unternehmen. Aufgrund dieser Entwicklung tritt das Marketing immer mehr in den Vordergrund. Der Trend ist eine Abkehr vom Massenmarkt hin zur individuellen Kundenbeziehung: Ein Wettbewerb um Marktanteile und Kunden entsteht, bei dem traditionelle Analysetechniken nicht mehr ausreichen, um die Kundenfluktuation einzudämmen.

Gewährten Versicherungen bis dato im Kampf um Marktanteile Rabatte weitgehend willkürlich, müssen sie nun nach Tarifstrukturen suchen, die den neuen Marktgegebenheiten gerecht werden. Bislang werden Kunden anhand von einfachen Hypothesen in verschiedene Tarifgruppen eingeteilt. Zum Beispiel werden Rabatte für eine beschränkte Fahrleistung im Jahr oder die Nutzung einer Garage gewährt. Dabei werden die einzelnen Kriterien allerdings getrennt voneinander betrachtet. Die Wechselwirkungen der verschiedenen Kriterien untereinander bleiben unberücksichtigt. Das Resultat sind unzureichende und fehlerhafte Hypothesen.

Wird etwa das Alter des Versicherungsnehmers für sich allein genommen, zeigt sich, daß Männer um die 50 vermehrt Schäden verursachen. Mit Hilfe von mehrdimensionalen Betrachtungen ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Tatsächlich ist die erhöhte Schadenhäufigkeit allein auf Familienväter zurückzuführen, deren Kinder im Alter zwischen 18 und 20 die ersten Fahrversuche mit Vaters Auto machen. Die erste Betrachtung hätte vermutlich dazu geführt, die Gruppe der 50jährigen männlichen Kunden mit und ohne Kinder in ein und dieselbe Tarifgruppe einzustufen. Data-Mining hingegen ermöglicht verläßliche statistische Aussagen, wie sich Kunden- und Vertragsmerkmale sinnvoll kombinieren lassen.

Data-Mining-Verfahren setzen sorgfältige Überlegungen voraus. In einzelnen Versicherungsbereichen fallen Daten im Giga- und Terabyte-Ausmaß an. Dezentrale DV-Landschaften und eine nicht standardisierte Datenhaltung verhindern den Zugriff auf geschäftsrelevante Informationen, die in den Daten verborgen liegen. Dabei mangelt es keineswegs an Informationen, sondern vielmehr an effektiven Zugriffsmöglickeiten.

Für Data-Mining Analysen müssen zunächst die Daten aus den verschiedenen Bereichen gesammelt und aufbereitet werden. Das können Kunden-, Vertrags-, Schaden- sowie soziodemographische Daten sein. Zusätzlich können Ergebnisse von Kundenbefragungen in die Analyse einfließen.

In einem aktuellen Neurotec-Projekt wertete man über 1,7 Millionen Datensätze aus verschiedenen DV-Systemen einer Versicherungsgesellschaft aus. Zunächst einmal wurde untersucht, inwieweit die Datenbestände verwertbar waren beziehungsweise bereinigt und angereichert werden mußten. Nachdem die relevanten Daten identifiziert, extrahiert und vorbereitet waren, konnte die Versicherung grundlegende Überlegungen bezüglich der Hard- und Software sowie der Performance- und Speicheroptimierung anstellen. Die Analyseumgebung bestand aus einer HP-UX-Server-Maschine mit dem Datenbank-Management-System "Oracle 7.3".

Zum Einsatz kommen unterschiedliche Data-Mining-Methoden: Entscheidungsbaum-, Mutual-Information- und Clustering-Verfahren. Ein solcher Mix zeichnet sich vor allem bei steigender Komplexität gegenüber konventionellen statistischen Verfahren aus. Zugleich lassen sich die Daten entsprechend den kundenspezifischen Problemen einteilen.

Doch in erster Linie wurde nach den Ursachen für die veränderten Marktverhältnisse gesucht. Die Ergebnisse des Data-Mining nutzt nun eine Database-Marketing-Anwendung, um die sondierten Potentiale ausschöpfen zu können. Darunter fallen Simulationen, Prognosen, Diagnosen sowie die Klassifizierung oder Typisierung von Kunden, das sogenannte Verhaltens- und Antrags-Scoring. Bei der Simulation werden aus "toten Daten" lebendige Modelle erzeugt. Prognose und Diagnose nutzen Ursachen und Einflußfaktoren zur frühzeitigen Aufdeckung von Trends. Als Ergebnis lassen sich Potentiale und Risiken besser abschätzen.

*Marie-Louise Schütt arbeitet für die Naurotec Hochtechnologie GmbH in Friedrichshafen.