Middleware/Supply-Chain-Management, E-Commerce, ASP und mehr

Das Web zwingt ERP-Anwender zur Anwendungsintegration

16.06.2000
Enterprise Application Integration (EAI) lautete die Antwort der Anbieter betriebswirtschaftlicher Software, als sie sich plötzlich vom lukrativen E-Business abgeschnitten sahen. Die EAI-Middlewaretechniken sollen die Kunden von SAP, Baan & Co. mit Surfern, Kunden, Lieferanten und IT-Dienstleistern verbinden.Von Richard Nußdorfer*

EAI-Anwendungen sind im Kern nichts anderes als Verbindungen zwischen verschiedenen Anwendungen, sie sind Middleware. Den Titel EAI haben sie sich verdient, weil es hier nicht nur um Datenübertragung oder Punkt-zu-Punkt-Verbindungen geht, sondern weil hier auch Prozesse über Systemgrenzen hinweg integriert werden müssen. Das Ziel der Vermittlungsbemühungen sind in aller Regel Systeme für Enterprise Resource Planning (ERP). Ob es sich dabei um eigenentwickelte Legacy-Anwendungen oder um Pakete handelt, wie man sie bei SAP oder Soft-M erstehen kann, ist für eine grundsätzliche Betrachtung unerheblich.

Diese betriebswirtschaftlichen Systeme stehen im Zentrum des E-Business, weil dort die Waren- und Abrechnungslogistik sowie die Produktion für den globalen Markt organisiert werden. Aufgrund ihrer firmeninternen Orientierung brauchen sie jedoch eine Aufwertung durch Anwendungen, die sie mit der Außenwelt in Verbindung bringen. Diese neuen E-Business-Anwendungen, die es mit Hilfe von EAI einzubinden gilt, lassen sich einteilen in E-Commerce, Supply-Chain-Management SCM), Application-Service- Providing (ASP), Portale und Marktplätze.

E-CommerceBei E-Commmerce handelt es sich in der Regel um eine Shopping-Anwendung, die es Privat- oder Geschäftskunden ermöglicht, im Internet einzukaufen, die meist dem Client-to-Business-Schema folgen. Solche Lösungen brauchen auf Server-Seite eine EAI-Anbindung zur ERP-Anwendung, um über Lieferbereitschaft, Statusverfolgung etc. jederzeit auskunftsbereit zu sein. Charakteristische Eigenschaft ist, dass ein User sich über das Internet mit einer Anwendung "unterhält". Damit ist die Hauptaufgabe einer derartigen Anwendung darin zu sehen, dass das vorhandene Backend (nämlich die ERP-Anwendung) mit einem modernen Frontend, das Internet-fähig ist, verbunden wird.

Die Hauptanwendung beim E-Commerce ist ein Shopping-System, das vor allem den Produktkatalog präsentiert. Die Käufer suchen sich im Web wie in einem gedruckten Katalog die gewünschten Artikel und bestellen dann über das Internet-Shopping-System. Diese Art der benutzerfreundlichen Produktpräsentation und Auswahlmöglichkeit dürfte in Zukunft für das Internet-Kaufverhalten eine große Bedeutung haben.

Supply-Chain- Management (SCM)Bei der Ausdehnung der Einkaufslogistik eines Unternehmens auf seine Zulieferer, neudeutsch Supply-Chain-Management, handelt es sich um eine Business-to-Business-Beziehung. Die Verbindung soll über Unternehmensgrenzen hinweg funktionieren und benötigt daher als Trägersystem ein Weitverkehrsnetz, in der Regel das Internet. Alternativ dazu kann noch ein privates Netzwerk auf Basis eines Messaging-Systems wie "MQSeries" in Frage kommen.

SCM hat die Aufgabe, die Geschäftsprozesse unterschiedlicher Unternehmen miteinander zu koppeln, zu integrieren und den Ablauf zu automatisieren. Als so genannte Sandwich-Anwendung zwischen den beiden Systemen von Lieferant und Kunde dient das vermittelnde EAI-Programm. Das charakteristische Merkmal ist eine Kommunikation zwischen zwei oder mehr Anwendungen, ohne dass manuelle Eingriffe erforderlich sind.

