Führungskultur

Das Wir-Gefühl erodiert

22.12.2021
Von 
Sascha Theisen ist freier Journalist in Köln.
Zwei aktuelle Studien zeigen: Belegschaften beklagen schwindende Führungskultur und bröckelndes Wir-Gefühl. In IT-Firmen lässt der Kollegenzusammenhalt besonders nach.
Wenn etwas in diesen Pandemie-Zeiten gelitten hat, was auch Videokonferenzen nicht annähernd ersetzen konnten, dann ist es das Wir-Gefühl, wie jetzt wieder Studien bestätigen.
Wenn etwas in diesen Pandemie-Zeiten gelitten hat, was auch Videokonferenzen nicht annähernd ersetzen konnten, dann ist es das Wir-Gefühl, wie jetzt wieder Studien bestätigen.
Foto: Dmitrydesign - shutterstock.com

Die Führungskultur sowie der Kollegenzusammenhalt in deutschen Arbeitsstätten bröckelt. Das ist das Ergebnis zweier unabhängig voneinander durchgeführten Studien, die in diesen Tagen veröffentlicht wurden. Demnach beklagt jeder vierte Beschäftigte, dass das Führungsverhalten seines oder seiner Vorgesetzten im gerade ablaufenden Jahr 2021 schlechter geworden sei.

Vor allem berufsunerfahrene und junge Beschäftigte nehmen dies so wahr. Das Ergebnis einer aktuellen Studie der Jobplattform www.joblift.de für die 1.058 Menschen deutschlandweit befragt wurden, stimmt nachdenklich. "Für viele Beschäftigte sind schwache Führungskräfte ein Grund ihren aktuellen Arbeitgeber zu verlassen", so Lukas Erlebach, Geschäftsführer von Joblift zu den Ergebnissen der Studie. Zu dieser Einschätzung passt: Bei 71 Prozent der Studienteilnehmer steigt die Wechselbereitschaft bei schwindender Führungskultur. Vor allem Frauen erwägen mit einem Anteil von 75 Prozent in einem solchen Fall vermehrt Konsequenzen.

Führungskultur bei IT-Firmen intakt

Nicht ganz so stark wie im Branchenschnitt bröckelt das Führungsverhalten indes in der IT-Branche. Denn hier finden nur 16 Prozent der Befragten, dass sich dieses bei ihrem Arbeitgeber während der vergangenen zwölf Monate verschlechtert hätte. Im Gegenteil: 18 Prozent finden gar, dass es sich verbessert hätte. Damit bewerten Mitarbeiter aus der IT-Branche die Führungskultur in ihren Unternehmen im Branchenvergleich am positivsten. Am schlechtesten schneiden dagegen der Öffentliche Dienst (32 Prozent), die Automobil- (33 Prozent) sowie die Energiebranche (38 Prozent) ab.

Lukas Erlebach, Joblift: "Für viele Beschäftigte sind schwache Führungskräfte ein Grund ihren Arbeitgeber zu verlassen."
Lukas Erlebach, Joblift: "Für viele Beschäftigte sind schwache Führungskräfte ein Grund ihren Arbeitgeber zu verlassen."
Foto: Joblift

Neben unzufriedenen Mitarbeitern droht Arbeitgebern bei nachlassendem Führungsverhalten eine niedrigere Produktivität. Hintergrund: Etwa eine Drittel der Teilnehmer verliert eigenen Aussagen zufolge die Hälfte und mehr ihrer Leistungsfähigkeit, wenn sie mit einer aus ihrer Sicht schlechten Führungskraft zusammenarbeiten.

Bei jungen Beschäftigten liegt dieser Anteil sogar bei 45 Prozent, ITler kommen auf vergleichsweise geringe 20 Prozent, wobei aber auch diese Zahl immerhin jeden Fünften betrifft. "Unternehmen, die an Führungskultur verlieren, riskieren viel. Neben der ansteigenden Wechselbereitschaft ihrer Beschäftigten, leidet eben auch ihre Schaffenskraft. Daher sollten Unternehmen Konzepte entwickeln, die gute Führungsarbeit auch in der sich verändernden Arbeitswelt ermöglichen", so Erlebach.

Die schwindende Führungskultur geht einher mit einem ebenfalls bröckelnden Wir-Gefühl unter den Kollegen. Das fand fast zeitgleich die Königsteiner Gruppe in einer ebenfalls gerade erschienenen Studie heraus. Demnach finden 26 Prozent der Befragten, dass der Kollegenzusammenhalt im Jahr 2021 schlechter geworden ist. Vor allem junge Menschen beklagen sich mit einem Anteil von 30 Prozent darüber.

Nils Wagener, Königsteiner Goup: "Home-Office mag zwar die Produktivität erhöhen, das Miteinander fördert es mitnichten."
Nils Wagener, Königsteiner Goup: "Home-Office mag zwar die Produktivität erhöhen, das Miteinander fördert es mitnichten."
Foto: C-Birkner

Und im Gegensatz zur aktuellen Führungskultur ist hier die Einschätzung der Mitarbeiter aus der IT-Branche überdurchschnittlich negativ. So haben fast ein Drittel von ihnen den Eindruck, dass das Wir-Gefühl bei ihrem aktuellen Arbeitgeber leidet. Wie Mitarbeiter miteinander umgehen, macht weite Teile der Unternehmenskultur sowie der Arbeitsatmosphäre aus. Die Studie zeigt: Viele Menschen haben den Eindruck, dass das Teamgefühl in ihrem Job derzeit leidet. "Home-Office, Videokonferenzen oder Telefonate mögen zwar produktiv sein, sind aber offenbar nur bedingt geeignet, das Miteinander der Beschäftigten zu fördern", erläutert Nils Wagener, Geschäftsführer der Königsteiner Gruppe.

Miteinander ist IT-Profis wichtiger als Kurse

Die Bedeutung eines intakten Kollegenzusammenhalts fragen die Studieninitiatoren gleich mit ab und kamen dabei zu dem Ergebnis, dass der Einfluss durchaus erheblich ist. Denn mehr als der Hälfte der Befragten ist dieses genauso wichtig wie ihr Gehalt - bei Beschäftigten in der IT-Branche liegt dieser Anteil bei 43 Prozent.

Noch interessanter: Für 53 Prozent der IT-Mitarbeiter ist es genauso wertvoll wie individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten, für weitere 22 Prozent ist es sogar noch wichtiger. Fazit: Nach nunmehr fast zwei Jahren Pandemie legen die beiden gerade erschienenen Studien nahe, dass vor allem die interaktive, soziale Komponente leidet - nämlich dort, wo Führungskräfte ihre Mitarbeitenden anleiten und Kollegen untereinander an einem Strang ziehen sollten. (hk)