Data Dictionaries: Der Wirtschaftlichkeitsbeweis steht noch aus

24.06.1983

Die Einführung eines Data-Dictionary-Systems ist nicht billig. Ebenso wie ein Datenbanksystem muß man nach Ansicht von Unternehmensberater Claus Weichselbaumer ihre Anschaffung als Investition in die Zukunft begreifen. DV-Verantwortliche stehen deshalb häufig vor dem Problem, den tatsächlichen Aufwand und die anfallenden Kosten mit dem effektiven Nutzen nicht so recht vergleichen zu können. DD-Gegner müssen sich nach den Erfahrungen von Kurt Blank, Spartenleiter Systementwicklung bei der INC Aktiengesellschaft, oft vorwerfen lassen, sie würden wohl alle Anwendungsgebiete DV-mäßig rationalisieren, nur ihren eigenen nicht. Eine große Gefahr sieht Weichselbaumer in der "halbherzigen Einführung" eines Data Dictionary: Bei unzureichender Behandlung bringe ein DD-System nicht mehr als eine goldene Anstecknadel mit der Aufschrift: "DDFC" (Data Dictionary Fan Club).

Kurt Blank, Spartenleiter Systementwicklung, INC Aktiengesellschaft für

Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung, Köln

Allgemein gilt das Data Dictionary als zentrales Informationssystem für die einzelnen Organisationseinheiten des DV-Bereichs. Seine Brauchbarkeit und seinen theoretischen Nutzen schätzen die Fachleute hoch ein. Oft scheuen sie jedoch den Aufwand und lassen die Sache aus Kosten-Nutzen-Überlegungen sein.

Dem euphorischen Befürworter halten seine Gegner vor, den tatsächlichen Aufwand und die Kosten im Vergleich zum effektiven Nutzen nicht zu sehen. Die Neinsager wiederum müssen sich sagen lassen, sie würden wohl alle Anwendungsgebiete DV-mäßig rationalisieren, nur ihren eigenen jedoch nicht. Diese bewältigen sie mittels Gedächtnis, Wissen und Kommunikation der Mitarbeiter oder sonstigen konventionellen Mitteln.

Die Notwendigkeiten sind für ein Data-Dictionary-System von Anwendungsfall zu Anwendungsfall verschieden, da sie abhängig sind von der Größe des einzelnen Unternehmens und vom Rationalisierungsgrad der DV selbst.

Die Notwendigkeit für ein zentrales Informationssystem stößt in den einzelnen Organisationseinheiten auf unterschiedliche Beurteilung, obwohl sie diverse Vorteile, Vereinfachungen und Rationalisierungen erzielen könnte.

Es gibt auf dem Markt Data Dictionaries, die sich durch Leistungsumfang, Einsatzgebiete, Arbeitsaufwand und Kosten unterscheiden. Stand-alone-Systeme erfordern einen hohen Aufwand für den Input und ihr Output steht dem organisatorischen Umfeld nicht ohne weiteres zur Verfügung. Der Softwareentwicklung brächten in Softwaretools integrierte Data Dictionaries einige Vorteile, da ihr Output für alle möglichen Verwendungen zur Verfügung steht.

Nicht nur die Datenerhaltung ist in einem Data Dictionary von Bedeutung; wichtiger ist die operative Ebene und deren Integrationsgrad von Organisationen und Datenflüssen. Nutzen und Erfolg bestimmt der Anwender selbst da kein Data Dictionary ihm die besten Einsatzmöglichkeiten für ein solches System zeigen kann.

Die Erfahrung hat jedoch gezeigt: Je besser und umfangreicher die operative Ebene ist und je mehr organisatorische Probleme ein Data Dictionary zu lösen hilft, desto größer ist sein Nutzen anzusetzen.

Manfred Schmid, Leiter der zentralen Datenadministration, SKF Kugellagerfabriken GmbH, Schweinfurt

Eine methodisch saubere Analyse von Einsatz und Nutzen eines DD erfordert es, daß für die einzelnen Aufgaben eines Org./DV-Bereiches herausgearbeitet wird welche Verbesserungen durch eine DD-Unterstützung zu erzielen sind. Damit verbunden ist die Betrachtung der Stellung des DD im gesamten "software life cycle".

Mit dem zunehmenden Einsatz von Datenbanksystemen und der Integration von DV-Anwendungen erwächst die Notwendigkeit, sich über die Organisation der verwendeten Daten zwecks gemeinsamer Nutzung Gedanken zu machen.