Das Motto von B-to-B-Anwendungen lautet "Integrieren statt telefonieren". Unternehmen, die ihre Beschaffung heute noch per Post und Telefon, bestenfalls per E-Mail organisieren, sollen stattdessen mit automatisierten Prozessen über Unternehmensgrenzen arbeiten.

Ein weiterer Integrationsschritt ist die Verbindung von ERP-Systemen mit SCM-Programmen, die die Zulieferlogistik optimieren. Dadurch werden zusätzlich Erweiterungen der operativen Systeme und weitere Verzahnungen nötig.

Die Integration von B-to-B-Anwendungen ist heute die Hauptaufgabe von EAI. Dabei unterscheidet sich EAI von vielen Middleware- und Schnittstellen-Lösungen dadurch, dass fertige Lösungen mit der erforderlichen Funktionalität gekauft werden können. Wobei diese Produkte auf Middlewarelösungen beruhen. Die Entwicklung geht dahin, dass Integrationsfunktionen standardisiert und zu Paketen geschnürt werden: Middleware wird intelligent.

Die vier wichtigsten Integrationsverfahren sind:

-Datentransformation,

-regelbasierte Maschinen,

-Workflow-Steuerung,

-sowie Adapter zur Anbindung vorhandener Anwendungen.

Application Service Providing (ASP)Auch das Anbieten von Anwendungen via Internet ist ohne EAI-Kitt nicht denkbar. Schließlich muss das neu zu schaffende Frontend beim Kunden mit dem Backend beim Dienstleister integriert werden. Diese Aufgabe kommt dem Dienstleister, oft dem ERP-Hersteller zu, denn die Kunden beziehen von dort ihre Anwendungsdienste, um das Paket nicht selbst installieren zu müssen. Wenn die Themen Sicherheit und Performance zufrieden stellend gelöst werden können, ist dieses Geschäftsfeld für die Zukunft von großer Bedeutung.

Die EAI-Aufgabe im ASP-Umfeld besteht darin, ein Internet-Frontend zu schaffen. Dort werden alle Bildschirmmasken bereitgestellt, wie sie auch im operativen Client-Server-Umfeld zu finden waren.

Auf Anwendungsebene geht es darum, den Datenstrom vom Web-Server über eine EAI-Lösung zur Schnittstelle der ERP-Anwendung zu lenken. Damit nicht jede Maske im Frontend neu programmiert werden muss, ist der Ein-satz eines Directory-getriebenen HTML-Maskengenerators erforderlich.

PortaleWie der klassische E-Commerce gehören auch die Portale in die Kategorie Consumer-to-Business. Von Homepages unterscheiden sie sich, weil hier personalisierte Informationen für den Benutzer vorgehalten werden. Eine Portalanwendung erlaubt einem Kunden beispielsweise, sich direkt in der Datenbank des Lieferanten über die ihn betreffenden Auftragsstände oder Rechnungen zu informieren. Hinter der Portaloberfläche läuft also ein Integrationsprozess ab, um die produktiven Informationen aus dem ERP-System lesen und dem Frontend übergeben zu können.

Virtuelle MarktplätzeEinen sehr hohen Aufwand an Integration gibt es bei virtuellen Marktplätzen. Hier müssen Anbieter- und Käuferinformationen aufeinander abgestimmt werden. Diese Aufgabe reicht von der Definition von Produkteigenschaften bis hin zur Automatisierung der Kommunikation der betriebswirtschaftlichen Systeme von Käufer und Verkäufer. Ein einfacheres Beispiel ist die Anbindung des Atrada-Marktplatzes. Dort gibt es insbesondere zur Einbindung der Anbieterseite die typischen Anforderungen:

-Ein Hersteller, beziehungsweise Händler möchte seine Angebotsdaten zu Atrada übertragen und die Bestellungen zurückbekommen,

-anschließend entsprechende Lieferstatusinformationen bereitstellen

-und zum Schluss gar die Bezahlung elektronisch abwickeln,

und das vollautomatisch, möglichst in Realtime und mit direkter Verbindung mit seiner Warenwirtschaftssoftware/Lagerhaltung/Logistik.

