Das Zusammenspiel der Komponenten eines DV-Systems macht die Performance aus (Teil II): Präventiv-Tuning durch analytische Verfahren

28.11.1980

Unter Tuning wird in DV-Kreisen häufig die Summe der Maßnahmen verstanden, von denen man sich erhofft, daß sie im nachhinein deutliche Performance-Verbesserungen - sei es an Anwendungsprogrammen, OS-Komponenten oder ganzen Systemen - bewirken. In Teil I dieses Beitrags war herausgearbeitet worden, daß Tuning wenig Sinn macht, wenn der Anwender zuvor in Unkenntnis des Profils der ablaufenden Arbeitslast eine völlig falsche Systemauswahl getroffen hat. Er sollte, um solche Fehler zu vermeiden, die "Warteschlangenformel" einsetzen. Ihre Komponenten: Bedienungszeit, Zwischenankunftszeit und Ankunftsrate.

In der Praxis ist im allgemeinen die Ankunftsrate für eine Systemkomponente nicht konstant, das heißt Zeiten, in denen Anforderungen in ganz kurzen Abständen eintreffen, wechseln mit Perioden großer Zwischenankunftszeiten ab. Das bedeutet, daß Warteschlangen, die sich aufgrund eines hohen Anforderungsvolumens gebildet haben, in diesen Zeiten geringer Auslastung abgebaut werden können und sich insgesamt eine mittlere Auslastung der Systemkomponente einstellt. Je größer die Schwankungen der Ankünfte um diesen Mittelwert sind, um so größere Warteschlangen werden sich bilden.

Um konkrete Aussagen über das Verhalten einer Systemkomponente machen zu können, sind demnach Kenntnisse über die Bedienungszeit der betrachteten Komponente und über den zeitlichen Prozeß der Ankünfte notendig.

Häufig kennt man eine mittlere Ankunftsrate, um die herum sich die auf eine Systemkomponente zulaufenden Anforderungen verteilen. Die Kenntnis eines solchen Mittelwertes und die Erfahrung, daß die Anforderungen in Praxissystemen sich nach-bestimmten Gesetzmäßigkeiten um diesen Mittelwert verteilen (Poisson-Verteilung), genügt, um wesentliche Leistungsgrößen zu ermitteln.

Bedienungszeiten sind entweder konstant und aus ihren Kenndaten gegeben (zum Beispiel Übertragungsleitung) oder verteilen sich nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten, wie durch die Poisson-Verteilung angegeben, um einen bestimmten Mittelwert (Exponentielle Verteilung bei CPU und Platte). Damit gelten folgende Formeln für die analytische Berechnung:

Als wesentliche Aussage dieser Gesetzmäßigkeiten erkennt man die Tatsache, daß die Wartezeit Tw an einer Systemkomponente abhängig ist von deren Bedienungszeit Ts und deren Auslastung, nämlich

> Tw= Ts x p / 2(1 - p)

beziehungsweise

> Tw=Ts x p / 1-p

Wertet man die angegebenen formelmäßigen Zusammenhänge graphisch aus und stellt die Zeit Tw, die eine Anforderung warten muß, bevor sie bedient wird, in Abhängigkeit von der Auslastung dar, so ergibt sich der nachfolgend dargestellte typische Kurvenverlauf (Abbildung 2).

Man erkennt, daß die Kurve mit wachsender Auslastung exponentiell ansteigt. Dieser Anstieg beginnt in Bereichen einer Auslastung ab etwa 75 Prozent sehr steil zu werden und

läßt als unmittelbare Folge die Wartezeiten extrem hochschnellen.

Demnach ist das Leistungsverhalten eines Systems ganz stark abhängig von der Auslastung seiner Komponenten.

Eine ungleichmäßige Verteilung der Anforderungen mit hohen Auslastungen einzelner Systemelemente zieht Wartezeiten nach sich, die nicht durch geringe Belastung anderer Teile ausgeglichen werden können.

Da auch die Bedienungszeit einer Komponente als Faktor in die Wartezeit mit eingeht, macht sich bei Geräten mit langen Bedienungszeiten (etwa bei Platten) schon bei mittleren Auslastungen eine deutliche Verlängerung der Wartezeiten bemerkbar. Aus diesem Grunde überschreitet man bei Plattensystemen in der Praxis ungern Auslastungen von etwa 40 bis 50 Prozent.

Wie stark durchsatzhemmend beispielsweise eine ungünstige Dateiverteilung wirken kann, zeigt die nächste Abbildung sehr deutlich (Abbildung 3).

In dem in a) vorgegebenen System ist eine Platteneinheit A zu 16,4 Prozent ausgelastet, die Platteneinheit B zu 82,0 Prozent. Unter der Annahme, daß jeweils ein Zugriff auf A und ein Zugriff auf B erfolgen, ergibt sich eine Gesamtzeit von 277 ms. Dies ist wesentlich mehr, als sich in dem unter b) angegebenen System bei einer gleichmäßigen Auslastung beider Platteneinheiten von jeweils 49,2 Prozent einstellt, nämlich 161 ms. In ähnlicher Weise läßt sich mit Hilfe dieser einfachen Formeln die gegenwärtig bei vielen Anwendern besonders aktuelle Frage des Einsatzes neuer Plattensysteme mit größerer Kapazität beantworten: Die Idee, eine Vielzahl älterer Platten mit kleiner Kapazität auszutauschen gegen wenig neue mit vielfach größerer Kapazität, scheint verlockend. Die Zugriffszeiten der neuen Platten sind kürzer, und ihre Kapazität im Giga-Byte-Bereich nimmt den Inhalt vieler kleiner Platten auf; jedoch laufen jetzt die Anforderungen, die vorher über viele Laufwerke verteilt waren, auf einige wenige große Platten zu, deren Auslastung sich erhöht, was wiederum längere Wartezeiten für jede Anforderung nach sich zieht.

Wie die Plattensysteme konfiguriert sein sollten, wie viele Einzellaufwerke aus Leistungsgründen eingesetzt werden müßten, welche Dateien man auf einem Laufwerk plazieren kann, wird durch die Warteschlangenformel beantwortet. Eine nicht rechnerisch begründete Entscheidung wird kaum durch nachträgliche Tuning-Maßnahmen verbessert werden können.

Tuning sollte also nicht allein als nachträgliche Therapie zur Besserung des Verhaltens leistungsschwacher Systeme betrachtet werden; Tuning darf keine Maßnahme sein, die erst dann einsetzt, wenn Schwächen auftreten, die vorher bewußt ignoriert wurden. Tuning beginnt schon bei der Konzipierung einer neuen DV-Lösung, einfaches Werkzeug sind die analytischen Warteschlangenformeln.

Dr. Adler ist Fachberater im Bereich Luftverkehr bei Sperry Univac, Sulzbach/Taunus.