Synthetische Medien

Das wird das Business für immer verändern

Kommentar  03.11.2022
Von 
Mike Elgan schreibt als Kolumnist für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld und weitere Tech-Portale.
Im Laufe der nächsten zehn Jahre wird künstliche Intelligenz die Kreation von Medieninhalten transformieren.
KI-Kunst ist nur der Anfang. Synthetische Medieninhalte werden die Business-Welt in den kommenden Jahren drastisch verändern.
KI-Kunst ist nur der Anfang. Synthetische Medieninhalte werden die Business-Welt in den kommenden Jahren drastisch verändern.
Foto: teh_z1b - shutterstock.com

Der größte technologiegetriebene Trend, der in den kommenden Jahren auf die Weltwirtschaft zurollt, wird in den Vorstandsetagen kaum diskutiert: Synthetische Medien.

Darunter versteht man jede Art von Medieninhalten (Videos, Bilder, virtuelle Objekte, Laute oder Worte), die durch oder mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erzeugt werden. Zu dieser Kategorie zählen beispielsweise Deepfake-Inhalte, textgesteuert erstellte "KI-Kunst" oder virtueller Content in VR- und AR-Umgebungen.

Synthetic Media: Die unbemerkte Revolution

Viele Tools, um synthetische Medien zu erstellen, nahmen ihren Anfang als obskure akademische Forschungsprojekte oder Online-Spielereien in einer Beta-Version. Inzwischen steht Synthetic Media allerdings kurz davor, sich nachhaltig in Wirtschaft, Marketing und Medienlandschaft zu etablieren.

Die Medienanalystin und Autorin Nina Schick geht in ihrem Buch "Deepfakes: The Coming Infocalypse" davon aus, dass synthetische Medien innerhalb von nur vier Jahren bis zu 90 Prozent aller Online-Inhalte ausmachen könnten. Für diese Annahme gibt es gute Gründe: Unternehmen sind ganz allgemein auf Design, Marketing, Kommunikation und Kreativität angewiesen. Synthetische Medien werden revolutionäre Veränderungen in all diesen Bereichen vorantreiben: Sie können Prototyping beschleunigen, sowie zu kreativeren Inhalten, verbesserter Kommunikation und optimiertem Design beitragen.

Zukunftsforscher denken schon seit Jahrzehnten darüber nach ob KI den Menschen in der Arbeitswelt ersetzen oder eher ergänzen wird. Synthetic Media stellen einen wichtigen Punkt dar, wenn es um Letzteres geht, schließlich erweitern sie menschliche Fähigkeiten und geben Tools an die Hand, mit deren Hilfe Menschen ein neues Performance-Niveau erreichen können: Pressesprecher, Firmenmaskottchen oder teure, prominente Markenbotschafter werden künftig überflüssig. Stattdessen können Unternehmen einfach einen eigenen, "synthetischen Menschen" erstellen oder mieten.

Das hört sich unter Umständen utopisch an, ist aber bereits Realität: Das US-Softwareunternehmen Brud hat beispielsweise die synthetische Influencerin "Lil Miquela" erschaffen.

Der künstliche Social-Promi bringt es inzwischen auf knapp drei Millionen Instagram-Follower, ist offizielle Markenbotschafterin für die US-Bekleidungsmarke "Pacific Sunwear" und darf sich zudem bereits einen Model-Job für Calvin Klein auf die synthetischen Fahnen schreiben. Ein weiteres Beispiel für den Praxiseinsatz synthetischer Medien: Mit Hilfe von KI erstellte Stock-Bilder, die beispielsweise über die Bildplattform Shutterstock vertrieben werden. Das dürfte jedoch ebenfalls bald obsolet werden: Synthetic Media verspricht eine Zukunft, in der Marketing-Spezialisten im Handumdrehen ihre eigenen, maßgeschneiderten Stock-Bilder erstellen können.

Synthetische Medien: Wahrnehmungsprobleme

Schlagzeilen machen synthetische Medien bislang vor allem in Zusammenhang mit missbräuchlichen Deepfake-Videos. Politiker, die Dinge sagen, die sie nie gesagt haben oder Prominente, die ungewollt zum Hauptprotagonisten in Pornofilmen werden, klicken einfach zu gut. Dabei eröffnet die Deepfake-Technologie viel breitere Möglichkeiten, die etwa in Hollywood für Angst und Schrecken - oder diebische Vorfreude - sorgen - je nachdem, ob es sich um Schauspieler handelt, deren Job auf dem Spiel steht oder Studiobosse, die künftig in der Lage sein könnten, Blockbuster auf die Beine zu stellen, ohne Geld für "echte" Hollywoood-Stars auszugeben.

