Web

Drohender "Online Overload"

Das Web steckt in der Vertrauenskrise

29.07.2010
Von pte pte
Immer größer wird die kritische Distanz der Internetnutzer gegenüber dem, was sie im Web vorfinden.

Das Vertrauen in diese Informationsquelle ist auf absolutem Tiefststand, haben Medienforscher der Universität of Southern California in der Langzeitstudie "digital future report" gezeigt. "Wir nähern uns einem kritischen Punkt, dem 'Online Overload'", warnen die Autoren um Jeffrey Cole.

Dass die meisten Inhalte im Web verlässlich sind, glauben heute nur 39 Prozent der Befragten, deutlich weniger als die 55 Prozent im Jahr 2000. Für 61 Prozent ist mehr als die Hälfte unverlässlich, 14 Prozent sehen sogar "keine oder fast keine vertrauenswürdige Infos" im Netz. Jeder fünfte misstraut sogar den Seiten, die er sehr häufig besucht. Auch Suchmaschinen sind davon nicht ausgenommen: Nur 53 Prozent - elf Prozent weniger als vor drei Jahren - sehen deren Ergebnisse als verlässlich und relevant.

Berechtigte Distanz

"Dieser Vertrauensverlust ist der Preis der Gratis-Kultur im Web", sagt Lorenz Hilty, Professor für Informatik und Nachhaltigkeit an der Universität Zürich, gegenüber pressetext. "Was bei Print noch kostete, ist nun gratis, muss aber auf andere Weise finanziert werden. Deshalb rechnen die Internetnutzer heute weit eher damit, dass ihr Verhalten, ihre Interaktionen, Präferenzen und teils sogar Koordinaten ausgewertet und auf nicht offengelegte Weise ökonomisch genutzt werden. Der Eindruck von Objektivität schwindet, wenn man bloß mit Inhalten beliefert wird, die das eigene Weltbild bestätigen."

Der Internetnutzer nimmt daher zunehmend kritische Distanz zu den Inhalten ein - und das zurecht, wie Hilty betont. "Die Frage ist: Wo kommen vertrauenswürdige, weil unabhängige Instanzen her? Selbst traditionsreiche Printmedien sind im Teufelskreis. Sie verlieren an Marktmacht, müssen Inserenten Zugeständnisse machen, Journalisten abbauen und verlieren damit an Qualität." Das Vertrauen des Kunden in ein Medium ist sehr schnell zerstört, der Aufbau dauere lange, so der Experte.

Modell iPhone als Retter der Medien?

Statt dem Ausbau der bisherigen Modelle liegt für den Kommunikationsforscher die Zukunft im Entstehen von "völlig neuen" Geschäftsmodellen. "Ein Vorbild könnten die iPhone-Apps sein. Man bezahlt einen kleinen Beitrag und kann sicher sein, dass man Qualität - in diesem Fall Freiheit von Viren - erhält. Es gibt also schon einen Markt für Files mit kleinen Einzelpreisen. Die Lösung für Informationen ist jedoch noch nicht da. Vielleicht ist einfach die Zeit noch nicht reif." Reif sei die Zeit erst dann, wenn kritische Distanz und Vertrauensverlust einen Schmerzenspunkt überschreiten. "Derzeit lebt man noch gut mit der Situation."

Schmerzhaft musste dies die Online-Ausgabe der "Times" feststellen, die mit Einführung des Bezahlmodells 90 Prozent der Leser verlor. Auch die US-Forscher bezeichnen die Bezahlung für bisher kostenlose Inhalte als schwierigste Herausforderung. "Wir sind im typischen Prisoners-Dilemma der Psychologie: Wer anfängt, verliert und alle anderen sehen zu. Es funktioniert nur, wenn alle mitmachen", so Hilty. (pte)