Das Ziel: Sobald ein Surfer bei Atrada auf "kaufen" klickt, sollen Mitarbeiter des Anbieters den Auftrag bekommen, das entsprechende Produkt zu verpacken und wegzuschicken. Unter anderem muss hier eine EAI-Software Datenformate wie XML, Edifact oder BMECat in die von Atrada verwendeten Formate umsetzen.

Von ERP zu XRPERP-Anbieter sind ebenfalls Lieferanten von EAI-Lösungen, denn auch innerhalb einer ERP-Lösung sind Integrationsprozesse erforderlich. Natürlich lassen sich diese Integrationsprozesse mit EAI-Lösungen vom Markt realisieren. In der Regel wird es aber sinnvoller sein, auf die Integrationslösung des ERP-Herstellers zu warten. Falls dieser seinen internen Integrationsprozess bereits gelöst hat, bietet er ein so genanntes XRP-System an: eine Extended ERP-Lösung.

*Richard Nußdorfer ist Geschäftsführer der CSA Consulting GmbH in München.

BUSINESS-TO-BUSINESSDer Boom der Enterprise Application Integration (EAI) wird von B-to-BAnwendungen getrieben. Dazu gehören Supply-Chain-Management, Beschaffung, Customer-Management, Sales Force Automation und Relationship-Call-Center-Management.

Supply-Chain-Management (SCM)

SCM-Anwendungen verbinden Kunden und Lieferanten miteinander und optimieren die mit den Zulieferungsprozessen verbundenen Datenflüsse. Der Nutzen besteht typischerweise in der Reduktion der von den Geschäftsprozessen verursachten Kosten, sowie in einer Optimierung der Materialflüsse.

Beschaffung

Der Optimierung der firmeninternen Abläufe beim Einkauf dient das so genannte E-Purchasing. Alle Anforderungen der Fachbereiche an die zentrale Einkaufsabteilung werden gesammelt - allerdings nicht auf Beschaffungsformularen, sondern elektronisch, von jedem berechtigten Arbeitsplatz aus. Ob und wie weit diese Einkäufe mit einem automatisierten Einkaufsgeschäftsprozess oder durch individuelle Einkäufe in einem Shopping-System erledigt werden, ist eine andere Frage.

Customer-Relationship-Management (CRM)

Hierbei handelt es sich in der Regel um eine firmeninterne Anwendung, die mit den ERP-Anwendungen integriert werden muss, um den Kunden zutreffende und aktuelle Auskünfte geben zu können. Im Grunde genommen ist CRM eine hausinterne B-to-B-Anwendung.

Sales Force Automation (SFA)

Hierbei handelt es sich um einen Teilbereich von CRM. Es geht darum, dem Vertrieb die benötigten Kundendaten, Angebote, Aufträge, den aktuellen Status von Bestellungen, Auslieferungen etc. inklusive des gesamten Schriftverkehrs aktuell und online zur Verfügung zu stellen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch mobile Außendienstmitarbeiter sich über das Internet jederzeit im ERP-System über aktuelle Kundenereignisse informieren können. Das ist eine nicht immer triviale Aufgabe für EAI-Anwendungen.

Call-Center-Management (CCM)

Alle Mitarbeiter im Call-Center erwarten eine Online-Anbindung zum ERP-System, um Anfragen sinnvoll und schnell beantworten zu können. Auch dies bedeutet aus Sicht der IT-Realisierung eine interne B-to-B-Anwendung in Form einer Integration des Frontend (Call-Center) mit dem Backend (ERP-System).