Nachdem bei US-Actionstar Bruce Willis ("Stirb Langsam") im Jahr 2022 eine Aphasie diagnostirziert wurde, die ab einem gewissen Krankheitsstadium die Schauspielerei unmöglich macht, gab das Hollywood-Urgestein bekannt, künftig mit Hilfe der Deepfake-Technologie weiterhin in Film und TV präsent sein zu wollen. Bruce Willis hat übrigens nicht - wie fälschlicherweise behauptet - "die Rechte" an seinem Bild an das russische Synthetic-Media-Unternehmen Deepcake verkauft. Der synthetisch erzeugte Bruce Willis ist bereits in einigen russischsprachigen Werbespots zu sehen.

Da Gesetze und Regularien bislang kaum existieren, wenn es um die Verwendung synthetischer Medien geht, werden aber auch immer wieder Deepfakes von Personen verwendet, ohne zuvor deren Zustimmung einzuholen - so geschehen etwa im Fall von Tom Cruise, Leonardo DiCaprio oder dem frisch gebackenen "Chief Twit" Elon Musk.

Geht es um die Deepfake-Technologie, stehen heute vor allem Probleme mit der Cybersicherheit im Fokus: Mit Hilfe von Audio-Deepfakes geben sich Cyberkriminelle beispielsweise als CEO aus, während Video-Deepfakes beispielsweise genutzt werden können, um im Rahmen von Bewerbungsgesprächen zu betrügen. Die "Bedrohung", die von der Technologie ausgeht, wird sich in Zukunft als großer Segen für die Wirtschaft erweisen. Auch weil Unternehmen wie Deeptrace und Truepic Tools anbieten, die synthetisches Videomaterial erkennen können - und dieser Markt für "Fake Detection" steckt noch in den Kinderschuhen.

Synthetic Media: Nicht nur im Metaverse tonangebend

Die Welt steht am Rande einer Revolution in verschiedenen "Realitäten" - virtuellen, erweiterten und gemischten (VR, AR und MR). Mark Zuckerberg plant mit Meta den großen Umschwung von sozialen Netzwerken der alten Schule auf die virtuelle oder gemischte Realität der nächsten Generation - das Metaverse. Definitionsgemäß handelt es sich bei AR, VR und MR um digitale Inhalte, die entweder in einer digitalen Welt existieren (VR) oder die reale Welt überlagern (AR). Nahezu alle dieser Inhalte werden in Form von synthetischen Medien bereitgestellt.

Tatsächlich hat Meta bereits eine neue KI-gestützte Engine für synthetische Medien mit dem Namen Make-A-Video vorgestellt. Wie die neue Generation von KI-Kunst-Engines verwendet auch Metas Tool Textanweisungen, um Videos zu erstellen. Produkte wie Make-A-Video lassen erahnen, dass Unternehmen künftig auf Produktionsteams, aufwändige Drehs und Postproduktion verzichten können. Stattdessen könnten Videoproduktionen in naher Zukunft bereits von einzelnen Mitarbeitern im Alleingang gestemmt werden.

In dieser Zukunft der textgesteuerten KI-Bild-, Video- und Objekterstellung sind auch AR-Meetings vorstellbar, bei denen Konzepte, Diagramme, Daten, Designs und andere Inhalte mit Sprachbefehlen ad hoc per Hologramm für alle Teilnehmer dargestellt werden. Das ist nur ein kleines, hypothetisches Beispiel dafür, wie sich im Fall von Business-Medien ein riesiges Projekt mit Dutzenden von Mitarbeitern, großem Budget und monatelangem Zeitaufwand in ein Projekt mit einer Handvoll Mitarbeiter, winzigem Budget und einem Zeitaufwand von Stunden oder Tagen verwandeln lässt.

Während wir also die rasante Entwicklung von KI-Kunst-Diensten wie Stable Diffusion bestaunen, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass diese Technologie bald perfektioniert, demokratisiert und weit verbreitet sein wird - und die Art und Weise, wie Unternehmen kommunizieren und visualisieren grundlegend verändern wird. Deshalb ist es höchste Zeit, synthetische Medien zu thematisieren - und zwar nicht nur als mögliche Bedrohung.

Der Übergang zu allgegenwärtigen, synthetischen Medien wird ähnlich ablaufen wie der Umschwung vom Mainframe zum PC - anspruchsvolle (auch virtuelle) Inhalte zu erstellen, wird für jeden Mitarbeiter eines Unternehmens schnell, einfach und kostengünstig möglich werden. Die Folgen dieser Entwicklung werden die Business-Welt drastisch umkrempeln. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.