Interview

"Das Web wird von vielen Leuten völlig mißverstanden"

03.01.1997

CW: In den 80er Jahren waren Sie der Guru der relationalen Datenbanktechnik. Mit Illustra (im vergangenen Jahr von Informix übernommen, Anm. d. Red.) haben Sie die objektorientierte Technik propagiert. Was hat diesen Sinneswandel bewirkt?

STONEBRAKER: Anfang der 80er Jahre machte sich die Forschergemeinde daran, die damals neueste Datenbanktechnik für unterschiedliche Anwendungen zu testen - mit dem Ergebnis, daß relationale Datenbanksysteme außerhalb der Geschäftsdaten-Verarbeitung nicht funktionieren.

CW: Wenn das damals schon als Einschränkung galt - warum gab es diese Syteme überhaupt?

STONEBRAKER: Die verfügbaren Produkte hatten alle das Ziel, besser zu sein als IMS von IBM. Deshalb waren sie dafür konzipiert, nur Zahlen und Character-Strings zu verarbeiten.

CW: Informix vermarktet mit dem "Universal Server" ein Datenbanksystem, das die relationale mit der objektorientierten Technik verschmilzt, indem es komplexe Daten innerhalb von Tabellen ablegt. Wo ist der Unterschied zu "Binary Large Objects" (Blobs)?

STONEBRAKER: Blobs sind nichts weiter als Bit-Strings. Im Universal Server hingegen hat jedes Objekt einen spezifischen Datentyp. Es ist also ein Bild, eine Audio- oder Video-Aufnahme etc. Blobs sind sozusagen kastrierte Datentypen.

CW: Der Informix-Konkurrent Oracle hat ebenfalls ein objektrelationales Datenbanksystem angekündigt. Er will die beiden Techniken mit Middleware verbinden. Das hört sich eigentlich nach einer vernünftigen Lösung an.

STONEBRAKER: Das ist zu langsam, um interessant zu sein.

CW: Sybase geht offenbar denselben Weg. Sollten sich beide Unternehmen irren?

STONEBRAKER: Sybase hat zunächst denselben Ansatz wie wir gewählt, den des Re-Engineering. Aber dieser Versuch wurde im Februar vergangenen Jahres erfolglos abgebrochen. Meine persönliche Meinung dazu lautet: Die Sybase-Maschine ist alt und verträgt keine großen operativen Eingriff mehr, solange sie nicht gründlich überholt ist. Und Oracle befindet sich in einer ähnlichen Situation.

CW: Ist Performance der einzige Grund, weshalb Sie einer integrierten Datenbankmaschine den Vorzug vor einer Middleware-Lösung geben?

STONEBRAKER: Die letzte Company, die eine Middleware-Lösung in Angriff genommen hat, war Cullinet. Mitte der 80er Jahre versuchte sie, Relationen auf eine Codasyl-Datenbank aufzusetzen. Das Produkt war eine Katastrophe, und Cullinet ging ins Software-Altersheim nach Islandia, New York.

CW: ... zu Computer Associates ..

STONEBRAKER: Richtig. Das große Problem ist tatsächlich die Performance. Darüber hinaus propagiert Oracle spezialisierte Server wie den von IRI gekauften Olap-Server. Wenn Sie aber mehr als eine Speichermaschine auf das Datenbanksystem packen, wird Ihnen aber das System-Management Kopfschmerzen bereiten. Zudem müssen Sie auf inkonsistente Daten gefaßt sein.

CW: Ist das die Antwort auf die Frage, warum Sie Illustra nicht mit Oracle, sondern mit Informix verheiratet haben?

STONEBRAKER: Der Grund für den Zusammenschluß war, daß die Kunden unsere Technologie mochten, sie aber in einer ernsthaften Produktionsumgebung nutzen wollten. Das Hauptthema hieß Scalability. Gemeinsam mit Informix konnten wir in kurzer Zeit eine skalierbare Lösung auf die Beine stellen. Aber die Voraussetzung dafür war, daß sich unsere Codes integrieren ließ. Mit Oracle oder Sybase hätten wird das niemals versucht.

CW: Interessieren Sie sich eigentlich noch für Ingres?

STONEBRAKER: Ja, sicher. Leider sieht das - extrem erfolgreiche - Geschäftsmodell von Computer Associates nicht vor, in die Weiterentwicklung eines Produkts zu investieren. Deshalb ist Ingres in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefallen.

CW: Zurück in die Zukunft: Sind Datenbanken auf lange Sicht nur noch ein Back-end für das World Wide Web?

STONEBRAKER: Absolut. Aber das Web wird von vielen Leuten völlig mißverstanden. Sie denken immer an statische Daten. Wir hingegen haben eine neue Art von Applikationen im Sinn, beispielsweise eine Abfrage auf ein Inhalts-Repository: "Nenne mir alle italienischen Restaurants, die nicht weiter als eine Meile entfernt sind." Das Web ist nur das Medium, um das Ergebnis überall auszuliefern. Der Markt wird zum größten Teil den objektrelationalen Systemen gehören.