Die organisatorische Voraussetzung aller Konzepte/Techniken, die diesen Problembereich angehen, ist "Datenstandardisierung".

Das Werkzeug, das die Vorgehensweise unterstützt, heißt "Data Dictionary".

Bei Betrachtung der Notwendigkeit einer guten und aktuellen Dokumentation einerseits und ihrem Potential andererseits erlangen DDs mehr und mehr das "Image" eines maschinellen Dokumentationssystems.

Voraussetzung dafür ist allerdings, daß das DD unter einem Online-Monitor mit "Editor" läuft, da DDs von Haus aus schwach im Online-Editieren sind. Wesentliche Vorteile dieser Arbeitsweise liegen in der Verbesserung der Qualität der Dokumentation durch das Einbeziehen von Doku-Standards in Abläufe und administrative Richtlinien, verbunden mit dem DD, sowie in der Integration der Daten-Dokumentation mit weiteren Bestandteilen (wie Programm-, betriebswirtschaftliche, RZ-Dokumentation) der gesamten System-Dokumentation.

Die Generierung von Datenbeschreibungen aus dem DD für gängige Programmiersprachen ist der augenscheinlichste Nutzen des Einsatzes von Data Dictionaries. Außerdem bieten einige DDs die Möglichkeit, Kontrollblöcke aus dem Dictionary zu generieren.

Damit sind allerdings in Zukunft die Möglichkeiten eines DD noch nicht erschöpft. Generierung von zum Beispiel Programmskeletten sowie Links aus dem DD erscheinen machbar und wirtschaftlich.

Durch die im Rahmen einer DD-Einsatzanalyse notwendige Definition von Beziehungen und Inhalt der einzelnen Beschreibungs-Systemelemente (wie Datenelement, Satz, Datei, Programm, Liste, Funktion/ Aufgabe) entsteht ein heilsamer Zwang, vorhandene Systementwicklungsmethoden, Techniken und Tools auf ihre Handhabbarkeit und Durchgängigkeit zu überprüfen.

Claus Weichselbaumer, Freier Unternehmensberater, München

Die Verwaltung und Bearbeitung von 2000 bis 5000 Dateien mit etwa 500 bis 800 Programmen ist heute selbst bei DV-Installationen mit Zentraleinheiten im unteren Leistungsbereich keine Seltenheit.

Bei diesem Volumen, das im Laufe der Jahre nahezu organisch gewachsen ist, ist es mit herkömmlichen Mitteln kaum mehr möglich, den Überblick über Satzarten, Datensätze und Satzformate, Datenfelder, Feldformate und -länge, Feldinhalte und Feldbedeutung, die Datenverwendung sowie über Datenverantwortliche zu behalten.

Redundante und tote Daten werden als Folge in zunehmendem Maße gespeichert. Bei Änderungen an Datenbeständen, werden wegen fehlendem Verwendungsnachweis Programmfehler und Programmstürze sowie kostspielige Wiederholungsläufe vorprogrammiert. Die DV-Abteilung zeigt sich flexibel und vermeidet Programmänderungen, wo sie

nur kann. Diese vielleicht etwas überspitzt gezeichnete Situation sollte spätestens der Anlaß für eine Informationsanalyse und den darauf aufbauenden Einsatz eines Data Dictionary sein. Weitere Ansatzpunkte zum Einsatz eines Data Dictionary ergeben sich bei der Ablösung von Altverfahren und bei der Einführung von DB-Systemen sowie im Rahmen verstärkter Verfahrensintegraton.

Die Einführung eines Data Dictionary ist wegen der notwendigen Informationsanalyse und des zu erfassenden Datenvolumens sicherlich nicht billig. Mit einem Aufwand von bis 2 Mannjahren muß man mindestens rechnen. Aber genauso, wie den Einsatz eines Datenbanksystems, muß man die Nutzung eines Data Dictionary auch als Investition in die Zukunft begreifen.

Ein gut strukturiertes, vollständiges und informatives Data Dictionary und eine saubere organisatorische Einbettung in den Softwareentwicklungs- und -Betreuungsbereich hilft nicht nur Kommunikations- und Informationsprobleme in und zwischen Fach- und DV-Abteilungen zu beseitigen; richtig eingesetzt ist ein Data Dictionary ein Rationalisierungshilfsmittel in allen Phasen des Softwareentwicklungs- und Betreuungsprozesses.

Von einer halbherzigen Einführung eines Data Dictionary muß gewarnt werden, da es dann nicht viel mehr Nutzen hat, als eine goldene Anstecknadel mit der Aufschrift: "DDFC" (Data Dictionary Fan Club).